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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
-
Eine komische, kleine
Stadt! hatte er noch vor drei Stunden zu sich selbst gesagt.
Aber
von dieser Höhe aus gesehen schien die Stadt weder klein noch komisch,
und
er dachte, es müsse gräßlich sein, in ihr zu leben und zu sterben.
Gewiß
– man wußte nicht mehr, was der Nachbar kochte und aß, aber was er
trieb
und ließ, man kümmerte sich darum noch immer bis in die kleinsten
Einzelheiten
hinein.
Daher
wagte sich Keiner zu rühren, und bei jeder Handlung, die er beging, sah
er zuerst den anderen an, ob dieser dasselbe je getan oder je tun
würde.
Es
gab Männer von Genie in dieser Stadt: aber ihr Genie war völlig
einseitig.
Es war einzig darauf gerichtet, Geld in möglichst großen Massen
zusammenzuspeichern.
Ein schlechterer Gebrauch konnte von demselben nicht gemacht werden,
wie es
hier geschah: es blieb oft einfach liegen und vermehrte sich dann –
infolge der
Privilegien,welche es schützten – von selbst. Er zog alle Kraft und
alle
Energie dieses ganzen Landes an sich. Es war ein kaltes, grausames,
sinnloses
Ungetüm, unersättlich und gierig.
Auch
denen, die es besaßen, gab es nichts. Denn sie hatten keinen Geist. Sie
hatten keine Spur von Geist. Sie machten alle Jahre eine
vierwöchentliche Reise
und schickten ihre Söhne einige Jahre in die Freiheit des Lebens.
Außerdem
gaben sie alle paar Wochen ihrer ganzen Familie große Essen, bei denen
es hoch herging. Mach sprach im heimischen Dialekte und ergänzte die
Familienchronik.
Das
war aber auch alles. Für kein Vergnügen feinerer Art hatte man hier den
geringsten Sinn. Man besaß kein Theater, keine Konzerthalle, und man
kaufte nie
ein Buch. Die Kunst war hier so heimatlos wie die Wissenschaft.
So
war es vor zehn Jahren
noch gewesen.
Ob es
heute noch so war,
wußte Grach nicht. Es war ihm auch gleichgültig. In der Zeitung der
einen Stadt
– die der einen war konservativ, die der anderen freisinnig, und sie
lagen sich
natürlich beständig in den Haaren – hatte sich noch kein Wort geändert
gegen
früher. Er hatte sie beim Essen durchflogen.
Nein,
es war keine komische Stadt, wenigstens nicht für den, welcher in
ihr zu leben
gezwungen war.
Es
war auch eigentlich keine kleine
Stadt, denn sie füllte, wie er jetzt sah, die ganze Breite dieses
Tales. Sie
hatte sich vergrößert. Man hatte – traurig genug – zu den drei alten
noch zwei
neue Kirchen gebaut.
Dieses
Tal entbehrte der Anmut nicht. Der träge Fluß durchschnitt üppige
Wiesen
und die Hügel waren bedeckt mit dichtem Tannen- und Laubholz. Aus einer
dieser
dunklen Kuppen ragten die schlanken Turmspitzen eines modernen
Schlosses in den
sonnenheißen Himmel. Dort wohnte der König der Gegend. Er wußte, daß er
das
war: er redete seine Arbeiter mit Ihr an sorgte für sie, wie „ein Vater
für
seine Kinder“. Ihm ging es gut dabei; seinen Kindern weniger. Never
mind!
Und
immer wieder wandten sich Grachs Augen nach rechts und nach links,
dorthin,
wo an den Grenzen seiner Blicke die Wolken des Rauches sich ballten zu
seltsamen, fremdartigen, formlosen Gebilden.
Ideen
schienen es zu sein, die nach Gestaltung rangen. Und er sah im Geiste
den
Tag, wo diese Ideen, nicht am hellen Nachmittag in heißer Sonne, nein,
am
kühlen Abend, beim Beginn der Nacht, in ruhige, markige Gestalten
verkörpert,
von beiden Seiten dieses Tales herangezogen kamen und diese ganze
abgelebte
Gewöhnlichkeit, dieses ganze Nest von Ämtern, Titeln und Würden, diese
ganze
Uniformiertheit der Gesinnung so durcheinander rüttelten, daß die
friedlichen
Schläfer dieser guten Städte am nächsten Morgen nicht mehr wissen
würden, auf
welcher Seite des Flusses sie eigentlich waren.
Dann
würde er vielleicht endlich geendet sein, der erbitterte Streit um die
Oberherrschaft.
Aber
dann würde es auch zu spät sein.
*
Eine
komische, kleine Stadt!
Nein,
es war weder eine komische, noch eine kleine Stadt.
Trotz
der Hitze fröstelte
Grach.
Die
Sonne quälte ihn und
seine undankbaren Gedanken quälten ihn ebenfalls.
Hatte
er nicht Grund
dankbar zu sein?
Dankbar
dafür, daß er nicht mehr hier zu leben brauchte? -
Er
wandte sich ab und stieg
den Weg weiter hinauf. Ein Blechschild fiel ihm in die Augen:
„Gartenwirtschaft.“
Das war, was er suchte. Bäume und Schatten und Stille.
Er
stieg eine Treppe empor und durchschritt die Tür. Da stutzte er
plötzlich.
Vor
ihm her ging eine Frau.
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