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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Die Menschen
der Ehe
Schilderungen
aus der kleinen Stadt
1912
Quellenangabe
Der
Diener kam zurück.
-
Gnädige Frau lassen bitten
– schnarrte er.
Aus
einer Laube im
Hintergrunde des Gartens schimmerte ein weißes Kleid.
Dort,
in einem Modejournal
blätternd, das sie sichtlich unlustig beiseite warf, lag in einen
Schaukelstuhl
hingestreckt eine junge Frau von ungewöhnlicher Schönheit.
Sie
blinzelt dem
Nähertretenden zu, aber sie machte keine Miene, sich zu erheben.
Erst
als er ihr die Hand
hinstreckte und lächelnd sagte: „Ich habe deinen Brief erhalten, Klara,
und bin
selbst gekommen, ihn zu beantworten“ – sprang sie mit einem Ruf der
Überraschung in sichtlicher Verlegenheit auf.
-
Nein, wie du dich
verändert hast, Franz! rief sie ein paarmal; dann aber, nachdem sie
sich
gesetzt hatten und während sie ihn mit jener prüfenden Neugier, die nur
der
Frau eigen ist, musterte, folgte ein Schwall von Fragen, deren
Antworten nicht
abgewartet wurden, weil sie gestellt wurden, ohne daß der Verstand sich
etwas
bei ihnen dachte und das Herz das geringste bei ihnen fühlte.
Bei
dem ersten Wort, das
sie gesprochen hatte, merkte er, daß diese Frau geistig um keinen
Schritt
weiter gerückt war und – ganz; wie früher – hörte er gutmütig und
geduldig eine
Zeitlang ihrer Neugierde zu, beantwortete kaum etwas, und begnügte sich
damit,
hier und da mit einem Ja oder Nein oder höchstens einem kurzen Wort
sein
Schweigen zu unterbrechen.
So
kam es, daß sie ihn nach
einer halben Stunde nach allem gefragt, aber nichts von ihm erfahren
hatte.
Später pflegt sie sich darüber zu beklagen, daß sie allen Menschen
alles,
keiner aber ihr etwas erzähle.
Dann
fiel ihr ein, daß sie
ihn noch nicht gefragt hatte, wo er abgestiegen sei -:
- Du
wirst doch bei uns
wohnen, Franz? – gewiß, nicht wahr?
Sie
hatte bisher vermieden,
ihn voll anzusehen, nun aber begegneten sich ihre Augen. Sie errötete
leicht,
als sie seine Antwort vernahm.
-
Unter diesen Umständen? –
sagte er ernst und fragend zugleich.
Als
sie nun die Hände erst
abwehrend von sich streckend, dann sie vor dem Gesicht
zusammenschlagend in
gemachtem Schmerze, in ihren Schaukelstuhl zurücksank, hätte er hundert
gegen
eines wetten mögen, daß sie sich erst in diesem Augenblicke genauer
dessen erinnerte,
was sie ihm geschrieben . . .
- O
laß uns jetzt noch nicht
davon sprechen, von meinem Unglück – du bleibst doch länger hier, nicht
wahr? –
Einige Tage, einige Wochen . . . Du mußt doch alle wiedersehen, deine
alten
Freunde und Schulkameraden, denke dir, die kleine Ehrling, neben der
ich in der
Schule saß und welche so oft zu uns kam – du mußt dich doch erinnern? –
hat
einen Landgerichtsrat geheiratet und schon drei Kinder, und dein dicker
Freund
Rempe, der mit den vielen Schmissen – doch das weißt du nicht, du
kanntest ihn
ja nur aus der Schule, und da schlägt man sich noch nicht, ja, was
wollte ich
sagen . . . ja, der dicke Rempe hat die reiche Krüger geheiratet, die
mit den
Simpelfranzen und den seidenen Kleidern. Ach ja, es hat sich viel
verändert
hier -.
Sie
scheute sich ihn wieder
zu fragen, denn sie fürchtete seinen Blick, seine ernste, fast harte
Stimme mit
der er eben gefragt hatte: „Unter diesen Umständen?“ –
Und
so sprach sie weiter.
Von dem langen Lenz, der sich „- ach ja, das war es ja, was ich sagen
wollte –„
geschossen habe wegen einer Frau und eine Kugel in den Unterleib
bekommen habe;
von den Schicksalen der großen Familie Neuhaus, wo so viele Söhne
gewesen seien
– einer habe sich vergiftet, und der andere sei nach Amerika, denn der
Vater
sei so hart, aber es sei doch ein rechtes Elend, wenn die Söhne ihren
Eltern
nicht folgten; und von – und von - - und immer so weiter, ein seichtes,
unerquickliches Geschwätz, das den Zuhörer betäubte, ängstigte und
seine Nerven
folterte.
Er hörte zuletzt überhaupt
nicht mehr hin. Während sie so vor ihm saß, in der üppigen Schönheit
einer
reifen Frau, dachte er daran, daß er es gewesen war, der die Knospe
dieser
Blüte mit dem ersten Kusse geweckt hatte.
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