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04.2
Gedichte
Georg Weerth
Vernunft
und Wahnsinn
Dem
Morgen träumt nicht, was der Abend bringt,
Wenn
lächelnd wohl aus rosenrothem Osten
Sein
erster Strahl durch Wald und Fluren dringt
Des
Thaues frische Perlensaat zu kosten.
Wenn
ihr Erwachen hell die Amsel preis't
Und
Hirsche wandeln zu des Thales Bronnen;
Wenn
um die Gletscher still der Adler kreis't,
Sich
in der Frühe heil'gem Licht zu sonnen.
Blau
schaut die Blume aus des Feldes Garben;
Auf
Moor und Weiher schwankt des Schilfes Kranz.
Es
fließt der Strom in Regenbogenfarben
Zum
Meere, wiegend seiner Wellen Tanz.
Und
rauschend im gewalt'gen Wogenliede
Dehnt
unabsehbar sich die grüne Fluth -
Und
Freude nur und wundervoller Friede
Auf
Festland, Insel und Gewässern ruht.
Doch
wie zum Mittag wandelt sich der Morgen,
Hüllt
sich in Schleier auch des Tages Pracht.
Was
einer frühen Stunde tief verborgen,
Es
bricht herein mit Angst und Graus und Nacht.
Der
Himmel tönt von rasselnden Gewittern;
Die
Erde zuckt und birst zu jähem Spalt,
Und
heulend über Fels und Eichensplittern
Der
Sturm entfesselt seine Bahnen wallt.
Es
ras't die Brandung an zerfetzten Küsten,
Und
Dunkel herrscht, bis aus entwölkten Höh'n,
Als
ob sie nichts von Sturm und Wetter wüßten,
Die
Sterne ruhig strahlend niederseh'n.
Und
die vom Staub bis auf zum Firmamente
Gewälzt
sich mit dämonischer Gewalt:
Sie
schlummern dann, die starken Elemente,
Bis
sie ein neuer Kampf zusammenballt.
So
ewiglich, mit wechselndem Gestalten,
Sklavischen
Laufes rollt und kreis’t das All!
Nicht
schöner mag sich die Natur entfalten,
Noch
wenden sich als zu gewohntem Fall.
Die
Welt und Welten aneinander bannte
Mit
unerbittlicher Nothwendigkeit:
Nur
in den Geistern ihrer Menschen brannte
Sie
fort zu schrankenloser Herrlichkeit!
Seit
von der Lippe greiser Patriarchen
Der
Weisheit blumenreiche Rede floß,
Bis
wo die Schädel stürzender Monarchen
Zerstampft
der Freiheit jugendliches Roß:
Hat
die Natur mit ihrer Donnerstimme
Gesungen
stets den mahnenden Gesang,
Daß
Jeder folge seinem Gram und Grimme
Wie
seines Herzens liebevollem Drang.
Die
gleich der Möve keck die See umschwanken,
Die
gleich der Schwalbe ihre Heimath bau'n,
Die
gleich der Wolke blitzen den Gedanken
Und
gleich dem Falken forschend niederschau'n;
Die
sich mit Palmen über Hügeln wiegen,
Mit
Rosen träumen auf bemooster Flur,
Die
gleich dem Tiger zieh’n von Krieg zu Kriegen -
Sie
sollten folgen ihrem Innern nur!
-
In
gleicher Schönheit flammten durch die Zeiten
Des
Raumes Wunder; nur zu höherm Flug
Mocht'
seines Geistes ries'ge Schwingen breiten
Der
Mensch! Der alle Kraft im Busen trug!
Der,
ob er knechtisch sich im Staube wühlte
Und
zitternd sich vor Thron und Altar wand -
Doch
wieder keck mit seinen Göttern spielte
Und
freier nur und herrlicher erstand!
Der
eignen Brust ist Freud und Leid entsprungen;
Vernunft
und Wahnsinn! Schon Jahrtausend' lang
Hat
dieses fürchterliche Paar gerungen,
Den
Kampf gewälzt vom Auf- zum Niedergang.
Es
weht der Staub zermalmter Nationen
In
düstern Massen auf von ihrem Pfad;
Und
ob sie ruhig bei einander wohnen -
Sie
rasten nur zu neuer, größ'rer That!
In
Ost und West ein reges Völkerleben;
Vom
Meere schallt's bis zu der Wüste Saum.
Das
ist ein Ringen, Schaffen nur und Streben
Auf
Feldern, Gassen und der Märkte Raum.
Und
kommt der Morgen sacht herangeschritten:
Da
scheint's, nur Segen schmücke rings das Land,
Als
schaue Liebe süß aus hundert Hütten,
Als
herrsche rings nur ordnender Verstand. -
Wohl
mag die Blume außen üppig winken,
In
ihrem Herzen wohnt nur Angst und Qual!
Wie
einst muß heute noch der Weise trinken
Des
Wahnsinns giftdurchflutheten Pokal.
Mit
Blute leimen sie ihr Werk zusammen,
Die
satt durchtaumeln Tempel und Palast;
Die
Armuth röchelt Wimmern und Verdammen
Und
wild die Lust aus gold’nen Schüsseln praßt!
Doch
wie der Wahnsinn, folgend seinem Rechte,
Sinnlos
mag rasen - so durch alle Welt
Hat
die Vernunft ihr Recht, daß sie die Nächte
Des
Wahnsinns funkenstiebend auch erhellt!
Daß,
eine Löwin, sie die Glieder schüttelt
Und
wieder naht in drohender Gestalt;
Daß
sie den Wahnsinn aus den Fugen rüttelt
Und
über Trümmer fort zum Siege wallt!
Vernichtet
wird der Wahn zu Boden rollen,
Der
mit Gewalt und schmeichelndem Geschwätz
Gebeut,
daß Alle Einem folgen sollen,
Der
Schranken schafft und Regeln und Gesetz;
Der
seine Liebe macht zu Aller Liebe
Und
seinen Haß zum Hasse Aller nur,
Der
sie vergleicht, die menschlich freien Triebe,
Der
Elemente sklavischen Natur! -
Der
Erde gold’ner Morgen ist verronnen;
Anbrach
der wilde, wetterschwang're Tag.
Es
hat den langen, herben Streit begonnen,
Was
schlummernd einst in tiefster Seele lag.
Fort
mag er sich durch alle Zeiten thürmen;
Es
kennt der Mensch kein Ruh’n und Stillesteh'n.
Nur
aus des Wahnsinns fürchterlichsten Stürmen
Wird
die Vernunft zu schönerm Siege geh'n! –
oben
oben
______________________________
Textgrundlage:
"Vernunft und Wahnsinn",
Georg Weerth,
aus:
Vorwärts, Herausgeber, Rudolf Lavant,
1. Auflage, ED: 1886, Verlag der
Volksbuchhandlung
in Hottingen, Zürich
wikisource
Logo 505: "Het gieten van ijzer in blokken!,
ca. 1890, Hermann Heyenbrock
Aus
Wikimedia Commons, dem freien Medienarchiv
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