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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Zwischen den Zielen
1911
Quellenangabe
An
diesem Abend, als ich
müde und traurig war, ging ich in den großen Saal, wo Musik gemacht
wurde. Es
war ein Massenkonzert – eine Masse Musik für eine Masse Menschen um
zehn
Pfennige.
Ich
drängte mich durch. Von den Hunderten Tischen war vielleicht nur noch
einer
unbesetzt, und dieser eine, weil er hinter einem Pfeiler stand und
Orchester
und Publikum fast vollständig versteckte. Während ich den Überzieher
abzog,
bemerkte ich, daß nur ein Tisch noch schlechter stand, als der meine;
und die
an ihm saßen, schienen ihn recht mit Absicht ausgesucht zu haben, um
nicht
gesehen zu werden.
Es
waren ein Mann, eine Frau und ein halbwüchsiger Junge.
Der
Mann saß neben der Frau, und von meinem Platze aus gesehen hinter ihr;
der
Junge saß ihnen gegenüber.
Die
Kellner liefen hin und
her, die Menschen lachten und schwatzten und klapperten mit den Tellern
und
Gläsern, die Musik lärmte und nur an unseren beiden Tischen war es
still.
Ich
wurde noch müder und trauriger und dachte daran fortzugehen. Aber ich
sah
ein trübes und leeres Zimmer vor mir und blieb.
Unwillkürlich,
ohne es selbst zu wissen, richteten sich meine Blicke wieder und
wieder auf den Tisch dort vor mir, und um den eigenen Kummer zu
vergessen, tat
ich, was ich oft tue: ich suchte ihn bei anderen auf, gewiß, ihn immer
zu
finden-
Ich
begann mit der Frau.
Sie
war nicht mehr jung, nicht mehr schön, oder besser: wohl nie schön
gewesen,
einfach in dunkles Tuch gekleidet, und sie saß da in einer auffallend
steifen,
gezwungenen Haltung, die Hände gefaltet im Schoße, und ohne die Lehne
des
Stuhles zu benutzen. Sie saß fast regungslos, den Kopf ein wenig nach
vorn
geneigt, lauschend, ohne ein Wort zu sprechen.
Dann,
während sie mit der Hand tastend nach dem Glase langte, sah ich
plötzlich, daß sie blind war.
Um
den Mann zu sehen, der ihr zur Seite saß, mußte ich den Standpunkt
meines
Stuhles verändern: ich rückte scheinbar unwillkürlich zur Seite.
Er
saß, mit dem Gesicht mir zugewandt, dicht zu der Frau geneigt,
vornübergeneigt
und sprach in gedämpfter Lebhaftigkeit auf sie ein, die Hände auf die
Knie
gelegt und nicht ganz so ruhig wie sie. Es war ein großer und
stattlicher Mann,
mit blondem Haar und Schnurrbart, und in gleich einfachem, dunklem
Anzug.
Auch
bei ihm fiel mir in der Haltung etwas Gezwungenes auf, und als er nun
zögernd und vorsichtig nach den Händen der Frau griff und dabei den
Kopf etwas
erhob, sah ich, daß auch er blind war.
Der
Junge hatte sich einen Stoß illustrierter Blätter herbeigeschleppt und
las
eifrig, ohne sich um die beiden zu kümmern. Daran, daß er aus dem Glase
der
Frau mittrank, sah ich, daß er zu ihr gehörte; er war wohl ihr Bruder.
Niemand
kümmert sich um den
Tisch, von dem aus kein Laut den allgemeinen Lärm vermehrte. Die Musik
spielte
Stück auf Stück und die Kellner rannten mit immer neu gefüllten Gläsern
hin und
her.
Ich
kam mir vor wie ein Eindringlich und wandte meine Blicke von den
Blinden
ab.
Nur
einmal noch – nach einer halben Stunde – sah ich wieder hin, und
angezogen
von dem unbeschreiblichen Ausdruck auf ihren Gesichtern, vermochte ich
nicht
sofort weiterzusehen.
Sie
saßen noch in derselben Stellung wie vorhin, nur hatte der Mann jetzt
die
Hände der Frau gefaßt. Er sprach noch immer, und sie hörte ihm zu mit
einem
zögernden Lächeln. Auch ihre Lippen bewegten sich leise.
Er
beugte sich noch näher zu ihr. Er griff in die Tasche und – halb unter
dem
Tisch – schob er über den Mittelfinger ihrer rechten Hand langsam und
behutsam
einen goldenen Ring. Niemals habe ich so viel innige Liebe auf dem
Gesicht
eines Menschen gesehen wie auf dem seinen in dieser Minute und niemals
so viel
Glück wie auf dem ihren!
Und
keiner hatte es gesehen außer mir, keiner . . .
Sie
sprachen weiter und hielten sich an den Händen.
Das
Konzert war zu Ende.
Sie
standen auf. Langsam ging ich hinter ihnen her. Am Ausgange blieben sie
stehen. Der Junge spähte nach der Pferdebahn. Als sie kam, leitete er
den Mann
über die Straße, während die Schwester wartete, und kehrte erst zurück,
als er
ihn in den Wagen gebracht. Dann schob er seinen Arm in den der Blinden
und
führte sie ebenso sicher über den Straßendamm und weiter.
Ich
stand allein, nicht mehr müde und nicht mehr traurig, sondern erfüllt
mit
Scham und mit Freude.
Nicht
nur mit den Augen redet sie ihre Sprache, die Liebe! . . .
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