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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Er
war in seinem Hotel
gewesen, hatte seine Sachen gepackt und seine Rechnung bezahlt. Dann
war er zum
Bahnhof hinaufgestiegen und hatte zwei Billetts erster Klasse nach
Paris
gelöst. Er wußte, wann er extravagant sein durfte. Heute. Im Wartesaal
hatte er
von dem alten Zeitungsverkäufer, - er erkannte auch ihn wieder – einem
alten
Original, Fahrplan und Zeitungen gekauft.
Nun
ging er auf dem Perron auf und ab mit großen und unregelmäßigen
Schritten.
Er
wußte sie würde kommen, denn sie hatte es gesagt. Eher ging die Welt
unter,
als das sie ihr Wort nicht hielt.
Und
dennoch quälte ihn die Unruhe, die Unruhe der Erwartung.
Noch
war die zehnte Stunde lange nicht gekommen. Der große Zeiger auf der
weißen Uhr hatte kaum die Sechszahl erreicht. Er wußte, daß sie auch
nicht
früher kommen würde, als sie gesagt; und doch kehrten seine unruhigen
Blicke
immer wieder zu der schwarzen gähnenden Öffnung des Aufstiegs zurück,
aus der
von Zeit zu Zeit Menschen emporgestiegen: Beamte, Reisende,
Kofferträger, ein
buntes Durcheinander . . .
Der
sommerliche Abend lag schwül unter dieser weiten Halle, die das Dröhnen
der
Züge und hundert Rufe durchtönten und erzittern machten. Ein und aus
rasselten
die Züge. Nur das Gleis für den Expreßzug, der hier drei Minuten halten
sollte,
blieb frei. Die von den Rädern abgeschliffen en Schienen glänzten weiß.
Grach
hatte alles
vergessen, was er heute gesehen – außer ihr.
Nur
an sie dachte er noch und an sein Glück.
Er
nannte nicht viel sein eigen. Jeder seiner Jugendfreunde in dieser
Stadt
lebte sich besser als er, und unter allen diesen Menschen hätte wohl
nicht
einer mit ihm getauscht.
Und
doch war er ein seliger Mann. Denn er war ein freier Mann.
Niemand
hatte ihm zu befehlen und niemandem hatte er zu gehorchen. Er konnte
gehen und kommen wie er wollte. Die ganze Welt war sein.
Nicht
zu hassen und nicht zu verspotten, nicht zu beneiden, nein, zu
bemitleiden waren sie, die Menschen dort unten in der Stadt, die nur
ein Glück
und nur eine Zufriedenheit kannten: Geld, Geld, Geld zusammenzuscharren
in
mühseligem Erwerben, dem alle große Freude fehlte: die Freude des
echten
Genießens! . . .
Und
er wandte sich ab von ihnen.
Mit
jeder Minute, welche der zehnten Stunde nahte, wurde er ruhiger. Seine
Schritte wurden langsamer.
Als
der Zeiger auf der Uhr den erwarteten Punkt erreicht hatte, lehnte er
sich
mit verschränkten Armen an einen Pfeiler und ließ keinen Blick mehr von
der
Treppe des Aufgangs.
Viele
und verschiedene Menschen stiegen noch in den nächsten Minuten vor ihm
empor. An keinem blieb sein Auge haften.
Dann
aber sah er sie: langsam und sicher hob sich ihre hohe, stolze, jetzt
in
einen grauen Staubmantel gehüllte, geliebte Gestalt von Stufe zu Stufe.
Ihre
Blicke waren gesenkt und noch bemerkte sie ihn nicht.
Er
ging ihr entgegen.
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