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04.2
Geschichten - John Henry Mackay
Zwischen den Zielen
1911
Er
ging in die Dünen, wie
jeden Nachmittag, um dort seinen Träumen nachzuhängen.
Da
hört er neben sich wieder die kurzen Schritte, die ihn so oft in diesen
Wochen auf seinen Wegen begleiteten, und er ließ ihn neben sich
herstapfen, den
kleinen Kerl, der die sehnsüchtigen Augen eines Dichters hatte, und der
ihn nie
störte mit seinen stillen und seltenen Fragen.
Die
Eltern saßen bei der Kurmusik und schwatzten.
Wo
die niedrigen, verkrüppelten Holzungen, die sich wie ein Streifen
zwischen
den hellen Strand und den hohen, schwarzen Wall des Buchenwalder
schoben, ihre
seltsamen Schatten auf den riedbewachsenen Sand warfen, ließen sie sich
nieder
– der Kleine zu den Füßen des Großen, wie ein treuer Hund.
Hier
hörten sie die Mißklänge der Musik und das Stimmengewirr der Menschen
nicht mehr, sondern nur noch das leise Rauschen des Meeres, das Wehen
der Brise
in den Halmen, und jenes geheimnisvolle Raunen, mit dem hinter ihren
Erscheinungen die Natur unaufhörlich neues Leben zeugt und gebiert.
Unter der
festen Decke von Tannennadeln und zerbröckeltem Holze, die wie ein
dichter Pelz
über dem weißen Sande lag, gärte und zitterte das verborgene Drängen
ungezählter und unsichtbarer Lebewesen. Und überall taten Ameisen ihre
emsige
Arbeit.
Der
Knabe spielte mit einem
vertrockneten Tannenzapfen, der seine Kiefer nach allen Seiten
auseinandersperrte und tief in sein entkerntes Innere sehen ließ; der
Mann aber
sah still auf die hügeligen Formen der Nadelhölzer, die sich im
stetigen Kampf
im Wind und Wetter so tapfer gewehrt, und von ihnen doch zu Krüppeln
gemacht
waren, hier an der Grenze zwischen Land und Meer, auf dem äußersten
Vorposten,
während hinter ihnen, dem Schutze der treuen Vasallen, hochmütig und
stolz die
Herren ihre Kronen hinauf zum Himmel hoben.
Es
war eine Weiche und Süße in der Luft, die die Augen betäubte; und
zugleich
eine Frische, die sie immer wieder öffnete . . .
Da
erzählte der Dichter seinem kleinen Freunde die Märchen der Sehnsucht,
nach
denen seine Augen verlangten: das von der Seejungfrau, die mit ihren
Schwestern
tief auf dem Grunde des Meeres lebte, aber heraufstieg, um die Liebe
eines
Menschenkindes zu gewinnen, und an ihr zu leiden und unterzugehen; und
das von
dem häßlichen, jungen Entlein, das, getreten und verstoßen auf dem
Hühnerhofe,
hinausschwamm, sein graues Gewand von sich warf und ein stolzer,
königlicher
Schwan ward; und sein eigenes von dem kleinen Seepferdchen, das auch
nicht mehr
leben mochte in der stillen, kühlen und leuchtenden Tiefe, das die
Wärme fühlen
wollte und starb, als der erste Sonnenstrahl es traf . . .
Ein
verlorener, verträumter Ausdruck lag in den Augen des Kindes, als es
endete: Furcht vor dem Leben und Sehnsucht nach ihm zugleich.
Da
packte den Dichter das
unbezwingliche Verlangen, in diese reine unberührte Seele die keiner
verstand,
wie ein klares, kostbares Glas, aus dem noch niemand getrunken, als der
Erste
die ersten Tropfen unvergänglicher Schönheit, das Elixir seines eigenen
Lebens,
zu gießen und zu sehen, wie es sich in ihr spiegelte. Übermächtig wurde
sein
Verlangen, und es dünkte ihm köstlich zu sein, dieser Erste zu sein
nach freier
Wahl.
Und
von seinen Lippen klangen plötzlich die Verse, die er liebte, die Verse
seiner angebeteten Großen, die ihm vertraut waren, ihrem Sinn und ihrem
Klange
nach bis in ihr letztes Geheimnis. Und sie waren, wie sie tönten und
schwollen,
wie das Grollen des Meeres bald, und bald wie das Klagen des Windes in
den
Dünen . . .
Er
sprach und sprach, rastlos, wie sie ihm kamen, ohne Zusammenhang, aber
alle
waren sie gebadet wie in Glanz, und wie beschienen von einem zitternden
Lichte.
Er
wußte es wohl: der kleine Knabe konnte sie nicht verstehen. Sie mußten
ihm
dunkel und geheimnisvoll sein, wie das Meer und die Nacht und das Leben
es ihm
waren. Aber er sollte sie auch nicht verstehen; er sollte sie nur hören.
Und
wie er sich nicht
gescheut hätte, vor den Ohren des Kindes aus den stummen Saiten eines
Instruments unverstandene Klänge zu locken, so scheute er sich nicht,
vor ihnen
die Klänge der Worte zu entfalten in ihrer unerhörten Pracht, deren
innerste
Seele Musik war, und mit keinem Verstande begriffen werden konnten.
Er
sprach weiter und weiter, wie er sprach auf seinen einsamen Gängen am
Ufer
und im Walde, und in der Einsamkeit seines Zimmers, wenn er fühlte, wie
die
Schauer der Schönheit ihn überrieselten wie warme Wogen.
Er
sprach weiter und
weiter, und vergaß, zu wem er sprach und weshalb . . .
Dann,
als sein Blick die Augen des Knaben traf, stockte er. Sie waren auf
seine
Lippen gerichtet mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Erwartung und
Angst,
erschrocken fast und doch begierig. Da wußte er, daß er eine Seele zu
ewiger
Sehnsucht nach der Schönheit geweckt hatte, und er hielt inne. Der
Becher
sollte nicht auf einmal gefüllt werden in roher Hast. Nun sein Boden
bedeckt
war mit dem reinen Stoff unversieglicher Kraft, konnte das Leben
hineinschütten, was an Unreinem hinzugeschüttet werden mochte. Und was
immer
aus diesem Kinde werden mochte – es war ein Dichter. Sein würden alle
Leiden
und alle Herrlichkeiten des Lebens sein, und alles mußte er tragen, so
gut er
es vermochte . . .
Sie
standen auf und gingen zurück, wie sie gekommen waren, Hand in Hand,
und
ohne zu sprechen. Je näher sie den Häusern des Badeortes kamen, um so
deutlicher wurden die abgegriffenen Klänge der Musikweisen, die dort
gespielt
wurden und die lauten und schrillen Worte der Menschen – Lärm, mit dem
diese
Menschen das Schweigen der Seele betäubten, um es nicht zu vernehmen.
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