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Literatur


04.2


Geschichten - John Henry Mackay

Die Menschen der Ehe
Schilderungen aus der kleinen Stadt
 1912


Quellenangabe

Aus der kleinen Stadt 15
 

Während ihres kurzen Gespräches hatten sie den Garten betreten. Über die ganze Kuppe des Hügels hin erstreckte er sich. Seine Bäume waren herrlich. Sie bildeten dichte und schützende Dächer über den Tischen und Stühlen, die überall auf die ansteigenden Terrassen gestellt waren.

Eine große Halle lag auf der höchsten Höhe des Hügels. Sie war roh aus Holz aufgezimmert und dazu bestimmt, großen Massen bei schlechtem Wetter Aufenthalt zu gewähren. Denn an allen Sonn- und Feiertagen belebten hunderte und aberhunderte von Menschen die Stille dieser fast einsamen Höhe; an Wochentagen verlief sich selten ein Gast hierher. Die reiche Natur konnte ungestört die Schäden wieder heilen, die trampelnde Füße, die keine Wege achteten, und rohe Hände, die frevlerisch in dieser grünen Pracht wühlten, ihr schlugen.

Keine Großstadt besaß einen größeren, in seiner rauhen und nie gepflegten Wildheit schöneren Garten.

Grach breitete die Arme aus vor Freude.
- Das ist herrlich! rief er.

Sie lächelte.
- Ja, es ist herrlich! sagte sie auch – Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht die letzten Stunden des Nachmittags hier verbringe. Hier stört mich kein Mensch. Ich kann sitzen, wo ich will, ich kann gehen, ich kann lesen, ich kann tun, was ich will. Mir ist, als sei sie mein, diese ganze Höhe.

An dem Wirtshause vorbei, wo der Besitzer des Gartens mit seiner Familie wohnte, führte sie ihn langsam empor.

- Überall hin können wir uns setzen, Grach, sagte sie. – Wollen Sie die Stadt sehen? Oder wollen wir hier bleiben, auf dieser Terrasse, wo es am kühlsten ist?

- Hier, bat er, - lassen Sie uns hier bleiben. Hier ist es einsam, kühl und schön.

So setzten sie sich, einander gegenüber, an einen der Tische. Ein Mädchen kam mit einer Flasche und einem Glase. Als sie den gewohnten Gast in Gesellschaft eines andern sah, malte sich sprachloses Erstaunen auf dem frischen, jungen Gesicht.

- Kein Bier heute, Kätzchen, sagte Dora Syk, - ich habe Besuch heute. Eine Flasche Rheinwein und zwei Gläser.
Das Mädchen entfernte sich nur zögernd.

- Sie ist völlig außer Fassung, die Kleine. In den drei Sommern ist ihr das nicht vorgekommen. Und, daß ich es Ihnen nur gestehe, auch ich bin etwas verwundert. – Also, die Sehnsucht hat Sie einmal wieder hierhergetrieben? Sie wollten einmal wieder wandeln auf den Fluren ihrer Kindheit?

- Ach was, rief er fast barsch, - ich habe eine Dummheit gemacht, eine große Dummheit.

Er erzählte ihr in hundert Worten war er soeben erlebt.






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