Im Sturm 3
Als
er sich nächsten Morgens mit dem dunklen Anzuge, den der Onkel unter
den
Baum gelegt hatte, fein herausputzte, umgaukelten sie ihn wieder, diese
Lichtbilder des Glückes und er wußte nicht mehr, was er gesonnen im
Wachen und
was er gesponnen mit des Traumes Hilfe.
Die
Mutter war, ganz eingehüllt in neues weiches Pelzwerk, in die Kirche
gegangen.
Eben
wollte auch er nach dem Pelze langen, als draußen geläutet wurde.
Gleich darauf hörte er die Wohnungstür öffnen und im Vorraume leise
Schritte.
Kam die Mutter schon zurück?
Da
ging nach flüchtigem Klopfen die Tür auf und – Erna stand vor ihm. Sie
schien ihm bleicher als sonst und einigermaßen verlegen. Gleich darauf
aber
sagte sie mit der ihr eigenen Sicherheit:
»Guten
Morgen, Herr Volkmar.«
Er
erwiderte verlegen ihren Gruß und kam sich in dem neuen Anzuge ungemein
gespreizt vor. Stockend sprach er weiter:
»Die
Mutter ist nicht daheim und ich – ich wollte eben ... wollte eben
hinuntergehn zu Ihnen, Fräulein Erna, mich bedanken ...«
»Sie
haben mir nichts zu danken, Herr Volkmar. Ich wollte, ich
könnt ...«
Sie schwieg. Eine brennende Glut war in ihr bleiches Angesicht
gestiegen und
rasch wieder versiegt. Starr und totenblaß war es nun geworden. Mit
ganz
veränderter Stimme brachte sie nun mühsam hervor:
»Herr
Volkmar, was ich Ihnen jetzt sagen muß, das durften Sie durch niemand
anderen hören als durch mich. Und Sie mußten es zuerst wissen.
Vielleicht
sollte ich nicht so handeln, aber ich glaube, es muß so sein. Darum bin
ich
gekommen.«
Er
sah sie an und durch seinen Körper ging ein jähes seltsames Frösteln.
Sie
hatte den Blick gesenkt und sprach das bedeutsame Wort tonlos aus:
»Ich
habe mich gestern abend – verlobt, Herr Volkmar.«
Wie
er sich auch zusammennahm: es zuckte durch seinen Körper, als hätte ihn
ein Schlag ins Gesicht getroffen. Und ganz äußerlich fielen die Worte
von
seinen Lippen:
»Ich
gratuliere, Fräulein Erna.«
Sie
sah ihn an, traurig-ernst und tief bewegt.
»Es
soll kein Zwang sein zwischen uns, Herr Volkmar, und keine Verstellung.
Wenn ich Ihnen weh getan habe ...«
Da
richtete er sich trotzig auf. Und hart und herb stieß er die Worte
hervor:
»Und
deshalb haben Sie das alles getan? Aus Mitleid! Aus purem Mitleid!«
»Nein,
Herr Volkmar!« entgegnete sie ernst und fest und ihre Stimme bebte in
verhaltener Erregung. »Nicht aus Mitleid! Ich hab's getan, weil ich Sie
hochschätze, weil ich Ihnen gut bin, Herr Volkmar. Ich habs getan, weil
ich
Ihre Mutter lieb habe, so lieb haben kann, wie ich die meine lieb
hatte, und
ich habs getan, weil ich nicht mitanschauen kann, wenn gute edle
Menschen leiden.
Es fiel mir schwer, den ersten Schritt zu tun – weil ich sah, daß Sie
mir gut
sind. Aber ich ließ mich nicht abschrecken. Das einmal erkannte Gute
führ' ich
aus, je früher, desto besser. Das ist das schönste Vermächtnis meiner
frühverstorbenen Mutter. Verzeihen Sie also, wenn ich Ihren
Stolz ...«
»Um
Gottes willen, nicht weiter, Fräulein Erna! Ich, ich bitte Sie um
Verzeihung! Ich bin ja rauh geworden! Ich bitte Sie um Verzeihung!« Aus
seiner
Stimme konnte sie seine gemarterte Seele herausklingen hören.
Unfähig,
ein Wort hervorzubringen, reichte sie ihm wie bittend beide Hände
hin. Um ihre Lippen zuckte es.
Da
kam es über ihn, er wußte nicht wie. Leidenschaftlich erfaßte er die
dargebotenen Hände, schlang seine Arme um das holdselige Kind, preßte
es an
seine Brust und küßte es, küßte es mit der ganzen Gier eines nach Glück
und
Liebe dürstenden Herzens.
Bleich
und gelähmt von unsagbarem Schreck, lehnte sie eine Weile an seiner
Brust. Dann geschah etwas Unerwartetes: sie schlang plötzlich ihre Arme
um
seinen Nacken und küßte ihn nicht minder heiß als er sie geküßt hatte.
Und
unter stürzenden Tränen gestand sie ihm:
»Ich
liebe dich. Ich liebe dich unaussprechlich!«
Da
faßte er sie an der Schulter, schob sie von sich weg, und sah ihr ins
erglühte Angesicht wie ein Wahnsinniger.
»Du
liebst mich ... Und doch hast du dich mit einem anderen verlobt!«
»Es
war der letzte Wunsch meiner sterbenden Mutter. Sie glaubte fest, ich
werde glücklich sein mit dem ernsten stillen Vetter Alfred. Drei Jahre
schon
verschiebe ich die offizielle Verlobung. Ich hab das getan, weil ich an
seiner
Seite immer so still wurde, wie er selbst ist. Dem Vater aber sagte ich
immer,
ich sei noch zu jung ...«
»Und
jetzt, jetzt hast du's doch getan weil du mich ...«
»Weil
ich gefürchtet hab, ich könne nicht mehr die Kraft aufbringen ... O,
wüßtest du, was ich gelitten hab die ganze Zeit her!«
»Das
darf nicht sein! Das darf nicht geschehen! Du darfst nicht das Opfer
deiner Kindesliebe werden! Liebst du ihn denn, diesen stillen Herrn
Vetter?«
»Ich
bin ihm gut, ja. Aber was Liebe ist, weiß ich erst durch dich.«
»Dann
seh er sich vor, dieser Herr Vetter Schweigsam! Mein bist du! Mein
durch die Kraft und Heiligkeit unserer Liebe! Darum will ich dich
erkämpfen
wenn's sein muß mit dem Einsatz meines Lebens!«
»Das
wird nicht nötig sein!« sagte da plötzlich eine fremde Männerstimme.
Erstaunt
und betroffen sahen sich beide um.
»Alfred!«
Bleich und starr stand sie da.
»Mein
Herr! Mein Name ist Theobald Volkmar.« Mustergültig förmliche
Verbeugung, ein Blick, der alles sagte. Erwiederung weniger steif, aber
»tadellos«:
»Alfred
Bründherr. Es braucht kein weiteres, Herr Volkmar. Ich bin meiner
Base unbemerkt nachgegangen. Zuerst aus Neckerei, dann aus Neugierde.
Dann
dacht' ich, du könntest ja auch die liebe Frau Volkmar kennen lernen –
tret ein
und höre Ihre Stimme, mein Herr.« Kleine Pause. Die Blicke aller am
Boden.
Alfred
Bründherr faßte sich zuerst: »Sie haben ganz recht, Herr Volkmar:
Erna darf nicht das Opfer ihrer Kindesliebe werden. Und ich,« hier
wurde seine
feine Stimme schneidend, »ich will keine Frau, die mich nicht liebt.«
»Hätt'
er längst sehen können,« dachte Theobald bei sich und verbiß ein
Lächeln. Erna aber unterdrückte es nicht; mild lächelnd sah sie Alfred
an und
fragte: »Sag mir, Alfred, fällt's dir sehr schwer? Aufrichtig!«
»Schwer
wird's mir schon; aber sicherlich nicht so schwer, wie es diesem
Herrn da würde, mein' ich. Um es kurz zu machen: Ich gratuliere!«
»Und
der Vater?« Die rasche Frage Ernas störte einigermaßen die
gegenseitigen,
grausam-eleganten Verneigungen der beiden Herren. Alfred lächelte
verbindlich.
»Den
werd ich schon vorbereiten,« meinte er überlegen. »So viel ich ihn
kenne, wird er dem – wahren Glücke« – es zuckte bei diesen Worten
seltsam um
seine bärtigen Mundwinkel – »seines Lieblings nicht im Wege stehn.« Und
bitter-ernst fügte er hinzu: »Es ist ja zum Glück das Schwierigste
nicht zu
überwinden: unsere Verlobung ist noch nicht veröffentlicht.«
»Das
Schwierigste nennt er das! Und Glück!« blitzte es durch Theobald und
ein scharfes Wort drängte sich gegen seine Zungenspitze, ein Wort, von
dem er
wußte, daß er es mit der Degenspitze werde einlösen müssen. Aber wozu?
Der Herr
Vetter ist ja so entgegenkommend! Mit einem raschen Blicke unendlichen
Wohlwollens umfaßte er die geschmeidige Gestalt des feinen glatten
Mannes und
sagte dann, in Miene und Ton und Gebärde voll unverschämter
Höflichkeit:
»Danke
verbindlichst!« Dabei zwirbelte er hastig den blonden Schnurrbart, so
daß er fröhlich-frech und herausfordernd vorstach.
Der
andere, der, wie der wunderschöne Durchzieher an seiner rechten Wange
zeigte, just auch kein Kneifer war, mußte wohl geahnt haben, was im
Geiste und
Empfinden seines glücklichen Gegners während dieser peinlichen Sekunden
vorgehn
mochte; denn er verneigte sich forsch und klirrte hervor:
»Bitte
sehr!« Dann ging er.
»Ein
lieber Kerl!« rief Theobald mit einem Gemisch von Spott und
aufrichtiger Bewunderung, als der Mann draußen war.
»Ja,«
sagte Erna ernst darauf, »er war immer streng »korrekt«. Und leiser
fügte sie hinzu. »Fast mehr, als gut ist.«
»Mehr,
als gut ist!« wiederholte Theobald. »Um Gottes willen! Ein ganzes
Leben an der Seite dieses Mannes, Erna, ein ganzes Leben!«
»Es
wär gewesen wie ein klarer wolkenloser Tag,« erwiderte sie ernst. »Aber
wie ein – Wintertag. Du hast mir Sonne und Wärme gebracht, Theobald!
Wie werden
wir glücklich sein! So glücklich, wie – deine Eltern waren ...«
Da
nahm er sie, doppelt beseligt, in seine Arme.
Wieder
ging die Tür auf. Schnell und erglühend löste sich Erna los und eilte
auf die frohbetroffene Frau zu.
»Mutter!«
rief sie leise; aber es klang ein Jubel in ihrer Stimme. »Mutter!
Liebe, liebe Mutter!«
Sie
ließ sich vor der kleinen zarten Frau nieder und küßte ihr
glückfeuchten
Auges die schmalen Hände.
Abends
waren sie alle drunten um den Christbaum versammelt, den Erna
geschmückt hatte.
Alfred
Bründherr hatte alles aufs beste eingerenkt. Man feierte abermals
Verlobung. Der Vetter war so überaus »korrekt«, zu diesem Feste nicht
zu erscheinen.
Aber er hinterließ ein schönes Wort: er beglückwünsche Theobald, der
sich sein
Glück im Sturm erobert habe, und beglückwünsche Erna zu ihrer
zweifellos
sonnigen Zukunft. Was aber auch kommen möge – sie könne ruhig sein: ihr
Auserwählter werde aufrecht dastehn und sie zu schützen und zu schirmen
wissen
in jedem Lebenssturme.