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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Er
erkannte sie sofort.
Nur
eine Frau war ihm im Leben begegnet, welcher dieser feste, stolze Gang,
diese aufrechte, und doch graziöse Haltung eigen war: Dora Syk. Sie
mußte seine
Schritte gehört haben, denn sie wandte sich um.
Zu
gleicher Zeit streckten ihre Hände sich einander entgegen und faßten
sich mit
starkem, freundschaftlichem Druck
Die
Freude, sich wiederzusehen,
war auf beiden Seiten gleich groß und ehrlich. Gleich war aber auch bei
beiden
eine gewisse Verlegenheit: man war hier auf fremdem Boden und wußte im
ersten
Augenblick nicht recht, wie man es dem anderen klar machen sollte,
weshalb man
hier war . . .
Dort,
wo ihre eigentliche Heimat war, in der großen weiten Welt, in dem
Getriebe der ungeheueren Stadt, in den
schrankenlosen Verhältnissen, deren Physiognomie wechselte wie der
schwankende
Tag, in der großen, geistigen Bewegung, waren sie sich zuerst begegnet,
hatten sie
sich gesehen, sich gesprochen, waren sie schnell wieder auseinander
gerissen,
hatten sich nicht vergessen, aber auch kaum mehr aneinander gedacht,
vielleicht
nur deshalb, weil sie keine Zeit dazu gehabt.
Seinen
Namen hörte sie oft: er wurde überhaupt viel genannt; ihren Namen hatte
er lange gekannt, ehe er sie sah, denn er war eine Zeitlang viel
genannt
worden. Es war gewesen, als sie einundzwanzig Jahre alt war und ihr
erstes Werk
Aufsehen erregte. Vor etwas sechs Jahren.
-
Franz Grach!
-
Dora Syk!
Sich
hier wieder zu sehen,
war für beide eine ganz außergewöhnliche Überraschung, und indem sie
nach einem
Wort suchten, um diese auszudrücken, fingen sie beide plötzlich an zu
lachen
und gaben sich nochmals die Hand, wie um sich zu vergewissern, daß sie
es
wirklich waren.
-
Fräulein Dora Syk! rief er aus – Also deshalb hört man nichts mehr von
Ihnen
–
- Es
ist sehr eigentümlich, daß wir uns hier treffen sagte sie, indem sie
ihre
Hand zurückzog.
-
Nicht so sehr was mich
betrifft: bin ich doch hier in der Stadt meiner Jugend. Ich bin nämlich
hier
erzogen.
- So.
Und ich erziehe jetzt hier.
Er
fuhr zurück.
- Das
ist schrecklich. Wen erziehen Sie denn?
Sie
lachte herzlich. „Kinder,“ sagte sie. „Mädchen von zwölf und dreizehn
Jahren.“
- In
der höheren Töchterschule?
- Ja,
in derselben, entgegnete sie, und immer noch lag Lachen um ihren Mund,
-
ich bewundere die Treue Ihres Gedächtnisses. Wie lange waren sie nicht
hier?
-
Fast ein Jahrzehnt nicht. – Hören Sie: Der Herr segne deinen Ausgang
und -
-
‚Und deinen Eingang‘ – ja, so steht es über dem Tore geschrieben.
-
Lachen Sie doch nicht Fräulein Syk! Ich weiß, was es heißen will,
Lehrerin an
dieser Schule zu sein – für Sie ist es unwürdig.
-
Nein, sagte sie schnell und wurde ernst, - es ist nicht unwürdig, um
sein
Brot zu arbeiten. Aber eins ist sicher: es ist lähmend, weil es unnütz,
total unnütz
ist. Denn ich bin gehindert, das zu sagen, was ich sagen möchte, wenn
ich auch
nicht gezwungen bin zu sagen, was ich nicht sagen will . . . Unwürdig?
– Nein,
das Schweigen der Machtlosigkeit ist nie unwürdig.
Er
sah sie inmitten dieser Gesellschaft, die er kannte – die Personen
konnten
sich geändert haben, die Tendenzen nie: der Direktor ein Pietist, die
Lehrer zu
halben Weibern geworden in ihrer falschen Stellung zwischen lauter
Unterröcken,
die Lehrerinnen alte Jungfern, verbittert die einen, emanzipiert in
ungutem
Sinne die anderen – und er hörte nicht auf das, was sie ihm entgegnete.
- Wie
können Sie hier leben? – rief er fast heftig.
- Wie
können Sie sich stellen zu diesen Mumien –
-
Sehr gut. Sie hassen mich so, daß wir fast nie zusammen sprechen.
- Ja,
was sollten Sie auch zusammen sprechen! rief er . – Und machen Sie mir
nur nicht vor, daß es anders ist mit dieser entzückenden Jugend, ich
kenne sie,
diese unreife Gesellschaft, schlimmer als die Buben sind sie: kokett
schon,
noch mit der Puppe im Arm, neugierig, naschhaft, und ganz schon von
dieser
entsetzlichen Schwatzhaftigkeit der Alten, dieser Schwatzhaftigkeit der
Leere,
welche nichts zu sagen weiß, und immer plappert, plappert – o ich habe
sie eben
drei Stunden lang gehört! –
Sie
gingen ruhig weiter, aber sie antwortete ihm nicht mehr. Ihr Beispiel,
dachte er da, dieses herrliche Beispiel der Kraft und Gesundheit, der
Vorurteilslosigkeit und Schönheit, des Geschmacks und der Gesundheit
der
Harmonie, ihr Beispiel, sollte wenigstens dieses nicht schweigend
wirken? Und
er fragte sie danach.
Mit
einiger Ungeduld lehnte sie seine weiteren Fragen ab. Auch ihr Beispiel
nicht, sie sagte es schon. Es war kein Boden bereitet.
Er
merkte plötzlich, daß sie litt und ward still.
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