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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Die
Gesellschaft der Stadt
setzte sich leicht erkennbar aus drei Grundelementen zusammen: aus
Großhändlern, aus Beamten und aus Militär.
Seit
sehr langen Jahren
saßen die ersteren hier fest. Sie waren der Urstamm des Bürgertums. So
lange
hatten sie fast nur untereinander geheiratet, daß sie gewissermaßen
eine große
Familie geworden waren, welche sich in ererbten Anschauungen und
Bräuchen so
lange wie irgend möglich fortzubewegen suchte und unter sich mit einem
harten
Anklang an den Dialekt der Gegend sprach.
Million
zu Million häufend
hatten sie hier eine moderne Zwingburg des Kapitals errichtet, gegen
die anzukämpfen
eine Unmöglichkeit schien. Noch nie war es versucht worden.
So
hatten sie – die
unumschränkten Herrscher dieser Stadt – ihr lange den Stempel
aufgedrückt: den
Stempel eines souveränen, starren, fortschrittsfeindlichen Willens.
Das
waren die
„Alldahiesigen!“ . . .
Dann
hatte der Staat große
Betriebe errichtet und eine unzählige Schaar von Beamten jeder Art war
hier
zusammengeströmt, aus allen Teilen des Reiches, neue Sprachen, neue
Sitten,
neue Kochrezepte mit sich führend.
Neues
Leben kam mit ihnen
nicht. Machtlos zu irgendeiner Initiative hatten sie sich willenlos
einzuschmiegen als Räder in das Werk der großen Maschine Staat, der sie
verbrauchte. Aber die Luft begann zu schwirren von neuen Titeln, vom
Morgengang
zum Büro bis zum letzten – immer sehr späten – Abendschoppen im
„Münchner
Kind’l“, und die Eingesessenen zogen sich mürrisch mehr und mehr zurück
unter
die dicke Haut ihrer sicheren Privilegien . . .
Waren
sie zehn Jahre hier
gewesen, alle diese Fremden, ohne nach einer anderen Stadt
weiterversetzt zu
sein, so wurden sie zu „Hiesigen“. Bis dahin blieben sie, was sie waren
-: die
Hergeloffenen“.
Unweit
der Grenze lag die
Stadt. Seit dem gräßlichen Kriege mit dem „Erbfeind“ war unablässig
Militär
über Militär hergezogen, bis zwei Regimenter hier festlagen.
Überall
an den sich
erweiternden Grenzen der Stadt entstanden weißgetünchte Baracken von
Holz und
große, rote, viereckige Ziegelhaufen von abscheulicher Häßlichkeit,
hinter
deren Umfassungsmauern die rohen Flüche brutaler Unteroffiziere und die
stampfenden Schritte schwerer und keuchender Menschenmassen
hervortönten, und
die bis dahin so friedlichen Straßen der Städte erzitterten unter dem
Klirren rasselnder
Schleppsäbel.
Furchtbarer
aber noch waren
die Verheerungen, welche diese neue Macht in den Herzen der
Großbürgertöchter
der Stadt anrichtete und murrend nur sahen die Väter, wutschnaubend
aber die
betrogenen Vettern der großen Familie eine der lieblichen Blüten nach
der
anderen gepflückt von der kecken Hand eines adeligen Sekonde-Leutnants,
der die
Geldsäcke nicht nur zu verachten, sondern auch mit Grazie zu leeren
verstand.
Und
war es nicht in Ordnung
so? – Das Kapital verband sich mit der Gewalt, die seine Privilegien
schützte.
Dazwischen
lebten ein
träges Kleinbürgertum und ein machtloser Handwerkerstand so hin, von
Tag zu
Tag, kleine Kannegießer und schlechte Musikanten. Sie verlangten kaum
etwas
anderes, als beständig über etwas brummen zu dürfen . . .
Das
waren die Leute der
Städte.
Von
geistigen Bedürfnissen
verspürte man hier noch Nichts.
Draußen
aber, dort wo die
Schlote dampften und die Feuer lohten, wo die Erde bis in ihre Tiefen
hinein
durchgewühlt wurde in rastlosem Kampfe, dort, wo kolossale
Arbeitermassen
aneinander gekettet durch den Schweiß ihrer furchtbaren Arbeit lagen,
dort
fielen die Gedanken der Zeit in den Boden der Fruchtbarkeit.
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