Im Sturm 1
Ihn
fror in
seinem dünnen Fähnchen, einem grauen fadenscheinigen Havelock, der im
Novembersturme flatterte wie eine altgediente Kriegsflagge.
»Ist
eine
Kunst!« knurrte er und meinte damit den Sturm, den ungebärdig wilden.
Um die
dürren Blätter von den zitternden Zweigen zu reißen und die blassen
Spätrosen
zu erschrecken, die noch irgendwo draußen wehmütig träumen mochten,
bedurfte es
dieses unsinnigen Grimmes nicht. Und um das graue Wolkengesindel dort
droben,
das Schnee niederregnen ließ, vor sich herzujagen, brauchte er die
Backen auch
nicht gar so voll zu nehmen, der wüste Kraftgeselle, der!
Wildjauchzend
fuhr der Verhöhnte um die Straßenecke und lehnte den blassen jungen
Mann, der
durchaus kein Schwächling war an die Wand. Und neben ihm klatschte ein
schneefeuchtes Blatt an die triefende Mauer. So klebten sie, Mann und
Blatt, im
gewaltsamen Drucke des Sturmes einen Augenblick lang nebeneinander.
Da
mußte er
auflachen, ganz grimmig. Dann drohte er mit der Faust gegen den grauen
Himmel
und drückte sich das Atemholen des Sturmes benützend, sachte um die
gefährliche
Ecke.
Fest,
krampfhaft fest, hielt dabei die schier erstarrte Faust das
Guldenstück, das er
sich kurz vorher von einem Bundesbruder gepumpt hatte. Zu den Taschen
seiner
Hose hatte
er kein rechtes Vertrauen mehr und die Geldbörse lag zu Hause lange
gut. Die
grinste ihn jedesmal, wenn er sie hervorzog, gar zu höhnisch an: sie
war leer
wie das absolute Nichts.
Auch
sein
Winterrock hatte es besser als er: der »studierte« einstweilen auch und
war
hübsch warm aufgehoben – wo, ist leicht zu erraten. Viel weniger
»schön« mochte
er vielleicht nicht sein als der flatternde Sommermantel da – aber
warm!
Wärme!
Wärme
mußte wenigstens seine Mutter haben. Darum hatte er ja den Gulden
gepumpt von
dem flotten Farbenbruder, dem guten wohlgemästeten Ritschmayer. Und der
gab
bereitwillig und gab lachend. Und das war schön von ihm. Er wollte kein
Mitleid
sehen, kein Mitleid fühlen der trotzige Lebenskünstler im Havelock. Das
wußte
der dicke gemütliche Ritschmayer; darum gab er lachend, trotzdem ihm
der
»stiere« Theobald Volkmar noch zehn Gulden schuldete, die er gebraucht
hatte
für die Taxe zum letzten Rigorosum.
Jetzt
jagte
ihn der Sturm in eine Seitengasse. Wütend kehrte er um, rang mit der in
wilder
Siegesfreude aufheulenden Windsbraut, schwamm geradezu in Sturm und
Schnee und
Regen und schnaufte tief auf, als er wieder in der Hauptstraße
trottete.
Nur
da nicht
hinein! Nur da nicht durch! Dort drinnen in der Gasse stand das große
Zinshaus
seines steinreichen Onkels. Das glotzte ihn immer so höhnisch an mit
seinen
vielen Fenstern und seiner aufgeklebten protzigen Zementfassade – recht
wie ein
freches Emporkömmlingsgesicht.
Der,
ja der
hatte Wärme und Geld und alles was er wollte, der Bruder seines armen
toten
Vaters, und brauchte für niemand mehr zu sorgen. Aber er hatte
sicherlich auch kein Mitleid, keines in den Zügen zur
Schau getragenes und keines im Herzen.
Was
zum
Teufel war es denn, was die beiden Brüder trennte?! Haß? Nein: Stolz,
Stolz war
es, was den Vater trennte, und Trotz, was den Onkel fernhielt. Weil der
Vater
das arme zarte Mädchen genommen hatte anstatt die reiche derbknochige
Schwägerin des Onkels. So fing's an. Dann kam des Vaters Stolz ins
Glühen und
Brennen. Er werde schon zeigen, werde schon beweisen, daß er ohne
Mammon durchs
Leben komme! Seines Lebens Sonne sei die Liebe, seines Lebens Wonne die
Arbeit!
»Bettelstolz!«
hatte der Onkel gehöhnt. Und darauf flog seines Zimmers Tür dröhnend zu
–
zugeworfen von dem erzürnten Vater, dem sie gewiesen worden war! Und es
flog
eine zweite Tür zu und eine dritte: die Herzen der Brüder waren
verschlossen
für einander und für immer.
So
mächtig
sind Stolz und Trotz. O Sturm, was bist du für ein jämmerlicher
Kraftprotz
gegen diese Giganten im Menschenherzen!
Aber
des
Vaters Sonne leuchtete und seine Wonne ging nie aus. Und ihr gesellten
sich
froher fröhlicher Sinn bei und sonnenheitere Freude, stille warme
Lebensfreude,
die über den Seelen von Vater und Mutter lagen wie ein Sonnenglanz. Und
in
seinem Herzen, in seinem Hause blühte und duftete die Wunderblume
Zufriedenheit
und waltete und webte still der Zauber unbewußter Poesie: das stille
echte
Glück war zu Hause bei Vater und Mutter und sein Sonnenglanz fiel auch
auf ihn,
den heranwachsenden Sohn. – Da mußte wohl eines Tages der Neid
vorbeigegangen
sein an dem Hause des Glückes und es dem Bruder Hein verraten haben.
Und der
kam und nahm den Vater mit und ließ Frau Sorge zurück. Und die rief
bald, ach! nur zu bald ihre unerbittliche Schwester
herbei – die Not. Die wehrt den Leibern das tägliche Brot und bringt
der Seelen
duftende Blüten langsam zum Verdorren ...
Allmählich
verblaßte nach des Vaters Tode aller Glanz. Die Hilfsquellen
versiegten, das
hinterlassene Geld ging aus. Gar viel war's ja nicht. Nur der Stolz
blieb dem
Sohne als Erbe. Und dieses Erbe konnten nicht Not und nicht
Hunger schmälern. Es mehrte sich noch und verstärkte sich noch durch
den Trotz.
Diese beiden Tyrannen seines Herzens stellte er dem Onkel entgegen,
der, durch
des Bruders jähen Tod weich gestimmt, rasche Versöhnung suchte. Der
Sohn aber
wies ihn kalt ab: er, der dem Bruder die Tür gewiesen habe, er hätte
müssen den
Weg zum Bruderherzen im Leben finden und nicht nach dem Tode. Für
dieses
nachhinkende Mitgefühl danke er!
Da
hatte der
gereizte Onkel ein böses Wort gesagt: auch wenn er einst – und das
werde
kommen! – in Not und Elend vor ihm auf den Knien liegen werde, würde er
ihn
nicht erhören und ihm nicht helfen, dem Starrkopf, und wenn er zugrunde
gehn
sollte vor seinen Augen! Damit war's aus mit den zweien, rundweg aus.
So
ging in
leuchtenden Bildern und ging mit Schaudern und Grimm die Vergangenheit
an dem
jungen Manne vorüber, der mit dem Lebenssturme weit härter zu ringen
hatte, als
jetzt mit dem wütigen Herbststurme.
Seine
Mienen
waren düsterer geworden als droben der graue Himmel. So trat er in den
kleinen
Krämerladen in der Nähe seiner Wohnung, bestellte Holz und Kohle und
nahm einen
kleinen Imbiß mit – für die Mutter. Dabei knurrte ihm der Magen just
vor dem
grinsenden Krämer boshafterweise so laut, daß der Mann es hören konnte.
Ueberstürzt eilte Theobald davon.
Als
er in
die Stube trat, die noch manch liebes altes, erinnerunggeweihtes
Möbelstück
enthielt, lag auf seinem Angesichte ein Lächeln, das so heiter scheinen
sollte
wie eitel Frühlingssonnenschein und doch nur eines Lächelns
herzberührendes
Zerrbild war.
Die
Mutter
sah's und – lächelte ihn gleichfalls an. Aber es war nicht das
wehmütige
Lächeln, das wie sonst dem Sohne verriet, sie habe ihn durchschaut bis
auf
seines Herzens dunkelsten Grund: scheu lächelte sie heute und verlegen,
schier
schamhaft und doch so lieb, so unendlich lieb, daß der erregte Sohn sie
in
seine Arme schloß und aufstöhnte, aufschluchzte vor Freud und Weh.
Er
riß sich
rasch los und zog seinen Schatz hervor.
»Mutter
–
da! Für dich!«
»Und
du?«
»Hab
schon
gegessen – im ... im Studentenheim ...«
Sie
sah ihn
forschend an und glaubte ihm nicht recht. Im Studentenheim hatte man
ihn
neulich wie einen Bettler behandelt. Dahin ging er also wohl nimmer.
Und neu
war ihr diese Selbstverleugnung an ihrem Sohne auch nicht, neu war ihr
auch
nicht, daß er lieber Hunger litt, als sie darben zu lassen. Er sei
jünger – sie
müsse sich zuerst sattessen. Für ihn tat's auch eine Krumme trockenen
Brotes.
Sonst
gab es
immer gar seltsam lieben Zank nach solcher Opfertat des Sohnes – heute
nahm sie
das Päckchen wortlos hin, legte Wurst und Schinken fein säuberlich auf
einen
Teller und sagte dann mit fast schalkhaftem Lächeln – wie gut stand das
ihrem
zarten Gesichtchen! – sie wolle schon essen – o! – sehr gern; denn sie,
sie
habe ja wirklich ... Appetit. »Hunger«, sagte sie nie.
Das
Wort hatte einen gar
zu bitteren Beigeschmack, seitdem sie es seinem ganzen Grimme nach
kannte. Ja ja,
sie werde schon essen, aber der Sohn müsse auch essen – was viel
besseres, viel
feineres!
Damit
ging
sie an dem maßlos erstaunten Theo vorbei in die kleine saubere Küche
hinaus,
und kam lächelnd zurück, eingehüllt in eine duftige Wolke, die von der
– ja
wahrhaftig! von der Bratenschüssel aufstieg!
»Ja
was ist
denn das?«
»Rostbraten
mit Essig gespritzt, mein lieber Theobald. Und geröstete Kartoffeln
dazu. Dein
Lieblingsabendmahl!«
»Ja,
wer hat
denn ...«
»Iß
nur und
frage nicht! Iß! Glaubst du, ich hab deinen Magen nicht knurren hören!
O der!
Der hat eine Aufrichtigkeit! Aber so komm doch!«
»Keinen
Bissen nehm ich, bevor ich nicht weiß, woher das kommt!«
»Na,
woher
soll's denn kommen? Vom Fleischhauer!« scherzte die Mutter gutlaunig.
»Mutter,
du
weißt! Sag mir's! Oder ich geh fort! Ist's vom Onkel?«
Wie
seine
Augen funkelten und seine Brauen sich zusammenzogen! Die Mutter kannte
das.
Verlegen, so ganz wundersam verlegen stand sie eine Weile da, zog an
ihrer
blühweißen Schürze und hauchte endlich hervor:
»Nein,
nicht
vom Onkel.«
»Von
wem
denn? Hast du ...« Er blickte im Zimmer musternd herum. Sie wußte,
was er
meinte.
»Nein,
auch
nicht. Es ist von ... von Fräulein Erna.«
Wie
von
einem Peitschenhiebe getroffen, zuckte der junge Mann zusammen. Bis in
die
Schnurrbartenden zitterte er. Erna war seines Hausherrn feines und
schönes Töchterlein – und er liebte das schöne
feine Kind in aller Glut und Heimlichkeit.
»Almosen!«
knurrte er und sank auf den Stuhl, daß er krachte.
Die
Mutter
stand betroffen da.
»Ich
will
keine Almosen!« brauste er auf, sprang empor und wollte nach dem
dampfenden
Teller greifen. Er hätte ihn zu Boden geschmettert, wäre nicht die
Mutter
blitzschnell dazwischengetreten. Hart war er an sie herangekommen in
seinem
Ungestüm. Sie wankte, die zarte zierliche Frau, und mußte sich an den
Tischrand
klammern, um nicht zu stürzen.
Da
warf sich
der Sohn auf den Stuhl zurück, ließ das Haupt auf den Tisch sinken und
schluchzte herzergreifend.
Nun
wurde
auch das Auge der Mutter feucht. Und sie ahnte nicht einmal, was alles
ihres
Sohnes Seele in diesem Augenblick durchstürmte.
Langsam
war
sie auf ihn zugeschritten, legte ihre schmale weiße Hand auf Theobalds
zuckende
Schulter und sagte mit der ganzen lieben Milde, die sie erfüllte:
»Schau
Theo,
du sollst nicht so sein. Nicht gar so stolz und so viel zornjäh.« Und
als keine
Antwort kam:
»Und
das mit
Fräulein Erna ist so einfach kommen und ist so schön von ihr, so lieb.
Hör doch
nur! Heut kommt sie auf einmal da herein zu mir in ihrer blonden
Lieblichkeit –
wie ein Engel. Dann beginnt sie zu plaudern und sagt mir, sie habe
gestern in
einer Familie von unserem Vater reden hören – so viel Gutes und so viel
Schönes, daß sie sich fest vorgenommen habe ...«
»Uns
Almosen
anzubieten!« stöhnte Theobald auf.
»O
nein!« erwiderte die Mutter sanft und
lächelte. »Daß es uns nicht glänzend geht, ist ihr ja kein Geheimnis
geblieben. Denk doch, wie schwer wir immer den Zins zusammen bringen
und
nie zum Termin.
oben
weiter