lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.3


Adolf Schwayer

Weihnachtserzählungen




Im Sturm 1


Ihn fror in seinem dünnen Fähnchen, einem grauen fadenscheinigen Havelock, der im Novembersturme flatterte wie eine altgediente Kriegsflagge.
 
»Ist eine Kunst!« knurrte er und meinte damit den Sturm, den ungebärdig wilden. Um die dürren Blätter von den zitternden Zweigen zu reißen und die blassen Spätrosen zu erschrecken, die noch irgendwo draußen wehmütig träumen mochten, bedurfte es dieses unsinnigen Grimmes nicht. Und um das graue Wolkengesindel dort droben, das Schnee niederregnen ließ, vor sich herzujagen, brauchte er die Backen auch nicht gar so voll zu nehmen, der wüste Kraftgeselle, der!

Wildjauchzend fuhr der Verhöhnte um die Straßenecke und lehnte den blassen jungen Mann, der durchaus kein Schwächling war an die Wand. Und neben ihm klatschte ein schneefeuchtes Blatt an die triefende Mauer. So klebten sie, Mann und Blatt, im gewaltsamen Drucke des Sturmes einen Augenblick lang nebeneinander.

Da mußte er auflachen, ganz grimmig. Dann drohte er mit der Faust gegen den grauen Himmel und drückte sich das Atemholen des Sturmes benützend, sachte um die gefährliche Ecke.

Fest, krampfhaft fest, hielt dabei die schier erstarrte Faust das Guldenstück, das er sich kurz vorher von einem Bundesbruder gepumpt hatte. Zu den Taschen seiner Hose hatte er kein rechtes Vertrauen mehr und die Geldbörse lag zu Hause lange gut. Die grinste ihn jedesmal, wenn er sie hervorzog, gar zu höhnisch an: sie war leer wie das absolute Nichts.
 
Auch sein Winterrock hatte es besser als er: der »studierte« einstweilen auch und war hübsch warm aufgehoben – wo, ist leicht zu erraten. Viel weniger »schön« mochte er vielleicht nicht sein als der flatternde Sommermantel da – aber warm!

Wärme! Wärme mußte wenigstens seine Mutter haben. Darum hatte er ja den Gulden gepumpt von dem flotten Farbenbruder, dem guten wohlgemästeten Ritschmayer. Und der gab bereitwillig und gab lachend. Und das war schön von ihm. Er wollte kein Mitleid sehen, kein Mitleid fühlen der trotzige Lebenskünstler im Havelock. Das wußte der dicke gemütliche Ritschmayer; darum gab er lachend, trotzdem ihm der »stiere« Theobald Volkmar noch zehn Gulden schuldete, die er gebraucht hatte für die Taxe zum letzten Rigorosum.

Jetzt jagte ihn der Sturm in eine Seitengasse. Wütend kehrte er um, rang mit der in wilder Siegesfreude aufheulenden Windsbraut, schwamm geradezu in Sturm und Schnee und Regen und schnaufte tief auf, als er wieder in der Hauptstraße trottete.

Nur da nicht hinein! Nur da nicht durch! Dort drinnen in der Gasse stand das große Zinshaus seines steinreichen Onkels. Das glotzte ihn immer so höhnisch an mit seinen vielen Fenstern und seiner aufgeklebten protzigen Zementfassade – recht wie ein freches Emporkömmlingsgesicht.
Der, ja der hatte Wärme und Geld und alles was er wollte, der Bruder seines armen toten Vaters, und brauchte für niemand mehr zu sorgen. Aber er hatte sicherlich auch kein Mitleid, keines in den Zügen zur Schau getragenes und keines im Herzen.

Was zum Teufel war es denn, was die beiden Brüder trennte?! Haß? Nein: Stolz, Stolz war es, was den Vater trennte, und Trotz, was den Onkel fernhielt. Weil der Vater das arme zarte Mädchen genommen hatte anstatt die reiche derbknochige Schwägerin des Onkels. So fing's an. Dann kam des Vaters Stolz ins Glühen und Brennen. Er werde schon zeigen, werde schon beweisen, daß er ohne Mammon durchs Leben komme! Seines Lebens Sonne sei die Liebe, seines Lebens Wonne die Arbeit!

»Bettelstolz!« hatte der Onkel gehöhnt. Und darauf flog seines Zimmers Tür dröhnend zu – zugeworfen von dem erzürnten Vater, dem sie gewiesen worden war! Und es flog eine zweite Tür zu und eine dritte: die Herzen der Brüder waren verschlossen für einander und für immer.
So mächtig sind Stolz und Trotz. O Sturm, was bist du für ein jämmerlicher Kraftprotz gegen diese Giganten im Menschenherzen!

Aber des Vaters Sonne leuchtete und seine Wonne ging nie aus. Und ihr gesellten sich froher fröhlicher Sinn bei und sonnenheitere Freude, stille warme Lebensfreude, die über den Seelen von Vater und Mutter lagen wie ein Sonnenglanz. Und in seinem Herzen, in seinem Hause blühte und duftete die Wunderblume Zufriedenheit und waltete und webte still der Zauber unbewußter Poesie: das stille echte Glück war zu Hause bei Vater und Mutter und sein Sonnenglanz fiel auch auf ihn, den heranwachsenden Sohn. – Da mußte wohl eines Tages der Neid vorbeigegangen sein an dem Hause des Glückes und es dem Bruder Hein verraten haben. Und der kam und nahm den Vater mit und ließ Frau Sorge zurück. Und die rief bald, ach! nur zu bald ihre unerbittliche Schwester herbei – die Not. Die wehrt den Leibern das tägliche Brot und bringt der Seelen duftende Blüten langsam zum Verdorren ...

Allmählich verblaßte nach des Vaters Tode aller Glanz. Die Hilfsquellen versiegten, das hinterlassene Geld ging aus. Gar viel war's ja nicht. Nur der Stolz blieb dem Sohne als Erbe. Und dieses Erbe konnten nicht Not und nicht Hunger schmälern. Es mehrte sich noch und verstärkte sich noch durch den Trotz. Diese beiden Tyrannen seines Herzens stellte er dem Onkel entgegen, der, durch des Bruders jähen Tod weich gestimmt, rasche Versöhnung suchte. Der Sohn aber wies ihn kalt ab: er, der dem Bruder die Tür gewiesen habe, er hätte müssen den Weg zum Bruderherzen im Leben finden und nicht nach dem Tode. Für dieses nachhinkende Mitgefühl danke er!

Da hatte der gereizte Onkel ein böses Wort gesagt: auch wenn er einst – und das werde kommen! – in Not und Elend vor ihm auf den Knien liegen werde, würde er ihn nicht erhören und ihm nicht helfen, dem Starrkopf, und wenn er zugrunde gehn sollte vor seinen Augen! Damit war's aus mit den zweien, rundweg aus.

So ging in leuchtenden Bildern und ging mit Schaudern und Grimm die Vergangenheit an dem jungen Manne vorüber, der mit dem Lebenssturme weit härter zu ringen hatte, als jetzt mit dem wütigen Herbststurme.

Seine Mienen waren düsterer geworden als droben der graue Himmel. So trat er in den kleinen Krämerladen in der Nähe seiner Wohnung, bestellte Holz und Kohle und nahm einen kleinen Imbiß mit – für die Mutter. Dabei knurrte ihm der Magen just vor dem grinsenden Krämer boshafterweise so laut, daß der Mann es hören konnte. Ueberstürzt eilte Theobald davon.
Als er in die Stube trat, die noch manch liebes altes, erinnerunggeweihtes Möbelstück enthielt, lag auf seinem Angesichte ein Lächeln, das so heiter scheinen sollte wie eitel Frühlingssonnenschein und doch nur eines Lächelns herzberührendes Zerrbild war.

Die Mutter sah's und – lächelte ihn gleichfalls an. Aber es war nicht das wehmütige Lächeln, das wie sonst dem Sohne verriet, sie habe ihn durchschaut bis auf seines Herzens dunkelsten Grund: scheu lächelte sie heute und verlegen, schier schamhaft und doch so lieb, so unendlich lieb, daß der erregte Sohn sie in seine Arme schloß und aufstöhnte, aufschluchzte vor Freud und Weh.
Er riß sich rasch los und zog seinen Schatz hervor.

»Mutter – da! Für dich!«
 
»Und du?«

»Hab schon gegessen – im ... im Studentenheim ...«

Sie sah ihn forschend an und glaubte ihm nicht recht. Im Studentenheim hatte man ihn neulich wie einen Bettler behandelt. Dahin ging er also wohl nimmer. Und neu war ihr diese Selbstverleugnung an ihrem Sohne auch nicht, neu war ihr auch nicht, daß er lieber Hunger litt, als sie darben zu lassen. Er sei jünger – sie müsse sich zuerst sattessen. Für ihn tat's auch eine Krumme trockenen Brotes.

Sonst gab es immer gar seltsam lieben Zank nach solcher Opfertat des Sohnes – heute nahm sie das Päckchen wortlos hin, legte Wurst und Schinken fein säuberlich auf einen Teller und sagte dann mit fast schalkhaftem Lächeln – wie gut stand das ihrem zarten Gesichtchen! – sie wolle schon essen – o! – sehr gern; denn sie, sie habe ja wirklich ... Appetit. »Hunger«, sagte sie nie.

Das Wort hatte einen gar zu bitteren Beigeschmack, seitdem sie es seinem ganzen Grimme nach kannte. Ja ja, sie werde schon essen, aber der Sohn müsse auch essen – was viel besseres, viel feineres!

Damit ging sie an dem maßlos erstaunten Theo vorbei in die kleine saubere Küche hinaus, und kam lächelnd zurück, eingehüllt in eine duftige Wolke, die von der – ja wahrhaftig! von der Bratenschüssel aufstieg!

»Ja was ist denn das?«

»Rostbraten mit Essig gespritzt, mein lieber Theobald. Und geröstete Kartoffeln dazu. Dein Lieblingsabendmahl!«

»Ja, wer hat denn ...«

»Iß nur und frage nicht! Iß! Glaubst du, ich hab deinen Magen nicht knurren hören! O der! Der hat eine Aufrichtigkeit! Aber so komm doch!«

»Keinen Bissen nehm ich, bevor ich nicht weiß, woher das kommt!«

»Na, woher soll's denn kommen? Vom Fleischhauer!« scherzte die Mutter gutlaunig.

»Mutter, du weißt! Sag mir's! Oder ich geh fort! Ist's vom Onkel?«

Wie seine Augen funkelten und seine Brauen sich zusammenzogen! Die Mutter kannte das. Verlegen, so ganz wundersam verlegen stand sie eine Weile da, zog an ihrer blühweißen Schürze und hauchte endlich hervor:

»Nein, nicht vom Onkel.«

»Von wem denn? Hast du ...« Er blickte im Zimmer musternd herum. Sie wußte, was er meinte.
 
»Nein, auch nicht. Es ist von ... von Fräulein Erna.«

Wie von einem Peitschenhiebe getroffen, zuckte der junge Mann zusammen. Bis in die Schnurrbartenden zitterte er. Erna war seines Hausherrn feines und schönes Töchterlein – und er liebte das schöne feine Kind in aller Glut und Heimlichkeit.

»Almosen!« knurrte er und sank auf den Stuhl, daß er krachte.
Die Mutter stand betroffen da.

»Ich will keine Almosen!« brauste er auf, sprang empor und wollte nach dem dampfenden Teller greifen. Er hätte ihn zu Boden geschmettert, wäre nicht die Mutter blitzschnell dazwischengetreten. Hart war er an sie herangekommen in seinem Ungestüm. Sie wankte, die zarte zierliche Frau, und mußte sich an den Tischrand klammern, um nicht zu stürzen.
 
Da warf sich der Sohn auf den Stuhl zurück, ließ das Haupt auf den Tisch sinken und schluchzte herzergreifend.

Nun wurde auch das Auge der Mutter feucht. Und sie ahnte nicht einmal, was alles ihres Sohnes Seele in diesem Augenblick durchstürmte.

Langsam war sie auf ihn zugeschritten, legte ihre schmale weiße Hand auf Theobalds zuckende Schulter und sagte mit der ganzen lieben Milde, die sie erfüllte:

»Schau Theo, du sollst nicht so sein. Nicht gar so stolz und so viel zornjäh.« Und als keine Antwort kam:
»Und das mit Fräulein Erna ist so einfach kommen und ist so schön von ihr, so lieb. Hör doch nur! Heut kommt sie auf einmal da herein zu mir in ihrer blonden Lieblichkeit – wie ein Engel. Dann beginnt sie zu plaudern und sagt mir, sie habe gestern in einer Familie von unserem Vater reden hören – so viel Gutes und so viel Schönes, daß sie sich fest vorgenommen habe ...«

»Uns Almosen anzubieten!« stöhnte Theobald auf.

»O nein!« erwiderte die Mutter sanft und lächelte. »Daß es uns nicht glänzend geht, ist ihr ja kein Geheimnis geblieben. Denk doch, wie schwer wir immer den Zins zusammen bringen und nie zum Termin.


oben

weiter

____________________







  lifedays-seite - moment in time