|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
|
|
04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Zwischen den Zielen
1911
Quellenangabe
Konstanz
am Bodensee 1895
Ich –
ich! – wohne in einem
Hause, in dessen Erdgeschoß sich ein Schlächterladen befindet! –
Warum
ich in dies Haus gezogen bin,
werde ich lachend gefragt. Aber ich sage euch, wenn man einen ganzen
und einen
halben Tag umhergelaufen ist, um sich ein Zimmer zu suchen, von einem
Loch in
das andere, so tut man zuletzt gerade das, was man nicht tun wollte, in
halber
Verzweiflung und beseelt nur von dem einen Wunsche: zur Ruhe zu kommen.
Tagtäglich
muß ich an den blutigen Fleischstücken vorüber, wenigstens sechsmal
täglich, und wie ich auch die Augen schließen mag, ich sehe sie doch:
die
aufgeschlitzten Schweinebäuche und die abgehäuteten Kalbsköpfe, aus
deren
Augenhöhlen mich halbzerstochene, glasige Kugeln blödsinnig anstarren,
während
ich vorbeieile, betäubt von dem entsetzlichen Dunst frischen Fleisches
und
fiebrich geschüttelt von E k e l, einem unsagbaren Ekel! . . .
Im
Winter ging es noch. Da lag diese schmutzige Stadt unter einem
schmutzigen
Himmel und alles schwamm ineinander über in einer trüben,
aussichtslosen,
eintönigen Dämmernis, unter welcher hinweg der Geist in trägem,
animalischem
Behagen kroch von einem Tag zum andern.
Aber
es wurde alles anders, denn es wurde Frühling! –
Der
Staub fliegt von der Straße herein und legt sich als Streusand auf die
schimmernde Schrift der frisch beschriebenen Blätter . .
Welch
ein Leben! – O welch ein Leben! –
Der
Lärm der Straße weckt mich auf. Müder, als ich mich hinlegte, stehe ich
auf.
Arbeit
bis zum Mittag.
Ohne
Hunger, fast nur von der Gewohnheit getrieben, gehe ich an den Häusern
entlang in einen großen, häßlichen Saal. Dort beginnt mit der zwölften
Stunde
eine enorme, geräuschvolle Abfütterung von vielen Menschen an hundert
Tischen,
die mit entsetzlichen, bunten Lappen behängt sind.
Ich
schlinge meinen Fraß hinunter. Er ist weder schlecht, noch gut. Alles
schwimmt in einer Brühe; so wird er halb gespült, halb gewürzt.
- Ma
–a – hlzeit . . . Ma – a ahl – zeit
. . . Nein, wie ich dieses Wort hasse! Ob gesättigt, ob ungesättigt,
vom
Morgengrauen bis zum Abendsinken blökt sich dieses ganze Volk mit
diesem
fettigen, schleimigen, selbstzufriedenen Wort an, in welchem kein Sinn
und kein
Verstand ist. Ich höre es immer. Ich kann ihm nicht entgehen.
Noch
wenn ich im Sterben liege, werde ich es hören müssen: „Ma aa – hlzeit!
–
Ma – ahl –zeit“ – ja, für die Würmer!
Ich
sinke, wieder zu Hause, in einen bleiernen Schlaf, den mir die Nacht
nicht
gibt. Kein Lärm vermag mich mehr zu erwecken, aber das Zwitschern der
Vögel in
dem einzigen Baum dieser Straße, das in meine schweren und dumpfen
Träume
klingt, ruft mich zur Wirklichkeit zurück.
Arbeit
bis zum Abend.
Ich
höre es dem Knirschen meiner Feder an, wie widerwillig sie folgt.
Zwischen
die Häuser haben
sie ein paar Bäume gesperrt. Das nennen sie Garten. Aber die Bäume sind
doch
grün geworden. Es ist wunderbar.
Dort
sitze ich jeden Abend von sieben Uhr bis Mitternacht.
Mehr
darf ich nicht sehen
vom Frühling, oder ich werde rasend und laufe davon und kehre nicht
mehr zurück
und muß irgendwo verhungern. Nein, mehr darf ich nicht sehen . . .
Wieder
würge ich etwas hinunter. Die Stühle füllen sich langsam mit Menschen.
Um acht Uhr fangen drei Kerle an, ein sogenanntes Konzert zu geben. Sie
lärmen
bis elf Uhr auf einem Klavier, einer Geige und einer Bratsche herum.
Dieser
Lärm wirkt beruhigend auf mich. Mein Ekel verkriecht sich irgendwo hin
und verhält sich ruhig.
Ich
trinke und rauche fortwährend. Neulich abend habe ich es auf dreizehn
Glas
Bier und acht Zigarren gebracht. Gewöhnlich ist das Verhältnis acht zu
sechs.
Für
diesen Genuß habe ich mich an die Arbeit verkauft, welche meinen
Frühling
mordet.
Von
den Nächten – von den Nächten will ich schweigen . . .
So
ist mein Tag, so ist ein jeder meiner Tage. Doch anders ist mein Traum.
Zuweilen
– wenn meine Feder innehält mit dieser entsetzlichen Schreiberei: der
„realistischen“, geradezu brutalen Ausschlachtung irgendeines fremden
Menschenschicksals, das mich nicht einmal zu interessieren vermag, dann
träume
ich ihn.
Mein
Fuß schleift seine
Sohle durch diesen Schmutz, aber meine –Sehnsucht wandert hinaus. Ihr
könnt sie
nicht halten . . . Versucht nicht auch das noch!
Sie
wandert zu dir, der du
die Liebe bist und die Schönheit dein eigen nennst.
Sie
durchschreitet die
klirrende Pforte deines Parkes, die nur mir sich öffnet und die sich
schließt
hinter mir.
Sie
kennt jeden Weg in dieser stillen Weite und mühelos findet sie den
rechten
zu dir.
Schon
ist es Abend, und seine Schatten schleichen umher unter den hängenden
Zweigen gleich nächtlichen Dieben. Aber ich achte sie nicht und wehre
den
Ästen, die mich hindern wollen.
Leise
knistert der Kies unter meinem Fuße, und ängstlich flattert der Fittich
eines aufgescheuchten Vogels.
Auseinander
mit den Zweigen! - - -
Der
See liegt da, versilbert von den Strahlen des nächtlichen Lichtes, des
Lichtes, das dich mir zeigt: in weißem Gewande stehst du unbeweglich
auf der
zweiten jener Stufen, die zu der Bank führen, auf der du mich erwartet
hast,
immer, immer, wie oft ich auch kam. . .
So
unbeweglich stehst du heute wieder da, daß ich einen Augenblick stocke
– nur
einen Augenblick -, denn schon lockst du mich mit einer leisen Bewegung
deiner
Hand und mit dem erstickten Laut verzweifelnder Erwartung.
Ich
stürze auf dich zu und trage dich die Stufen empor. . .
Du
weinst, du weinst, du
mein Kind, mein Weib, mein Freund – Geliebte, du weinst?! –
Laß
mich es sehen, bevor ich es küsse, dein bleiches Gesicht.
Beuge
es nieder, damit der Mond es mir zeigen kann.
Es
ist bleich, wie die
Rose, die dort auf den Wassern schwimmt - - und doch, wie ist es so
schön!
Es
ist krank, dein Gesicht,
aber es ist schöner, als jemals eines, das die Farbe der Gesundheit
schmückte .
. .
Deine
Stirn, deine Augen, deine schwarzen, sehnsüchtigen Augen, und ihre
Wimpern, ihre langen Wimpern, die blassen, kühlen Wangen, ihre
durchsichtige
Haut, dies schmale Oval deines Gesichtes erzählt mir immer wieder die
Geschichte deines Lebens.
Ich
greife dich bei den Händen und ziehe dies betäubte und willenlose Haupt
zu
mir empor und küsse die blutende Wunde deines Mundes in maßloser
Seligkeit, in
maßloser Seligkeit! - -
Und
da ich fühle, wie meine Glut deine schlanken kalten Glieder
durchschauert,
küsse ich nicht mehr deinen Mund allein – nein, ich küsse die blauen
Adern
deiner Schläfe, deinen reizenden Hals und die weiße Seide, welche mir
deine
Brüste mißgönnt . .
Ich
löse den griechischen Knoten deines Haares und berge meine tagesheiße
Wange
in den duftigen, weichen Strähnen . . .
Da
lächelst du, lächelst zum erstenmal und ziehst mich näher zu dir heran,
damit ich das Schlagen deines Herzens höre, deines starken, großen,
einsamen
Herzens.
Dieses
Herz, das ich brach!
Es
liebt mich noch immer.
Es
weiß nichts von
Vergebung, denn es kennt keine Schuld.
Es
klagt nicht; es leidet in Schweigen.
Es
wird nie freiwillig entsagen, nie wird es lassen von dem, was es
liebt,, ehe
es muß.
Ich
habe es gebrochen, aber es ist mein, und noch höre ich sein Schlagen,
das
zitternde Schlagen deines starken, großen, einsamen Herzens!
Aber
warum sprichst du nicht?
Sage
mir ein Wort! – Sprich zu mir!
Du
schweigst.
So
will ich dich fragen.
Sage
mir, du Haupt, das an
meiner Brust ruht, dessen Augen mich ansehen, und dessen Mund sich
bereits zum
Reden öffnet, sage mir, daß du mich liebst!
Da
lächeln die Augen, aber der Mund bleibt stumm.
So
sage mir, ob du meiner gedacht? -
Da
flieht das Licht deiner Augen nach innen, aber der Mund gibt mir nicht
Antwort.
Soll
ich dir drohen,
schweigsame Liebe?
Ich
muß bald gehen, bald . . . sage ich.
Da
richtest du dich empor, weiße
Gestalt, die schlanken Finger packen meine Schulter wie die Pranken
einer
Löwin, und die sagst dreimal:
Nein!
– nein! – nein! - -
O du
meine törichte Weisheit!
Ein
Schauer geht durch deine Glieder. Es ist die Kühle des Abends . . .
Ich
heb dich empor, wie ein Kind, und – leb wohl! du nächtlicher See . . .
lebt
wohl! ihr winterlichen Schwäne . . . – und wandeln den Piniengang hinab
zu
deinem weißen Schloß.
Und
wieder durchfliegt der Schauer deine Glieder; ich fühle es, wie wir
dahin
gehen.
Doch
bevor noch das Licht
der Terrassen auf uns fällt, stehe ich still:
Du
mußt es mir sagen! -
Und
du hebst dein bleiches
Gesicht, deine Augen füllen sich mit Tränen, die dein Herz weint, und
langsam,
mit qualvoller Stimme, entringt es sich deinen Lippen:
Die
Tage sind zu lang! - - - Ich ertrage sie nicht! - - -
Ich
kann dir nicht antworten. Ich küsse dich nur, wie ich dich nie geküßt,
und
du verstehst
mich! . . . –
Alle
Türen stehen offen, durch alle Fenster bricht das Licht deines
festlichen
Saales auf den weißen Marmor der Treppen und die gelben Rosen des
Geländers.
Niemand
erwartet uns. So willst du es: keine Diener, keine Augen.
Nur
Gentle, dein großer Bernhardiner, kommt uns majestätisch entgegen,
verschwiegene
Wächter unserer Liebe.
Ich
esse kaum. Ich sehe nur immer auf deine Hände, deine weißen, kühlen
Hände.
In diesen zarten Fingern mit den schmalen, festen Nägeln liegt eine
seltsame
Kraft.
Ich
will sie spielen sehen. Sie greifen stundenlang in meisterhafter
Behandlung
die harten Tasten und ermüden nie.
Dein
Gesicht spricht von
deinen Leiden; deine Hände davon, wie sie es ertragen! -
Spiele
nicht mehr! – Wenn
wir den Tag verlängern, ist die Nacht zu kurz.
Komm
wieder an meine Brust,
du mein zweites geheimnisvolleres Leben, denn ich begehre dich! –
Dieser
Marmor deiner Gemächer, dieses Silber deiner Leuchten, diese Seide
deines Gewandes – tu sie von dir und komm zu mir, als das nackte und
schüchterne Kind der armen Einsamkeit . . .
Aber
ehe du kommst, stelle dich noch einmal, wie damals, dorthin – in den
Schein des Mondes; erhebe dein königliches Haupt und den Arm; sieh
nicht mich
an, sondern die ferne Grenze deiner Gedanken; sammle in tiefem
Atemholen die
Kraft deiner sonoren Stimme; befiehl den Flügeln deiner unerreichbaren
Begabung:
fliegt! -; lege die Hand auf den Kopf deines Hundes und sage mir jene
Verse
sieg- und glorreicher Liebe, jene südlich-schönen Strophen voll
unsäglichen
Wohllauts und triumphierender Schönheit, aus dem tiefsten Schmerze
geboren, um
der höchsten Freude zu dienen, damit sie mich überrinnen, wie die
Ahnung des
Glückes, das mich durch
dich erwartet! . . .
Du du
sprichst sie einem Dichter! –
Dies
ist nicht dein Garten und nicht dein weißes Haus: dies ist die
schmutzige
Stube – ein Chambre-garni – in einer schmutzigen Straße irgendwo in
Berlin.
Dies
ist keine Nacht, keine segnende Nacht: dies ist der öde und gehaßte
Sommer
mit seiner erstickenden Hitze und seiner aufdringlichen Helle.
Dies
ist kein Leben in
Liebe: dies ist das Leben eines Kettenhundes, welcher auf faulendem
Stroh,
vergessen vorn allen, verreckt.
Denn
ich schreibe ja
Zeilen, das Stück zu fünf Pfennige, und ich darf nicht einmal
schreiben, was
ich will!
Und
wie ich erwache aus meinem Träume, steigt in entsetzlichen Strömen der
Duft
des frischgeschlachteten Fleisches zu mir empor, daß ich das Fenster
heulend
zuschlage und nun in dieser verpesteten Höllenglut sitze, sitze und der
Ekel
mich würgt, bis ich röchelnd ersticke.
Das
ist nicht amüsant . . . nicht einmal als Kontrast!
Ja,
die Tage sind zu lang! – Aber viel länger noch sind die Nächte danach,
die
Nächte . . .
|
lifedays-seite - moment
in time |
|
|
|
|
|
|
|