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Literatur


04.2



Geschichten - John Henry Mackay

Die Menschen der Ehe
Schilderungen aus der kleinen Stadt
 1912


Quellenangabe

Aus der kleinen Stadt 16
 
 
Der Wein glänzte in den Gläsern vor ihnen. Sie stießen miteinander an.

- Aber ich bin ausgesöhnt mit meiner Dummheit – rief er in ehrlicher Freude, während er sie ansah.

Sie war es wert angesehen zu werden.
Fest zurückgelehnt in den Stuhl und die Füße gegen den Boden gestemmt, die Hände im Schoße gefaltet, saß sie in der unbewegten Ruhe von Menschen da, welche viel arbeiten und diese Ruhe, deren sie bedürfen, dann, wenn sie ihnen wird, auch wirklich genießen.

Ihren Hut hatte sie abgenommen und Grach bewunderte die einfache Kunst, mit der sie ihr dunkelbraunes Haar in einen griechischen Knoten gebunden trug.

Alle Linien an dieser schönen Gestalt waren groß, kühn und frei; lang und natürlich, durch keine künstlichen Mittel verziert, fielen die Falten ihres Kleides nieder.

Ihre Hände, an denen sie keine Ringe trug, waren groß und weiß, und ebenso waren ihre Zähne, keine ‚Perlen‘-Zähne, aber von tadelloser Ebenmäßigkeit.

Das Gleichmaß der ruhigen, großen Schönheit war in ihr verkörpert. Und wie es unmöglich war, sich dieses Gleichmaß ihrer Erscheinung durch irgend etwas: durch
eine eckige, unbehilfliche Bewegung, durch die Wildheit eines fassungslosen Schmerzes, die Raserei einer zügellosen Leidenschaft, die Unschönheit einer Erniedrigung oder eines gewaltsamen Überheben gestört zu denken, so unmöglich war es auch zu glauben, daß das Alter jemals diese hohe Gestalt beugen, das Elend diese einfache Würde knicken, der Tod diese verkörperte Gesundheit brechen könne.

Es gibt Profile, welche hingekritzel scheinen, stümperhafte Dilettantismen, verzerrte Karrikaturen in die Breite oder in die Länge, hingeklatscht von ungeübter Hand und dann verwischt durch Zerknitterung des Papieres; und es gibt Profile, die mit Künstlerhand schnell entworfen scheinen in verräterisch-schönen Linien voll Weichheit, Grazie und Liebreiz, oder aber hingezeichnet in einem großen, wundervollem Zuge in seltener Stunde . . .

Zu den letzteren gehört Dora Syks Profil. Ein Ansatz, ein kühner Zug, rasch, energisch, meisterhaft – tadellos: so war ihr Profil, welches Grach in erwachender Leidenschaft mit dem Auge sich immer wieder heimlich nachzeichnete, während er es betrachtete.

Nie war ihm früher die bestechende Harmonie ihres Wesens so aufgefallen, wie jetzt. Der beschäftigte Tag hatte damals seinen Blick getrübt. Nun saß sie vor ihm und sah vor sich hin, während er sprach.

Und mehr als alles bezwang ihn der Ausdruck einer beginnenden Müdigkeit, die sich über dies schöne Antlitz ausbreitete. Keine Spur von der Unschönheit der Bitterkeit, nur das ganz allmähliche Erlahmen . . .

Ein noch fast unsichtbares Erlahmen.
Aber er sah es.

Dieser schöne Mund begann sich zu schließen in der Herbheit des Stolzes – wann durfte er einmal sprechen in den Lauten, die er gewohnt war, den Lauten der Erkenntnis, der Freiheit und des Verständnisses der Liebe? – Diese tiefen Augen umschatteten sich bereits. Gewöhnt in die weiteste Ferne zu schauen, Abwechslung, Fülle, Reichtum alles äußeren Lebens zu trinken, fingen sie an sich zu trüben zwischen den Dunstwolken dieses ärmlichen Tales, dem Rauche der Feuerherde dieser erbärmlichen Stadt, der Stickluft einer ungelüfteten Schulstube.

Er dachte an anderes, während er ihr erzählte, weshalb er hierher gekommen war. Er wurde unruhig.






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