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Literatur


04.2



Gedichte  Georg Weerth






 Es wurde dunkel auf den Gassen
 
Es wurde dunkel auf den Gassen,
Da schlichen sie ins letzte Haus,
Sie täten stumm die Gläser fassen
Und tranken trübes Bier daraus.
Erst als die Mitternacht gekommen,
Da hat ein Alter das Wort genommen:

»Wohl hab ich lang auf Gott vertrauet,
Denn dieser, sagt man, lenkt die Welt,
Und mit dem Pflug hab ich bebauet
Mein schönes grünumgebnes Feld.
Doch ach, was half der Felder Prangen?
Bin hungrig oft zu Bett gegangen.«

»Und wir, wir führten manche Jahre
Die Spindel schon mit rascher Hand,
Wir spannen Fäden, fein und klare,
Zu warmem wollenem Gewand.
Doch ach, was auch die Hände taten –
Sind selber nie in die Wolle geraten.«
 
Und andre sehr gemeine Leute –
Man sah's am schlechten schäb'gen Rock –
Sie sprachen: »Fast es uns gereute,
Daß wir gepflanzt den Rebenstock.
Ob lustig sprühn des Weines Funken,
Wir haben selbst nur Wasser getrunken!«

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 Arbeite
 
Du Mann im schlechten blauen Kittel,
Arbeite! Schaffe Salz und Brot!
Arbeite! Arbeit ist ein Mittel,
Probat für Pestilenz und Not.
 
Arbeite! Rühre deine Arme!
Arbeite sechzehn Stunden so!
Arbeite! Nachts ja lacht das warme,
Das Lager dir von faulem Stroh.
 
Arbeite! Hast ja straffe Sehnen.
Arbeite! Denk, mit schwangerem Leib
Harrt in der Hütte dein mit Tränen
Ein schönes leichenbleiches Weib.
 
Arbeite! Gleich der Stirn der Rinder
Ist ja die deine breit und dick.
Arbeite! Deine nackten Kinder,
Die küssen dich, kehrst du zurück.

Arbeite bis die Adern klopfen!
Arbeite bis die Rippe kracht!
Arbeite bis die Schläfen tropfen –
Du bist zur Arbeit ja gemacht!

Arbeite bis die Sinne schwinden!
Arbeite bis die Kraft versiegt!
Arbeite! – Wirst ja Ruhe finden,
Wenn dein Gebein im Grabe liegt.


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Textgrundlage: „Es wurde dunkel auf den Gassen“,  "Arbeite"
Georg Weerth,
aus Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1,
Berlin 1956/57, gemeinfrei

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Urheber Johna Wallace, gemeinfrei
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