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04.2
Gedichte
Georg Weerth
Erst
achtzehn Jahr
Ein
letztes Glühn! Da zog an brit'scher Küste
Dämmernd
herauf die schönste Winternacht;
Im
Mondenstrahle floß die Wasserwüste,
Und
auf den Hügeln lag des Schnees Pracht.
Leer
das Gestad. Es schwieg der Dampfer Sausen;
Matros
und Krieger war'n des Tages matt; –
Doch
durch die Stille sandte dumpf ihr Brausen
London,
der Themse dunkle Riesenstadt.
Ihr
galt es gleich, mocht auch der Schlummer drücken
Manch
müdes Auge zu ersehnter Ruh;
Es
wälzte donnernd über Park und Brücken
Derselbe
Lärm sich nur dem Morgen zu.
Zaubrisch
und still da draußen das Gefild!
Hier
nur das Volk, in buntem Strome, wild
Zusammenflutend,
schaffend, ringend, suchend,
Schwelgend
und darbend, betend bald und fluchend!
Und
Schimmern rings, von Dach und Tor und Fenster;
Dort
buhlt die Luft in seidenem Gewand!
Hier
überm Golde höhnische Gespenster
Und
dort geballt die magre Bettlerhand!
Ein
Seufzer hier, ein Kuß dort! Von Terrassen
Und
Treppen: Jubel, Flüstern und Gestöhn –
Das
ist der Tanz, in dem auf Londons Gassen
Sich
rastlos zwei Millionen Menschen drehn!
Er
brauste fort. Da hob auch Sie vom
Lager
Sich
sacht empor; es fiel der Sterne Licht
Auf
die Gestalt, so tief gebeugt, so hager,
Und
auf ihr bleiches, starres Angesicht.
Sie
sann – nur einen Augenblick; sie preßte
Das
kranke Kind an ihre nackte Brust;
Das
arme Weib schritt rasch durch die Paläste;
Ach,
das Wohin – sie hat es nicht gewußt!
»Der
Mutter Brot! Und Kleider diesem Kinde!«
So
rief sie. »Oh, wie toll das Herz mir schlägt!
Gern
trüg ich dich, mein Sohn, so warm und linde,
Wie
wohl die Mutter ihre Kinder trägt.
Noch
ist es Zeit! Bist du erst großgezogen
Und
siehst am Strand der Schiffe bunte Schar:
Da
eilst du treulos durch die blauen Wogen,
Ein
wilder Seemann, wie dein Vater war!
Dein
Vater? Still! – Das war ein sel'ger Morgen,
Als
weinend ich an seiner Brust erwacht!
Es
kam der Mai, der Juni drauf, verborgen
Hielt
ich, was früh mich schon so bleich gemacht.
Erst
als im Herbst das gelbe Laub der Bäume
Leis
rauschend in die grüne Themse fiel:
Da
ward erfüllt der schönste meiner Träume –
Und
achtzehn Jahr, da steh ich schon am Ziel!
Erst
achtzehn Jahr! Und schon so fahl mein Leben!
Erst
achtzehn Jahr! Und arm und elend schon!
Doch
halt! – Froh will ich meine Stirne heben,
Dem
Vaterlande gab ich diesen Sohn!
Ha!
Reizt denn niemand mein so junger Leib?
Sagt,
die ihr klirrt mit Kreuzen und mit Ketten,
Seid
ihr nicht reich genug, um nur ein Weib,
Ein
britisch Weib vom Hungertod zu retten?«
Sie
schwieg. Dem Gott, der niemals sie erhörte,
Sie
sandte kein Gebet ihm himmelwärts.
Trüb
ward ihr Blick. – Das siedend sich empörte,
Ihr
Blut, zu Eis gerann's – ausschlug ihr Herz!
Die
Lippe bebend jetzt von einem Fluche! –
Ein
Lächeln dann – sie sank – rings tiefe Ruh –
Und
die Natur mit schnee'gem Leichentuche
Deckte
das reinste ihrer Kinder zu! –
Geschloßnen
Augs, erstarrt der Knabe lag
Fest
an der Mutter marmorkalten Brüsten,
Als
weit ein Leuchten durch den Nebel brach
Und
Sonnenstrahlen Strom und Hügel küßten;
Fern
von Westminster feierlich Geläut –
So
tönt es an der Kön'ge Sarkophagen;
Es
klang so weit – es war, als müßt es heut
Rings
nur der Welt den Tod der Armen klagen! –
Die
Glocke klang – doch nicht für dich gerührt,
Armselig
Weib! Getrost! Laß sie erdröhnen
Den
toten Kön'gen nur. Dir ja gebührt,
Du
früh Verblichne, wohl ein ander Tönen.
Dir
tönt der Schrei, den jüngst die Not gepreßt
Aus
tausend Herzen, der in Ost und West
Die
Völker ruft in einen Bund zusammen –
Und
deine Mörder werden sie verdammen!
oben
oben
______________________________
Textgrundlage: „Erst
achtzehn Jahr, Georg Weerth,
aus
Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1,
Berlin
1956/57,
gemeinfrei
zeno.org
Logo 506: "Copes
Tobacco Works", Nelson Street,
Liverpool 1889
Urheber
Johna Wallace, gemeinfrei
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