Weihnachts-Abend
Fezziwig's Weihnachtsball
Fünftes
Kapitel XIV - Das Ende
Ja,
und es war seine eigene Bettpfoste. Es war sein Bett und sein Zimmer.
Und was
das Glücklichste und Beste war, die Zukunft war sein zur Besserung.
„Ich
will in der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft leben“,
wiederholte
Scrooge, als er aus dem Bett kletterte. „Die Geister von allen Dreien
sollen in
mir wirken. O, Jacob Marley! der Himmel und die Weihnachtszeit seien
dafür
gepriesen! Ich sage es auf meinen Knien, alter Jacob, auf meinen Knien.“
Er
war von seinen guten Vorsätzen so erregt und außer sich, dass seine
bebende
Stimme kaum auf seinen Ruf antworten wollte. Er hatte während seines
Ringens
mit dem Geiste bitterlich geweint und sein Gesicht war noch nass von
den Tränen.
„Sie
sind nicht herabgerissen“, rief Scrooge, eine der Bettgardinen an die
Brust
drückend, „sie sind nicht herabgerissen. Sie sind da, ich bin da,
die
Schatten der Dinge, welche kommen, können vertrieben werden. Ja, ich
weiß es
gewiss, ich weiß es.“
Während
dieser ganzen Zeit beschäftigten sich seine Hände mit den
Kleidungsstücken: er
zog sie verkehrt an, zerriss sie, verlor sie und machte allerhand tolle
Sprünge
damit.
„Ich
weiß nicht, was ich tue“, rief Scrooge in einem Atem weinend und
lachend und
mit seinen Strümpfen einen wahren Laokoon aus sich machend. „Ich bin
leicht wie
eine Feder, glücklich wie ein Engel, lustig wie ein Schulknabe,
schwindlich wie
ein Betrunkener. Fröhliche Weihnachten allen Menschen! Ein glückliches
Neujahr
der ganzen Welt! Hallo! hussa! hurra!“
Er
war in das Wohnzimmer gesprungen und blieb jetzt dort ganz außer Atem
stehen.
„Da
ist die Schüssel, in der die Suppe war!“ rief Scrooge, indem er um das
Kamin
herumsprang. „Da ist die Tür, durch welche Jacob Marley’s Geist
hereinkam, da
ist die Ecke, wo der Geist der heurigen Weihnachten saß, da ist das
Fenster, wo
ich die herumirrenden Geister sah! Es ist Alles recht, es ist Alles
wahr, es
ist Alles geschehen. Hahahaha!“
Wirklich
für einen Mann, der so lange Jahre aus der Gewohnheit war, war es ein
vortreffliches Lachen, ein herrliches Lachen. Der Vater einer langen,
langen
Reihe herrlicher Gelächter!
„Ich weiß
nicht, den Wievieltesten wir heute
haben“, rief Scrooge. „Ich weiß nicht, wie lange ich unter den Geistern
gewesen
bin. Ich weiß gar nichts. Ich bin wie ein neu gebornes Kind. Es schadet
nichts.
Ist mir einerlei. Ich will lieber ein Kind sein. Hallo! hussa! hurra!“
Er
wurde in seinen Freudenausrufungen von dem Geläute der Kirchenglocken
unterbrochen, die ihm so munter zu klingen schienen, wie nie vorher.
Bim baum,
kling, klang, bim baum. Ach, herrlich, herrlich!
Er
lief zum Fenster, öffnete es und steckte den Kopf hinaus. Kein Nebel;
ein
klarer, luftig heller, kalter Morgen, eine Kälte, die dem Blute einen
Tanz
vorpfiff; goldenes Sonnenlicht; ein himmlischer Himmel; liebliche,
frische
Luft, fröhliche Glocken. O, herrlich, herrlich!
„Was
ist denn heute?“ rief Scrooge einem Knaben in Sonntagskleidern zu, der
unten
stand.
„He?“
fragte der Knabe mit der aller möglichsten Verwunderung.
„Was
ist heute, mein Junge?“ sagte Scrooge.
„Heute?“
antwortete der Knabe. „Nun, Christtag.“
„’S
ist Christtag“, sagte Scrooge zu sich selber. „Ich habe ihn nicht
versäumt. Die
Geister haben Alles in einer Nacht getan. Sie können Alles, was sie
wollen.
Natürlich, natürlich. Heda, mein Junge!“
„Heda!“
antwortete der Knabe.
„Weißt Du des
Geflügelhändlers Laden in der
zweitnächsten Straße an der Ecke?“ frug Scrooge.
„I,
warum denn nicht“, antwortete der Junge.
„Ein
gescheiter Junge“, sagte Scrooge. „Ein merkwürdiger Junge! Weißt Du
nicht, ob
der Preistruthahn, der dort hing, verkauft ist? Nicht der kleine
Preistruthahn,
der große.“
„Was,
der so groß ist wie ich?“ antwortete der Junge.
„Was
für ein lieber Junge!“ sagte Scrooge. „’s ist eine Freude, mit ihm zu
sprechen.
Ja, mein Prachtjunge.“
„Er
hängt noch dort“, antwortete der Junge.
„Ists
wahr?“ sagte Scrooge. „Nun, da geh und kaufe ihn.“
„Hetsch!“
rief der Junge aus.
„Nein,
nein“, sagte Scrooge, „’s ist mein Ernst. Geh hin und kaufe ihn und
sage, sie
sollen ihn hierher bringen, dass ich ihnen die Adresse geben kann,
wohin sie
ihn tragen sollen. Komm mit dem Träger wieder her und ich gebe Dir
einen
Schilling. Komm in weniger als fünf Minuten zurück und Du bekommst eine
halbe
Krone.“
Der
Bursche verschwand wie ein Blitz.
„Ich
will ihn Bob Cratchit schicken“, flüsterte Scrooge, sich die Hände
reibend und
fast vor Lachen platzend. „Er soll nicht wissen, wer ihn schickt. Er
ist
zweimal so groß als Tiny Tim. Joe Miller hat niemals einen Witz
gemacht, wie
den.“
Wie
er die Adresse schrieb, zitterte seine Hand aber er schrieb, so gut es
gehen
wollte, und ging die Treppe hinab, um die Haustür zu öffnen, den
Truthahn
erwartend. Wie er dastand fiel sein Auge auf den Türklopfer.
„Ich
werde ihn lieb haben, so lange ich lebe“, rief Scrooge ihn streichelnd.
„Früher
habe ich ihn kaum angesehen. Was für ein ehrliches Gesicht er hat! Es
ist ein
wunderbarer Türklopfer! – Da ist der Truthahn. Hallo! hussa! Wie
geht’s?
Fröhliche Weihnachten!“
Das
war ein Truthahn; er hätte nicht mehr lebendig auf seinen Füßen stehen
können.
Sie wären – knix – zerbrochen wie eine Stange Siegellack.
„Was,
das ist ja fast unmöglich, den nach Camden-Town zu tragen“, sagte
Scrooge. „Ihr
müsst einen Wagen nehmen.“
Das
Lachen, mit dem er dies sagte und das Lachen, mit dem er den Truthahn
bezahlte,
und das Lachen, mit dem er den Wagen bezahlte, und das Lachen, mit dem
er dem
Jungen ein Trinkgeld gab, wurden nur von dem Lachen übertroffen, mit
dem er
sich atemlos in seinen Stuhl niedersetzte und lachte, bis die Tränen an
den
Backen hinunter liefen.
Das
Rasieren war keine Kleinigkeit, denn seine Hand zitterte immer noch
sehr; und
Rasieren verlangt große Aufmerksamkeit, selbst wenn man nicht gerade
während
dem tanzt. Aber wenn er sich die Nasenspitze weggeschnitten hätte,
würde er ein
Stückchen englisches Pflaster darauf geklebt haben und zufrieden
gewesen sein.
Er
zog seine besten Kleider an und trat endlich auf die Straße. Die Leute
strömten
jetzt gerade aus ihren Häusern, wie er es gesehen hatte, als er den
Geist der
heurigen Weihnacht begleitete; und mit auf dem Rücken
zusammengeschlagenen
Händen durch die Straßen gehend, blickte Scrooge Jeden mit einem
freundlichen
Lächeln an. Er sah so unwiderstehlich freundlich aus, dass drei oder
vier
lustige Leute zu ihm sagten: „Guten Morgen, Sir, fröhliche
Weihnachten!“ und
Scrooge sagte oft nachher, dass von allen lieblichen Klängen, die er je
gehört,
dieser seinem Ohr am lieblichsten geklungen hätte.
Er
war nicht weit gegangen, als er denselben stattlichen Herrn auf sich
zukommen
sah, der am Tage vorher in sein Comtoir getreten war mit den Worten:
„Scrooge
und Marley, wenn ich nicht irre.“ Es gab ihm einen Stich in’s Herz, als
er
dachte, wie ihn wohl der alte Herr beim Vorübergehen ansehen würde;
aber er
wusste, welchen Weg er zu gehen hatte, und ging ihn.
„Lieber
Herr“, sagte Scrooge, schneller gehend und des alten Herrn beide Hände
ergreifend, „Wie geht’s Ihnen? Ich hoffe, Sie hatten gestern einen
guten Tag.
Es war sehr freundlich von Ihnen. Ich wünsche Ihnen fröhliche
Weihnachten,
Sir.“
„Mr.
Scrooge?“
„Ja“,
sagte Scrooge. „Das ist mein Name und ich fürchte, er klingt Ihnen
nicht sehr
angenehm. Erlauben Sie, dass ich Sie um Verzeihung bitte. Und wollen
Sie die
Güte haben“ – hier flüsterte ihm Scrooge etwas in das Ohr.
„Himmel!“
rief der Herr, als ob ihm der Atem ausgeblieben wäre. „Mein lieber Mr.
Scrooge,
ist das Ihr Ernst?“
„Wenn
es Ihnen gefällig ist“, sagte Scrooge. „Keinen Penny weniger. Es sind
viel
Rückstände dabei, ich versichere es Ihnen. Wollen Sie die Güte haben?“
„Bester
Herr“, sagte der Andere, ihm die Hand schüttelnd. „Ich weiß nicht, was
ich zu
einer solchen großartigen Freigebigkeit sagen soll.“
„Ich
bitte, sagen Sie gar nichts dazu“, antwortete Scrooge. „Besuchen Sie
mich.
Wollen Sie mich besuchen?“
„Herzlich gern“, rief der alte Herr. Und man
sah, es war ihm mit der Versicherung Ernst.
„Ich
danke Ihnen“, sagte Scrooge. „Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich danke
Ihnen
tausendmal. Leben Sie recht wohl!“
Er
ging in die Kirche, ging durch die Straßen, sah die Leute hin- und
herlaufen,
klopfte Kindern die Wange, frug Bettler, und sah hinab in die Küchen
und hinauf
zu den Fenstern der Häuser; und fand, dass alles das ihm Vergnügen
machen
könne. Er hatte sich nie geträumt, dass ein Spaziergang oder sonst
etwas ihn so
glücklich hätte machen können. Nachmittags lenkte er seine
Schritte nach
seines Neffen Wohnung.
Er
ging wohl ein Dutzend Mal an der Tür vorüber, ehe er den Mut hatte,
anzuklopfen. Endlich fasste er sich ein Herz und klopfte.
„Ist
Dein Herr zu Hause, meine Liebe?“ sagte Scrooge zu dem Mädchen. „Ein
hübsches
Mädchen, wahrhaftig!“
„Ja,
Sir.“
„Wo
ist er, meine Liebe?“ sagte Scrooge.
„Er
ist in dem Speisezimmer, Sir, mit der Madame. Ich will Sie
hinaufführen, wenn
Sie erlauben.“
„Danke,
danke. Er kennt mich“, sagte Scrooge, mit der Hand schon auf dem
Türdrücker.
„Ich will hier hereintreten, meine Liebe.“
Er
machte die Tür leise auf und steckte den Kopf hinein. Sie betrachteten
den
Speisetisch (der mit großem Aufwand von Pracht gedeckt war); denn
solche junge
Leute sind immer sehr unruhig über solche Punkte und sähen gern Alles
in
Ordnung.
„Fritz!“
sagte Scrooge.
Heiliger
Himmel! wie seine Nichte erschrak! Scrooge hatte in dem Augenblicke
vergessen,
dass sie mit dem Fußbänkchen in der Ecke gesessen hatte, sonst hätte er
es um
keinen Preis getan.
„Potztausend!“
rief Fritz, „wer ist das?“
„Ich
bin’s, Dein Onkel Scrooge. Ich komme zum Essen. Willst Du mich
hereinlassen,
Fritz?“
Ihn
herein lassen! Es war nur gut, dass er ihm nicht den Arm abriss. Er war
in fünf
Minuten wie zu Hause. Nichts konnte herzlicher sein, als die Begrüßung
seines
Neffen. Und auch seine Nichte empfing ihn ganz so herzlich. Auch
Topper, wie er
kam. Auch die dicke Schwester, wie sie kam. Und Alle, wie sie nach der
Reihe
kamen. Wundervolle Gesellschaft, wundervolle Spiele, wundervolle
Eintracht,
wundervolle Glückseligkeit!
Aber
am andern Morgen war er früh in seinem Comtoir. O, er war gar früh da.
Wenn er
nur dort hätte zuerst sein können und Bob Cratchit beim Zuspätkommen
erwischen!
Das war’s, worauf sein Sinn stand! Und es gelang ihm wahrhaftig! Die
Uhr schlug
neun. Kein Bob. Ein Viertel auf zehn. Kein Bob. Er kam volle achtzehn
und eine
halbe Minute zu spät. Scrooge hatte seine Tür weit offen stehen lassen,
damit
er ihn in das Verließ kommen sähe.
Sein
Hut war vom Kopfe, ehe er die Tür öffnete, auch der Schal von seinem
Halse. In
einem Nu saß er auf seinem Stuhle und jagte mit der Feder übers Papier,
als
wollte er versuchen, neun Uhr einzuholen.
„Heda“,
brummte Scrooge, so gut wie es ging, seine gewohnte Stimme nachmachend.
„Was
soll das heißen, dass Sie so spät kommen?“
„Es
tut mir sehr leid, Sir“, sagte Bob. „Ich habe mich verspätigt.“
„Nun, Sie gestehen’s“, wiederholte Scrooge.
„Ich meine es auch. Hier herein, wenn’s gefällig ist.“
„Es
ist nur ein Mal im Jahre, Sir“, sagte Bob, aus dem Verließ
hereintretend. „Es
soll nicht wieder vorfallen. Ich war ein Bisschen lustig gestern, Sir.“
„Nun,
ich will Ihnen was sagen, Freundchen“, sagte Scrooge, „ich kann das
nicht
länger so mit ansehen. Und daher“, fuhr er fort, von seinem Stuhl
springend und
Bob einen solchen Stoß vor die Brust gebend, dass er wieder in das
Verließ
zurückstolperte, „und daher will ich Ihr Salair erhöhen!“
Bob
zitterte und trat dem Lineal etwas näher. Er hatte einen
augenblicklichen
Gedanken, Scrooge eins damit auf den Kopf zu geben, ihn fest zu halten
und die
Leute im Hofe um Hülfe und eine Zwangsjacke anzurufen.
Scroore und Bob
Cratchit beim Weihnachtspunsch
„Fröhliche
Weihnachten, Bob!“ sagte Scrooge, mit einem Ernst, der nicht
missverstanden
werden konnte, indem er ihn auf die Achsel klopfte. „Fröhlichere
Weihnachten,
Bob, als ich Sie so manches Jahr habe feiern lassen. Ich will Ihr
Salair
erhöhen und mich bemühen, Ihrer Familie unter die Arme zu greifen. Wir
wollen
heut Nachmittag bei einer Weihnachtsbowle dampfenden Punsch über Ihre
Angelegenheiten sprechen, Bob! Schüren Sie das Feuer an und kaufen Sie
eine
andere Kohlenschaufel, ehe Sie wieder einen Punkt auf ein I
machen, Bob
Cratchit!“
Scrooge
war besser als sein Wort. Er tat Alles und mehr noch, als er
versprochen hatte;
und für Tiny Tim, welcher nicht starb, wurde er ein zweiter Vater. Er
wurde ein
so guter Freund und so guter Mensch, wie nur die liebe alte City oder
jede
andere liebe alte Stadt oder Dorf in der lieben alten Welt je gesehen.
Einige
Leute lachten, ihn so verändert zu sehen, aber er ließ sie lachen und
kümmerte
sich wenig darum, denn er war klug genug, zu wissen, dass nichts Gutes
in
dieser Welt geschehen kann, worüber nicht von vornherein einige Leute
lachen müssen;
und da er wusste, dass der Art Leute doch blind bleiben würden, dachte
er bei
sich, es ist besser, sie legen ihre Gesichter durch Lachen in Falten,
als dass
sie’s auf weniger anziehende Weise tun. Sein eigenes Herz lachte und
damit war
er zufrieden.
Er
hatte keinen ferneren Verkehr mit Geistern, sondern lebte von jetzt an
nach dem
Prinzip gänzlicher Enthaltsamkeit; und immer sagte man von ihm, er
wisse
Weihnachten recht zu feiern, wenn es überhaupt ein Mensch wisse. Möge
dies auch
in Wahrheit von uns Allen gesagt werden können! Und so schließen wir
mit Tiny
Tim’s Worten: Gott segne uns Alle und Jeden!
Charles
Dickens
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