Wie Herr
Schoißengeyer zu
einem Christkindl kam - 1
Im Hause Schoißengeyer war kritischer
Tag – ein böser Erinnerungstag knapp vor Weihnachten. Von früh morgens
bis
abends war Herr Schoißengeyer mit verdrossenen Mienen im Geschäfte
herumgegangen – einsilbig, mürrisch, brummig. Recht machen konnte es
ihm heute
keiner. Bei den Mahlzeiten naschte er nur ein wenig – »grad, daß ma
halt was
ißt«. Und nun saß er schon den ganzen Abend schweigend da und rauchte
seine
liebe lange Pfeife. Die wenigstens schmeckte ihm – wenn's nicht ein
großes
Kummerrauchen war.
Frau Marie saß an ihrem Tischchen und
arbeitete an irgend etwas. Sie arbeitete überhaupt immer. Von Zeit zu
Zeit warf
sie einen scheuen prüfenden Blick nach »dem Herrn«. Dann war's immer,
als
verbisse sie ein Lächeln. Es war aber auch wirklich wahr: die
Kummermiene stand
Herrn Schoißengeyer geradezu – komisch. Sie wollte in dieses runde
gesunde
Gesicht nicht passen. Die naiv-hochmütig steifen Linien, die das
gewohnte
breite selbstbewußte Lächeln unverlöschlich um Mund und Nasenflügel
gezogen
hatte, wollten sich durchaus nicht in Kummerfalten verwandeln. Und doch
währte
Herrn Schoißengeyers Seelenweh nun schon ein volles Jahr. Frau Marie
sah ihn
wieder an.
»Anton!«
»No?«
»Heut is sehr – sehr kalt draußn«.
»Ja!«
»Und ins Schneim und Stöbern wills halt
gar nit aufhörn. Wir wer'n heuer bald Schneeverwehun- gen kriegen –
meinst nit?«
»Kann schon sein!«
Nein, so gings nicht. Da hieß es auf
einen neuen Gesprächsstoff sinnen. Es klopfte. Die Tür ging auf und
Michl, der
Geschäftsdiener, brachte zwei mit der letzten Post angekommene Briefe.
Einen an
Herrn, den anderen an Frau Schoißengeyer. »Der Herr« drehte den seinen
bedächtig in den Händen herum und brummte einmal über das andere Mal!
»Die
Schrift söll i kenna.«
»So mach 'hn halt auf!«
»A so! Hm! Ja! Recht hast!« Er öffnete
den Brief und meinte mit Erstaunen in den Mienen, aber mit Gleichmut in
der
Stimme: »Vom Hannes is er.« Das war sein älterer Bruder. Der hatte sein
Lebtag
kein »schreibendes Geschäft« gehabt und schon mindestens fünfzehn Jahre
nicht
mehr an den Bruder geschrieben. Das Lesen der krausen Schrift war recht
mühsam.
Dennoch wurde Herrn Schoißengeyers Gesicht trotz zunehmenden Staunens
immer
beruhigter. »Na also!« brummte er befriedigt. Frau Marie achtete nicht
darauf.
Sie war ganz in ihren
Brief vertieft. Und ihr Gesicht wurde immer trauriger, immer
kummervoller.
»Aha!« dachte Schoißengeyer. »Weiß
schon!«
Ihm hatte sein Bruder kurz mitgeteilt,
daß der Eduard, ihr Neffe, nun doch zu ihm komme – zum Herrn
Schoißengeyer
nämlich. Der hatte vor langer Zeit den Wunsch geäußert, sein Geschäft
wieder
einem Schoißengeyer zu über tragen. Da ihm leider kein Sohn
beschieden war, dachte er an Eduard, seines jüngsten Bruders Rudolf
Sohn. Doch
der Junge wollte durchaus studieren, wie sein Vater, der irgendwo
Beamter war.
Eduard wies des Herrn Onkels großmütiges Anerbieten damals sehr lieb
zwar, aber
ebenso entschieden zurück. Schriftlich natürlich; denn die beiden
Brüder
verkehrten schon seit mehr als zwanzig Jahren nicht miteinander.
Jetzt aber sagte sich Herr
Schoißengeyer: »Habs eh gwißt, daß er am End doh kimmt! Ewi Hunger
leidn kann
der Mensch ja doh nit!«
Die Beamtenfamilien hungerten nach
seiner Ueberzeugung alle. Er allein von seinen Brüdern hatte es »zu was
Ordentlichen gebracht«. »Zu was Ordentlichem« hieß: Geld, Wohlstand,
Reichtum.
Er war ein »großer Weinhändler«, besaß eine umfangreiche Wirtschaft und
betrieb
nebstbei Spekulationsgeschäfte, wenn sie sicher waren »und dabei was
herausschaute«.
Wann Eduard komme, sagte des Briefes
kurze Nachschrift. »In Eduard schick i dir gleich, in ein paar Tag ist
er dort.
Der Obige.«
»Na na!« brummte Herr Schoißengeyer mit
behaglichem Lächeln. »Der packts aber gach an!«
»Hm!«, machte er dann mit einem Blick
auf »d' Frau«. Der
ihr Gesicht war just nicht heiter. »Ja ja, der wird halt von der Thildl
sein,
der Brief,« dachte er. Und laut brummte er:
»Na – du? Was? Is halt doh so, wie i
allweil gsagt hab' – han?«
Frau Marie sah unter Tränen auf und
nickte nur. Das »wurmte« Herrn Schoißengeyer.
»Sigst dus!« rief er, »jetzt is's endli
amal heraus! Allweil hats gheißn: »I bitt di, sei doh stad! Sie is ja
eh
glückli!« Pah! glückli! Mit so an! Mit so an Hungerleider – mit so an
Maler kann ka Kind
aus an anständigen Haus glückli sein! Hab is nit allweil gsagt? Han?
Jetzt hast
du's!« Frau Marie nickte nur wieder.
»Hab i nit recht ghabt? I!« Er war
beinahe erfreut darüber, daß er recht hatte. Und er sollte doch jetzt
erst
recht traurig sein, da es endlich erwiesen war, daß Thilde wirklich
»kreuzunglücklich« ist, wie er immer behauptet hatte – immer! Seine
Frau – du
lieber Gott! die hatte geglaubt, er werde glauben was sie ihm vormache.
Sie
hatte sogar geglaubt, er werde am Ende doch nachgeben – er! Er
nachgeben! Das
hat man von einem »richtigen« Schoißengeyer überhaupt noch nie erlebt –
wirds auch nie erleben! Aufgeregt wiegte er mit ungewohnt großen
Schritten
seinen rundlichen Körper durch das Zimmer und schnaufte und dampfte,
daß es
Frau Marie endlich doch zu viel wurde. Er wartete nur auf ihr
Losbrechen. Sie
aber sagte bloß:
»Aber Toni!« Und es klang so kleinlaut,
so lieb, so bittend. Aber das verfing heute nicht. Je mehr man einem
Starrkopf
– »Dickschädl« sagte Frau Marie – nachgibt, desto größer wird sein
Eigensinn.
»Mm!« machte er nur – dampfte weiter,
stampfte weiter.
»Toni – du!«
»Mm!«
»Du – du, hörst – heimkommen will's.«
»W–a–as?« Jetzt war es aus mit dem
Rauchen und Laufen und Trotzen. Kugelrund wurden seine Augen, kugelrund
sein
aufgesperrter Mund. »Heimkommen will's – ins Vaterhaus? Hawe die Ehre!
Gelt,
weil's Hunger leidt, weil's kreuzunglückli is!«
Frau Marie nickte.
»Heut is grad ein Jahr, daß durchgangen
is! Durchgangn! Dö Schand! I wuna mi nur, daß i noh leb! Meina Seel!«
»Na weißt, Toni, durchgangen is eigentli
nit!«
»Na sonst was!«
»Sie hat dir's ja vorher gsagt! Und
schließlich haben's doch gheirat, die zwei.«
»Ah so! Deswegn wird die Gschicht aber
nit anders! Um ka Haar nit. Aus is! I will nix mehr wissn von ihr! Sie
is dem
Windbeutl nachgrennt, hat'n gheirat ohne Elternsegn, soll's a bei eahm
bleibn!
In mein
Haus ...«
»Aber Toni! I bitt di um allers in der
Welt! Schau, jetzt, weil's wirkli unglückli is! Geh, hast denn gar ka
Einseh'n,
Mann? Hast denn gar ka Herz mehr und ka Religion? Geh Toni, sei guat!
du bist
ja a guata Mann! Schau, weißt, und es schadt dir, das ewige Aergern,
das.«
»Freili schads mir! Freili! Ihr bringts
mi noh unter d'Erdn! Du halt's eh mit ihr – du!«
Herr Schoißengeyer sah sie wild an. Dann
rannte er wieder im Zimmer hin und her – dampfte, stampfte, brummte,
fuchtelte
mit den Händen herum, schob das »Hausherrnkapperl« ins krause weiße
Haar
zurück, wieder vor, kratzte sich hinter dem einen, dann hinter dem
anderen Ohr,
blieb endlich stehn und rief, schon wieder rennend:
»Also meinetsweg'n: ja! Soll's in
Gottsnam kemma! Gscheita is doh als bei eahm!«
»O du guata guata Mann!«
Frau Marie war schluchzend aufgestanden,
Herrn Schoißengeyer mit ausgebreiteten Armen nachgerannt – und an seine
Brust gesunken.
»Na so was! Gehst denn nit! Was fallt
dir denn ein!«
Sie drehte ihr gutmütiges Gesicht zu ihm
auf und lächelte ihn unter Tränen an.
»Ja Frau! Du lachst ja!« Ganz verblüfft
war er.
»Weilst halt so viel guat bist!«
Und ehe er sich »derfangen« konnte,
hatte Frau Marie ihre Arme um seinen feisten Nacken geschlungen und ihm
einen
kräftigen Schmatz versetzt – auf den Mund! »Direkt« auf den Mund! So
was! Ganz
erschrocken riß er sich los und wischte sich rasch und kräftig – den
Mund ab.
Sprachlos mit weit aufgerissenen Augen. Da mußte Frau Marie laut
auflachen.
»Wie man bei solche Nachrichten lachen
kann, versteh i nit!« Er drehte sich ganz unglaublich schnell um und
arbeitete
sich brummend zur Tür hinaus.
Bum! schlug diese polternd zu. So endete
der kritische Tag. –
Herrn Schoißengeyers Augen wurden wieder
kugelrund vor Erstaunen, als er seinen Neffen Eduard sah. Der war
pünktlich
zwei Tage später eingetroffen. Das war ein Mensch! In dem lebte alles!
Und
bildsauber war er: kohlrabenschwarzes Haar, langen schwarzen Bart – in
der Form
ein wahrhaftiger Christusbart – und Augen! Herrgott, das waren Augen!
»Da
spritzt's Feuer nur so aussa!« meinte Herr Schoißengeyer und fügte in
Gedanken
stolz dazu: »Ja mir Schoißengeyer – mir san halt a Raß! Bluat hab'n ma!«
Ueberhaupt war der ganze Mensch, der
Eduard, recht nett und lieb und überraschend anstellig. Ja selbst vom
Geschäft
verstand er, wie sich bald zeigte, etwas ganz vorzüglich: das
Weintrinken nämlich. Nicht
am Ende zu viel, das heißt: saufen – nein! Dazu war er viel zu fein. Er
trank
aber den Wein mit der Ruhe und mit den feierlichen Mienen eines
gewiegten
Kenners, und gab Urteile ab, die »meistenteils« sogar richtig waren. Er
hatte
sogleich heraus, daß der oder der Wein »verschnitten« war, sprach über
»Bukett«
und »Kouleur« des Weines wie über ein gelehrtes Buch, bezeichnete die
Sorte ganz
richtig als zu »speer«, die hatte ihm zu viel »Reschn«, die zu wenig
»Altl« und alle – vertrug er vorzüglich. Auch meinte er geheimnisvoll,
nun sei
er endlich auf den richtigen Platz gestellt: da könne er seine –
chemischen
Studien praktisch verwerten.
»Du verfluchter Kerl du!« dachte Herr
Schoißengeyer, »praktisch verwerten! Na, ich werd dir geben, dir!«
Sein Geschäft war bisher ein solides. Er
half sich höchstens mit – Wasser.
Eduards
Stube war immer voll mit
»Versuchsobjekten«, das heißt feinen Weinen. Und voll war immer auch
sein Kopf
– aber nicht vom Weine, sondern von allerhand lustigen Schnurren und
»Schnacksen«. Die bildeten eine ständige siegesgewaltige Gefahr für
Herrn
Schoißengeyers stets bewährte ernste Würde. Bisher lächelte er nur
selbstbewußt: Eduard lehrte ihn das unbefangene Lachen.