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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Der
Wein glänzte in den
Gläsern vor ihnen. Sie stießen miteinander an.
-
Aber ich bin ausgesöhnt mit meiner Dummheit – rief er in ehrlicher
Freude,
während er sie ansah.
Sie
war es wert angesehen zu werden.
Fest
zurückgelehnt in den Stuhl und die Füße gegen den Boden gestemmt, die
Hände im Schoße gefaltet, saß sie in der unbewegten Ruhe von Menschen
da,
welche viel arbeiten und diese Ruhe, deren sie bedürfen, dann, wenn sie
ihnen
wird, auch wirklich genießen.
Ihren
Hut hatte sie abgenommen und Grach bewunderte die einfache Kunst, mit
der
sie ihr dunkelbraunes Haar in einen griechischen Knoten gebunden trug.
Alle
Linien an dieser
schönen Gestalt waren groß, kühn und frei; lang und natürlich, durch
keine
künstlichen Mittel verziert, fielen die Falten ihres Kleides nieder.
Ihre
Hände, an denen sie keine Ringe trug, waren groß und weiß, und ebenso
waren ihre Zähne, keine ‚Perlen‘-Zähne, aber von tadelloser
Ebenmäßigkeit.
Das
Gleichmaß der ruhigen, großen Schönheit war in ihr verkörpert. Und wie
es
unmöglich war, sich dieses Gleichmaß ihrer Erscheinung durch irgend
etwas:
durch
eine
eckige, unbehilfliche Bewegung, durch die Wildheit eines fassungslosen
Schmerzes, die Raserei einer zügellosen Leidenschaft, die Unschönheit
einer
Erniedrigung oder eines gewaltsamen Überheben gestört zu denken, so
unmöglich
war es auch zu glauben, daß das Alter jemals diese hohe Gestalt beugen,
das
Elend diese einfache Würde knicken, der Tod diese verkörperte
Gesundheit
brechen könne.
Es
gibt Profile, welche hingekritzel scheinen, stümperhafte
Dilettantismen,
verzerrte Karrikaturen in die Breite oder in die Länge, hingeklatscht
von
ungeübter Hand und dann verwischt durch Zerknitterung des Papieres; und
es gibt
Profile, die mit Künstlerhand schnell entworfen scheinen in
verräterisch-schönen Linien voll Weichheit, Grazie und Liebreiz, oder
aber
hingezeichnet in einem großen, wundervollem Zuge in seltener Stunde . .
.
Zu
den letzteren gehört Dora Syks Profil. Ein Ansatz, ein kühner Zug,
rasch,
energisch, meisterhaft – tadellos: so war ihr Profil, welches Grach in
erwachender Leidenschaft mit dem Auge sich immer wieder heimlich
nachzeichnete,
während er es betrachtete.
Nie
war ihm früher die bestechende Harmonie ihres Wesens so aufgefallen,
wie
jetzt. Der beschäftigte Tag hatte damals seinen Blick getrübt. Nun saß
sie vor
ihm und sah vor sich hin, während er sprach.
Und
mehr als alles bezwang ihn der Ausdruck einer beginnenden Müdigkeit,
die
sich über dies schöne Antlitz ausbreitete. Keine Spur von der
Unschönheit der
Bitterkeit, nur das ganz allmähliche Erlahmen . . .
Ein
noch fast unsichtbares Erlahmen.
Aber
er sah es.
Dieser
schöne Mund begann sich zu schließen in der Herbheit des Stolzes – wann
durfte
er einmal sprechen in den Lauten, die er gewohnt war, den Lauten der
Erkenntnis, der Freiheit und des Verständnisses der Liebe? – Diese
tiefen Augen
umschatteten sich bereits. Gewöhnt in die weiteste Ferne zu schauen,
Abwechslung, Fülle, Reichtum alles äußeren Lebens zu trinken, fingen
sie an
sich zu trüben zwischen den Dunstwolken dieses ärmlichen Tales, dem
Rauche der
Feuerherde dieser erbärmlichen Stadt, der Stickluft einer ungelüfteten
Schulstube.
Er dachte an anderes, während er ihr erzählte,
weshalb er hierher gekommen war.
Er wurde unruhig.
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