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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Grach
ging, ohne eigentlich
zu wissen wohin. Während er noch in die Gedanken versunken war, die ihm
in
diesen Stunden gekommen und die er nun weiter und zu Ende dachte,
während er so
in Gedanken zu Boden sah, ging er ganz instinktiv die Wege, welche zur
Höhe des
Berges zwischen den Gärten und ihren Mauern hinführten, und welche er
so zahllose
Male als Kind und als Knabe im Spiele gelaufen, lernend, erzählend, mit
Kameraden und allein, traurig und fröhlich gegangen war.
Er
sah nicht wohin er ging. Nur ins Freie, hinaus, fort aus der Albernheit
dieser Enge, die ihn da eben stundenlang umschnürt gehalten hatte!
Er
war wie zerschlagen.
Seit
Langem hatte ihn nichts, keine Unterredung, keine Diskussion, keine
Verhandlung,
so ermüdet, wie die Unterhaltung dieses Nachmittags.
Ihm
war, als habe er Zuckerwasser trinken müssen, in großen Quantitäten,
ein
Glas nach den andern. Ihm war, als sei er umhergetappt in schwülen und
haltlosen Nebeln, als habe er etwas Weiches, Zerrinnendes zwischen
seinen
Fingern gehalten, etwas, das formlos war und keine Gestalt annehmen
wollte, er
mochte bilden, wie er wollte.
Es
war die Moral der Bourgeoisie gewesen, mit der er eben diesen Kampf
gekämpft
hatte, diese satte, selbstgefällige, verächtliche Moral, die keinem
Gedanken
Stand hielt, an jeder Wahrheit genäschig schleckte und Alles, Alles
herunterzog
in den Staub ihrer Mittelmäßigkeit. Er haßte sie, diese Menschen, er
fühlte
erst jetzt, wie sehr er sie immer gehaßt hatte: ihre Anschauungen, ihre
Sitten,
ihre Gewohnheiten, ihr heuchlerisches Weinen und ihr oberflächliches,
humorloses Lachen!
Was
wollte denn diese Frau eigentlich?
Hatte
sie nicht Alles, was
ein Mensch nur an äußerlichem Glück begehren konnte?
Sie
war schön. Sie war noch
jung. Sie war reich. Aber sie hatte einen Mann, der wohl zuweilen eine
eigene
Meinung zu haben sich erlaubte; einen Mann, der sie nicht so
befriedigte, wie
ihre Natur es verlangte. Nun, warum ging sie nicht von ihm, wenn sie es
bei ihm
nicht mehr „aushalten“ konnte?
Nichts
hielt sie, als die kindischen Anschauungen ihrer Klasse von Ehre und
Sittlichkeit.
Die
Welt lag vor ihr. Warum ging sie nicht hinein, lernte kennen, was dem
Suchenden so interessant, so geheimnisvoll, so neu und so unendlich
reizvoll
erscheinen muß?
Weshalb
genoß sie nicht die Schönheit dieser Welt von welcher sie nichts
kannte?
Sie
konnte nicht allein sein. Zu flach, um sich selbst auch nur auf eine
Stunde
zu genügen, konnte sie auf eine Stunde nicht die Gesellschaft
entbehren, deren
Leben ihre Nahrung war. Machtlos sich durch ihre eigene Persönlichkeit
neue Verbindungen
zu schaffen, wäre sie draußen in der weiten Welt gestorben vor
Langeweile,
verzehrt von Sehnsucht nach dem kleinlichen Getriebe ihrer früheren
Tage.
Deshalb
mußte sie bleiben, wo sie war, auf dem Platze, auf den sie ihr eigener
freier Wille gestellt hatte und den zu verlassen sie nicht die Kraft
besaß.
Sie
mußte ihr „Unglück“ weitertragen.
Er
glaubte nicht an dieses Unglück.
In Wirklichkeit hatte er nie geglaubt, daß diese Frau jemals
unglücklich werden
könne.
Außerdem
würde sie ihren Mann allmählich besiegen. Eine echte Frau, die sie
war, würde sie ihn mürbe machen -: langsam, nach und nach, mit aller
Zähigkeit,
würde sie ihm Locke auf Locke seiner Kraft rauben, bis er willenlos
geworden
war ihr gegenüber.
Der
Mann war mehr zu bedauern, als sie.
Für
ihn aber war sie eine
abgetanene Sache. Es war eine Dummheit gewesen, daß er hierher gekommen
war. Er
gehörte nicht zu den Menschen, die sich schämen, ihren Dummheiten ins
Gesicht
zu sehen. Aber er glaubte doch, nun sagen zu dürfen, daß er so bald
wieder
keine neue machen würde.
Am
liebsten wäre er noch
heute Abend abgereist. Aber er wußte nicht, wann die Züge gingen. Und
außerdem –
er war nun einmal hier. Die Hitze des Tages begann langsam
nachzulassen. Er
wollte noch einige Stunden verbringen auf dieser Höhe mit dem Blick auf
die
Stadt zu seinen Füßen. Irgendwo würde er schon ein grünes und kühles
Plätzchen
finden.
Und
mit dem ihm charakteristischen Ruck seiner Schultern schüttelte er die
Erlebnisse
dieses Nachmittages von sich: aus seiner Stirn und von seiner Brust.
Nun waren sie ihm erledigt für immer.
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