lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.3


Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen



Wie Herr Schoißengeyer zu
einem Christkindl kam - 1

Im Hause Schoißengeyer war kritischer Tag – ein böser Erinnerungstag knapp vor Weihnachten. Von früh morgens bis abends war Herr Schoißengeyer mit verdrossenen Mienen im Geschäfte herumgegangen – einsilbig, mürrisch, brummig. Recht machen konnte es ihm heute keiner. Bei den Mahlzeiten naschte er nur ein wenig – »grad, daß ma halt was ißt«. Und nun saß er schon den ganzen Abend schweigend da und rauchte seine liebe lange Pfeife. Die wenigstens schmeckte ihm – wenn's nicht ein großes Kummerrauchen war.

Frau Marie saß an ihrem Tischchen und arbeitete an irgend etwas. Sie arbeitete überhaupt immer. Von Zeit zu Zeit warf sie einen scheuen prüfenden Blick nach »dem Herrn«. Dann war's immer, als verbisse sie ein Lächeln. Es war aber auch wirklich wahr: die Kummermiene stand Herrn Schoißengeyer geradezu – komisch. Sie wollte in dieses runde gesunde Gesicht nicht passen. Die naiv-hochmütig steifen Linien, die das gewohnte breite selbstbewußte Lächeln unverlöschlich um Mund und Nasenflügel gezogen hatte, wollten sich durchaus nicht in Kummerfalten verwandeln. Und doch währte Herrn Schoißengeyers Seelenweh nun schon ein volles Jahr. Frau Marie sah ihn wieder an.

»Anton!«

»No?«

»Heut is sehr – sehr kalt draußn«.

»Ja!«

»Und ins Schneim und Stöbern wills halt gar nit aufhörn. Wir wer'n heuer bald Schneeverwehun- gen kriegen – meinst nit?«

»Kann schon sein!«

Nein, so gings nicht. Da hieß es auf einen neuen Gesprächsstoff sinnen. Es klopfte. Die Tür ging auf und Michl, der Geschäftsdiener, brachte zwei mit der letzten Post angekommene Briefe. Einen an Herrn, den anderen an Frau Schoißengeyer. »Der Herr« drehte den seinen bedächtig in den Händen herum und brummte einmal über das andere Mal! »Die Schrift söll i kenna.«

»So mach 'hn halt auf!«

»A so! Hm! Ja! Recht hast!« Er öffnete den Brief und meinte mit Erstaunen in den Mienen, aber mit Gleichmut in der Stimme: »Vom Hannes is er.« Das war sein älterer Bruder. Der hatte sein Lebtag kein »schreibendes Geschäft« gehabt und schon mindestens fünfzehn Jahre nicht mehr an den Bruder geschrieben. Das Lesen der krausen Schrift war recht mühsam. Dennoch wurde Herrn Schoißengeyers Gesicht trotz zunehmenden Staunens immer beruhigter. »Na also!« brummte er befriedigt. Frau Marie achtete nicht darauf. Sie war ganz in ihren Brief vertieft. Und ihr Gesicht wurde immer trauriger, immer kummervoller.

»Aha!« dachte Schoißengeyer. »Weiß schon!«

Ihm hatte sein Bruder kurz mitgeteilt, daß der Eduard, ihr Neffe, nun doch zu ihm komme – zum Herrn Schoißengeyer nämlich. Der hatte vor langer Zeit den Wunsch geäußert, sein Geschäft wieder einem Schoißengeyer zu über tragen. Da ihm leider kein Sohn beschieden war, dachte er an Eduard, seines jüngsten Bruders Rudolf Sohn. Doch der Junge wollte durchaus studieren, wie sein Vater, der irgendwo Beamter war. Eduard wies des Herrn Onkels großmütiges Anerbieten damals sehr lieb zwar, aber ebenso entschieden zurück. Schriftlich natürlich; denn die beiden Brüder verkehrten schon seit mehr als zwanzig Jahren nicht miteinander.

Jetzt aber sagte sich Herr Schoißengeyer: »Habs eh gwißt, daß er am End doh kimmt! Ewi Hunger leidn kann der Mensch ja doh nit!«

Die Beamtenfamilien hungerten nach seiner Ueberzeugung alle. Er allein von seinen Brüdern hatte es »zu was Ordentlichen gebracht«. »Zu was Ordentlichem« hieß: Geld, Wohlstand, Reichtum. Er war ein »großer Weinhändler«, besaß eine umfangreiche Wirtschaft und betrieb nebstbei Spekulationsgeschäfte, wenn sie sicher waren »und dabei was herausschaute«.

Wann Eduard komme, sagte des Briefes kurze Nachschrift. »In Eduard schick i dir gleich, in ein paar Tag ist er dort. Der Obige.«

»Na na!« brummte Herr Schoißengeyer mit behaglichem Lächeln. »Der packts aber gach an!«

»Hm!«, machte er dann mit einem Blick auf »d' Frau«. Der ihr Gesicht war just nicht heiter. »Ja ja, der wird halt von der Thildl sein, der Brief,« dachte er. Und laut brummte er:

»Na – du? Was? Is halt doh so, wie i allweil gsagt hab' – han?«

Frau Marie sah unter Tränen auf und nickte nur. Das »wurmte« Herrn Schoißengeyer.

»Sigst dus!« rief er, »jetzt is's endli amal heraus! Allweil hats gheißn: »I bitt di, sei doh stad! Sie is ja eh glückli!« Pah! glückli! Mit so an! Mit so an Hungerleider – mit so an Maler kann ka Kind aus an anständigen Haus glückli sein! Hab is nit allweil gsagt? Han? Jetzt hast du's!« Frau Marie nickte nur wieder.

»Hab i nit recht ghabt? I!« Er war beinahe erfreut darüber, daß er recht hatte. Und er sollte doch jetzt erst recht traurig sein, da es endlich erwiesen war, daß Thilde wirklich »kreuzunglücklich« ist, wie er immer behauptet hatte – immer! Seine Frau – du lieber Gott! die hatte geglaubt, er werde glauben was sie ihm vormache. Sie hatte sogar geglaubt, er werde am Ende doch nachgeben – er! Er nachgeben! Das hat man von einem »richtigen« Schoißengeyer überhaupt noch nie erlebt – wirds auch nie erleben! Aufgeregt wiegte er mit ungewohnt großen Schritten seinen rundlichen Körper durch das Zimmer und schnaufte und dampfte, daß es Frau Marie endlich doch zu viel wurde. Er wartete nur auf ihr Losbrechen. Sie aber sagte bloß:

»Aber Toni!« Und es klang so kleinlaut, so lieb, so bittend. Aber das verfing heute nicht. Je mehr man einem Starrkopf – »Dickschädl« sagte Frau Marie – nachgibt, desto größer wird sein Eigensinn.

»Mm!« machte er nur – dampfte weiter, stampfte weiter.

»Toni – du!«

»Mm!«

»Du – du, hörst – heimkommen will's.«

»W–a–as?« Jetzt war es aus mit dem Rauchen und Laufen und Trotzen. Kugelrund wurden seine Augen, kugelrund sein aufgesperrter Mund. »Heimkommen will's – ins Vaterhaus? Hawe die Ehre! Gelt, weil's Hunger leidt, weil's kreuzunglückli is!«

Frau Marie nickte.

»Heut is grad ein Jahr, daß durchgangen is! Durchgangn! Dö Schand! I wuna mi nur, daß i noh leb! Meina Seel!«

»Na weißt, Toni, durchgangen is eigentli nit!«

»Na sonst was!«

»Sie hat dir's ja vorher gsagt! Und schließlich haben's doch gheirat, die zwei.«

»Ah so! Deswegn wird die Gschicht aber nit anders! Um ka Haar nit. Aus is! I will nix mehr wissn von ihr! Sie is dem Windbeutl nachgrennt, hat'n gheirat ohne Elternsegn, soll's a bei eahm bleibn! In mein Haus ...«

»Aber Toni! I bitt di um allers in der Welt! Schau, jetzt, weil's wirkli unglückli is! Geh, hast denn gar ka Einseh'n, Mann? Hast denn gar ka Herz mehr und ka Religion? Geh Toni, sei guat! du bist ja a guata Mann! Schau, weißt, und es schadt dir, das ewige Aergern, das.«

»Freili schads mir! Freili! Ihr bringts mi noh unter d'Erdn! Du halt's eh mit ihr – du!«

Herr Schoißengeyer sah sie wild an. Dann rannte er wieder im Zimmer hin und her – dampfte, stampfte, brummte, fuchtelte mit den Händen herum, schob das »Hausherrnkapperl« ins krause weiße Haar zurück, wieder vor, kratzte sich hinter dem einen, dann hinter dem anderen Ohr, blieb endlich stehn und rief, schon wieder rennend:

»Also meinetsweg'n: ja! Soll's in Gottsnam kemma! Gscheita is doh als bei eahm!«

»O du guata guata Mann!«

Frau Marie war schluchzend aufgestanden, Herrn Schoißengeyer mit ausgebreiteten Armen nachgerannt – und an seine Brust gesunken.

»Na so was! Gehst denn nit! Was fallt dir denn ein!«

Sie drehte ihr gutmütiges Gesicht zu ihm auf und lächelte ihn unter Tränen an.

»Ja Frau! Du lachst ja!« Ganz verblüfft war er.

»Weilst halt so viel guat bist!«

Und ehe er sich »derfangen« konnte, hatte Frau Marie ihre Arme um seinen feisten Nacken geschlungen und ihm einen kräftigen Schmatz versetzt – auf den Mund! »Direkt« auf den Mund! So was! Ganz erschrocken riß er sich los und wischte sich rasch und kräftig – den Mund ab. Sprachlos mit weit aufgerissenen Augen. Da mußte Frau Marie laut auflachen.

»Wie man bei solche Nachrichten lachen kann, versteh i nit!« Er drehte sich ganz unglaublich schnell um und arbeitete sich brummend zur Tür hinaus.

Bum! schlug diese polternd zu. So endete der kritische Tag. –

Herrn Schoißengeyers Augen wurden wieder kugelrund vor Erstaunen, als er seinen Neffen Eduard sah. Der war pünktlich zwei Tage später eingetroffen. Das war ein Mensch! In dem lebte alles! Und bildsauber war er: kohlrabenschwarzes Haar, langen schwarzen Bart – in der Form ein wahrhaftiger Christusbart – und Augen! Herrgott, das waren Augen! »Da spritzt's Feuer nur so aussa!« meinte Herr Schoißengeyer und fügte in Gedanken stolz dazu: »Ja mir Schoißengeyer – mir san halt a Raß! Bluat hab'n ma!«

Ueberhaupt war der ganze Mensch, der Eduard, recht nett und lieb und überraschend anstellig. Ja selbst vom Geschäft verstand er, wie sich bald zeigte, etwas ganz vorzüglich: das Weintrinken nämlich. Nicht am Ende zu viel, das heißt: saufen – nein! Dazu war er viel zu fein. Er trank aber den Wein mit der Ruhe und mit den feierlichen Mienen eines gewiegten Kenners, und gab Urteile ab, die »meistenteils« sogar richtig waren. Er hatte sogleich heraus, daß der oder der Wein »verschnitten« war, sprach über »Bukett« und »Kouleur« des Weines wie über ein gelehrtes Buch, bezeichnete die Sorte ganz richtig als zu »speer«, die hatte ihm zu viel »Reschn«, die zu wenig »Altl« und alle – vertrug er vorzüglich. Auch meinte er geheimnisvoll, nun sei er endlich auf den richtigen Platz gestellt: da könne er seine – chemischen Studien praktisch verwerten.

»Du verfluchter Kerl du!« dachte Herr Schoißengeyer, »praktisch verwerten! Na, ich werd dir geben, dir!«

Sein Geschäft war bisher ein solides. Er half sich höchstens mit – Wasser.

Eduards Stube war immer voll mit »Versuchsobjekten«, das heißt feinen Weinen. Und voll war immer auch sein Kopf – aber nicht vom Weine, sondern von allerhand lustigen Schnurren und »Schnacksen«. Die bildeten eine ständige siegesgewaltige Gefahr für Herrn Schoißengeyers stets bewährte ernste Würde. Bisher lächelte er nur selbstbewußt: Eduard lehrte ihn das unbefangene Lachen.

____________________



  lifedays-seite - moment in time