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Literatur


04.1


Biografie

Stefan Zweig





"Mich hat das Schicksal mit einem unbestechlichen Auge, einem harten Auge und einem weichen Herzen geschlagen."

Stefan Zweig war ein österreichischer Schriftsteller


 

Geboren:     28. November 1881, Wien
Gestorben:  22. Februar 1942, Rio de Janeiro/Brazil
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Stefan Zweig, geboren 1881 in Wien
,  Schriftsteller, Poet, Übersetzer, Herausgeber, Pazifist, Humanist, Europäer.
Emigrierte während des 1. Weltkrieges von 1917 - 18 in die Schweiz.
Vor dem zweiten Weltkrieg einer der weltweit am meisten übersetzten Autoren.
1934 Emigration aus Österreich nach London, 1941 Übersiedlung ins brasilianische Exil. Dort Selbstmord, zusammen mit seiner Frau, am 23.02. 1942. Auch heute noch mit einigen seiner kurzen Erzählungen weltbekannt, aber als Humanist, großer Europäer, historischer Biographienschreiber und wichtige Persönlichkeit des Exils fast vergessen. In Spanien seit kurzem mit seinen wichtigsten Werken neu übersetzt.

"Ich bin 1881 in einem großen und mächtigen Kaiserreiche geboren, in der Monarchie der Habsburger, aber man suche sie nicht auf der Karte: sie ist weggewaschen ohne Spur.
 
Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt.

Mein literarisches Werk ist in der Sprache, in der ich es geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in eben demselben Lande, wo meine Bücher Millionen Leser sich zu Freunden gemacht.

So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast; auch die eigentliche Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren, seit es sich zum zweitenmal selbstmörderisch zerfleischt im Bruderkriege",

schrieb Stefan Zweig in seiner Autobiographie von 1942, Die Welt von Gestern.



Die Welt der Sicherheit

"Europa" war für Stefan Zweig das zentrale Thema seines Lebens und Schreibens. Er wurde als Kind einer sehr wohlhabenden jüdischen Fabrikantenfamilie in Wien geboren. Eine Familie, in der neben der wirtschaftlichen traditionell auch die geistige Emanzipation verfolgt wurde. Die Leidenschaft für die Literatur entdeckte Stefan Zweig bereits in der Zeit des Schulbesuchs. Unter dem autoritären Drill des Gymnasiums litt er sehr, auch wenn er die geforderten Leistungen nach außen hin mühelos erfüllte. So hatte er auch wenig Interesse am Universitätsstudium und investierte nur ein Minimum an Energie, um die Bedingung seiner Eltern, den Erwerb des Doktortitels (1904, in Romanistik - mit Auszeichnung) zu erfüllen.

Schon mit 20 Jahren gelang es ihm, für seine ersten poetischen Arbeiten einen der renommiertesten Verlage Deutschlands, den Insel-Verlag, zu gewinnen und kurz darauf, im Feuilleton der bekanntesten Wiener Zeitung, der "Neuen Freien Presse", die auch in Deutschland großen Respekt genoss, zu veröffentlichen. Diese ersten Erfolge sah Zweig vor allem als Ansporn, sich weiter zu entwickeln. Zu diesem Zweck bereiste er Belgien, England, Frankreich, Spanien, Nordafrika und Italien, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Lateinamerika und Indien. Er nutze die zum Teil monatelangen Aufenthalte, um die Kultur dieser Länder so intensiv wie möglich zu studieren und um seine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Auf diese Weise lernte Stefan Zweig Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch fließend und konnte sich so in das kulturelle Leben dieser Länder integrieren. Er bemühte sich um Kontakte und Freundschaften mit Schriftstellern, die er als Vorbild ansah. Er übersetzte Werke damals in Deutschland noch unbekannter Künstler wie Emile Verhaeren und Romain Rolland, der 1914 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Er sah sich als "Vermittler" zwischen den Kulturen, schrieb Essays über Autoren, die wie er europäisch dachten. Insgesamt hat er nahezu fünfzig Werke, vor allem zeitgenössischer Autoren, herausgegeben, übersetzt oder eingeleitet. Einen wichtigen Einfluss auf das Geistesleben hatte er zudem durch seinen Vorschlag an den Insel-Verlag, der sein Werk bis 1933 verlegte, die äußerst erfolgreiche "Bibliotheca Mundi" herauszubringen, für die er selbst zeitweise als Herausgeber fungierte.

"Er hat zeitlebens gearbeitet, mit vielen großen Männern des Jahrhunderts korrespondiert. Er hat eine der schönen Buchserien in deutscher Sprache, die Insel-Bücher, angeregt und anfänglich mit ausgewählt. Er hat große europäische Dichter entdeckt oder populär gemacht. Er hat mitgeholfen, den literarischen Geschmack der westlichen Welt zu beeinflussen und zu bilden. Er hat Verleger in vielen Ländern beraten", schrieb Hermannn Kesten, einer seiner Freunde aus dem Exil, über ihn.

Von besonderer Bedeutung war sein Talent, Freundschaften zu begründen und zu pflegen. Hermann Hesse nannte ihn einen "Meister der Freundschaft", der einen intensiven brieflichen Austausch mit den führenden Intellektuellen Europas hatte, aus dem ein privater Schriftverkehr resultierte, von dem mehr als 20.000 Briefe erhalten sind.


Vom Patrioten zum Pazifisten

"Jetzt zum erstenmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig aus mir zu sprechen und aus der Zeit."


Der Beginn des 1. Weltkrieges traf Stefan Zweig völlig unvorbereitet. Denn entgegen der Darstellung in seiner Autobiographie, in der er schrieb, dass er "immun" gegen die Kriegsbegeisterung in Österreich war, meldete er sich unmittelbar nach Kriegsausbruch freiwillig für den Kriegsdienst an der Front und brach jeglichen Kontakt mit den Freunden im Ausland ab, die er kurz zuvor noch getroffen hatte. Glücklicherweise wurde er für den Fronteinsatz als untauglich befunden und ins Kriegsarchiv beordert. Dort wirkte er jahrelang an Schriften mit, die den Krieg rechtfertigten und glorifizierten.

Sein allmählicher Wandel zum Pazifismus verdankte er ganz wesentlich Romain Rolland, der als einer der ersten großen europäischen Intellektuellen mit der Autorität des gerade erlangten Literaturnobelpreises gegen die allgemeine Kriegsbegeisterung anschrieb und sich gezielt an ihn wendete, mit dem Appell, die Sache des Friedens zu unterstützen: "Sie sind in der Tat dieser vielseitige und edle europäische Geist, den unsere Zeit benötigt". Zweig half dem Freund durch die Übersetzung und Veröffentlichung von Antikriegsschriften in Deutschland und Österreich, verfasste aber weiter Texte für seine Dienststelle.

Erst eine Fahrt in das zerstörte Kriegsgebiet, die er in offiziellen Auftrag 1915 machte und ein längerer Kontakt mit schwer verletzten Soldaten in einem Lazarett-Zug, führte ihm die Inhumanität des Krieges vor Augen und bewirkte einen nachhaltigen Umschwung in seinem Denken und Handeln.

Die Widersprüchlichkeit dieses Prozesses zwischen seiner inneren Ablehnung des Krieges und der Angst vor der Konfrontation mit dem staatlichen Machtapparat verarbeitete Zweig in seiner Erzählung "Der Zwang", die 1920 erschien. Die Handlung dieser Novelle legt nahe, dass die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung seine damalige Lebensgefährtin und spätere Frau, Friderike von Winternitz war.

Die existenziell neue Erkenntnis für Zweig ist, dass es nötig sein kann, die eigenen moralischen Werte notfalls auch gegen die Übermacht des Staates zu vertreten. Dies fiel Zweig vor allem deshalb so schwer, da er sich vor dem ersten Weltkrieg in Übereinstimmung mit dem gesellschaftlichen System fühlte. Diese Idealisierung des alten Österreichs lässt sich in seiner Autobiographie deutlich erkennen.

Fortan sind die Auseinandersetzung des unpolitischen Einzelnen mit Ungerechtigkeit und staatlicher Willkür und der Prozess hin zur persönlichen Auflehnung zentrale Themen vieler seiner Werke. In den letzten zwei Jahren des 1. Weltkriegs beginnt auch seine erstaunliche literarische Produktivität.
Er schreibt sein erstes Werk gegen den Krieg, das Drama "Jeremias", welches 1917 erscheint. In diesem Werk stellt er die Perspektive des Besiegten in den Mittelpunkt, und entdeckt die moralische Kraft derer, die mit ihrem verlorenen Kampf ein Zeichen für die positiven Ideale der Menschheit setzen. Dieses Thema bearbeitete er noch einer ganzen Reihe von Biographien (u.a. "Tersites", "Maria Stuart", "Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam", "Castellio gegen Calvin oder ein Gewissen gegen die Gewalt").
 

1917 nutzte er eine Erlaubnis seiner Dienststelle, für eine Vortragsreise in die Schweiz zu reisen, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Er blieb mit seiner Lebensgefährtin, Friderike von Winternitz, bis zum Ende des ersten Weltkrieges im Schweizer Exil.
Hier traf sich ein Kreis von Intellektuellen aus den Krieg führenden Ländern, die sich ebenfalls aus ihren Ländern hierhin zurückgezogen hatten. Sie verstanden sich als Wegbereiter eines neuen Europas und veröffentlichten Texte gegen den Krieg und für einen neuen Aufbruch:

 

"Wir sind Defaitisten, das heißt, wir wollen keines Sieg und keines Niederlage. Schreien wir unsere Kriegsfeindschaft mit diesem Wort in die Welt. Soyons défaitistes! Siamo disfattisti!"

(aus "Bekenntnis zum Defaitismus" von Stefan Zweig, Juli 1918)


Erfolg und Engagement

" Vorbei war die Zeit, wo ich mir vortäuschen konnte, alles, was ich beginne, sei nur provisorisch."

1919 kehrte er in das zerstörte und demoralisierte Österreich mit der Hoffnung zurück, die Menschen nach dem Krieg zu einem europäischen, friedlichen Neuanfang anzuregen:

"Mein Ziel wäre es, nicht ein bedeutender Kritiker oder eine literarische Berühmtheit zu werden, sondern eine moralische Autorität." (Brief an Rolland, 21.01.1918).

Er und Friderike zogen nach Salzburg, in ein Schlösschen, was Zweig noch im Krieg erworben hatte. Sie bauten es mit großen Aufwand zu einem Refugium aus, in dem Zweig so leben konnte, wie es seinem Ideal entsprach. Hier konnte er in Ruhe schreiben und seine Kultur der Freundschaft pflegen. Es besuchten ihn in den fünfzehn Jahren, die er in dem Haus am Kapuzinerberg wohnte, die wichtigsten europäischen Intellektuellen und Musiker seiner Zeit. Zudem setzte er sich für die Förderung junger oder in Deutschland noch unbekannter Künstler ein, denen er half, Verlage zu finden. Walter Bauer, ein junger Arbeitschriftsteller, schrieb über seine Begegnung mit Stefan Zweig: "Er war ein Mann im Ruhm, aber er war frei und unfeierlich geblieben, der Erfolg hatte ihn nicht verdorben. Er erwartete, dass man bestimmte Grenzen achtete, die er unaufdringlich zog; er aber selber ging über diese Grenzen hinweg und streckte seine Hand dem jungen Menschen hin, der aus der Luft einer Arbeiterküche kam. Es wurde einem wohl in seiner Gegenwart."

In dieser Zeit entstanden auch die Werke, die seinen Weltruhm begründeten. Er veröffentlichte zahlreiche historische Biographien, Essays und Einführungen, in denen er seinen Lesern und Leserinnen die Werke der großen europäischen Humanisten nahe bringen wollte. Zu diesem Zweck machte er auch zahlreiche Vortragsreisen durch Europa und konnte in den meisten Ländern seine Vorträge in der Landessprache halten. Offenbar war er zudem ein mitreißender Redner, so dass seine Veranstaltungen auch in großen Sälen meist ausgebucht waren. 
Großen Erfolg hatten auch seine von Sigmund Freuds Werk inspirierten Charakterstudien, in denen er soziale und erotische Tabus dieser Zeit wie Untreue, erotische Obsessionen und Homosexualität (Angst, Amokläufer, Verwirrung der Gefühle, 24 Stunden im Leben einer Frau) thematisierte.

In seiner Autobiographie beschrieb er diesen Lebensabschnitt folgendermaßen: "In meinem persönlichen Leben war das Bemerkenswerteste, daß in jenen Jahren ein Gast in mein Haus kam und sich dort wohlwollend niederließ, ein Gast, den ich nie erwartet hatte - der Erfolg" und beschrieb die wesentliche Ursache für die Attraktivität seiner Bücher für das Publikum in der Fähigkeit des Autors, sich kurz zu fassen: "Wenn ich mir irgendeiner Kunst bewußt bin, so ist es die Kunst des Verzichtenkönnens, denn ich klage nicht, wenn von tausend geschriebenen Seiten achthundert in den Papierkorb wandern und nur zweihundert als die durchgesiebte Essenz zurückbleiben."

Richard Specht, ein Wiener Lyriker, Dramatiker, Musikschriftsteller schrieb damals über Zweig:
"Er greift mit Zeitungsartikeln ins Leben der Gegenwart, baut einen Zyklus grandioser Essays zu einem Weltbild auf, gründet eine Bibliotheca mundi und gibt sie gleich selbst heraus, überschüttet einen großen Verlag mit Ideen, macht Vortragsreisen, ist mit allen Geistigen Europas in dauernder und produktiver Verbindung, legt eine der kostbarsten Autographensammlungen an und baut sie auf, bearbeitet alte Komödien und läßt sie aufführen, entdeckt neue Dichter, trommelt sie aus und schafft ihnen Verleger, überwacht die Übersetzungen seiner Werke, streut überallhin Vorschläge und Anregungen aus, hat immer Zeit für seine Freunde und ist der hilfsbereiteste unter ihnen ..."

Trotz seines Weltruhmes blieb er zeitlebens bescheiden und mied Veranstaltungen, die nicht der Literatur gewidmet sind. So verzichtet er 1931, zum 50. Geburtstag, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, völlig auf Feierlichkeiten und äußert sich gegenüber Freunden: "Eigentlich hätte man jetzt genug vom Leben. Was noch kommen kann ist nichts als Abstieg."

Mit großer Besorgnis hatte er in dieser Zeit das Aufkommen das Faschismus in Europa verfolgt. Als die Nationalsozialisten in Deutschland 1933 an die Macht kamen, wurden auch seine Werke verbrannt und er verlor den Verlag, der ihn von Anfang an verlegt hatte. Er äußerte schon 1933 gegenüber Freunden, dass Österreich seine Selbständigkeit nicht lange würde behaupten können. Und die Entwicklung in seinem Heimatland sollte diese Befürchtungen bestätigen.

Als Polizisten 1934 völlig unbegründet sein Haus in Salzburg nach Waffen durchsuchten, war er so empört über die Willkür der Behörden und den Angriff auf seine persönliche Autonomie, dass er sich entschloss, Österreich so schnell wie möglich zu verlassen. Als Wohnsitz wählte er London.
Faktisch bedeutete dies die Trennung von seiner Frau, die sich weigerte, mit ihm das Land zu verlassen, weil sie seinen politischen Pessimismus nicht teilte und sich von ihrer Heimat nicht trennen konnte.


Exil


"Ich habe die stärkste Abneigung, Emigrant zu werden und würde das nur im äußersten Notfall tun."  (15.05.1933)

Die ersten vier Jahre in Großbritannien verfügte Stefan Zweig noch über seine österreichische Staatsangehörigkeit und die entsprechenden persönlichen Freiheiten. Entsprechend war der Bruch mit seiner Heimat noch nicht vollständig und er besuchte sowohl seine Frau als auch seine Familie. Obwohl er sich intensiv, wie seine Briefe zeigen, mit der Gefahr des Faschismus beschäftigte, vermied er es, sich öffentlich politisch zu äußern oder sich an entsprechenden Aktivitäten der exilierten Intellektuellen zu beteiligen. Stattdessen befasste er sich in seinen Werken mit den historischen Wurzeln des Nationalismus und den frühen Vorkämpfern für die geistige Freiheit. Von besonderer Wichtigkeit waren in diesem Zusammenhang seine Biographien über Erasmus von Rotterdam und Castellio, einem Gegenspieler zu Calvin. Beide Bände hatten großen Erfolg in der internationalen Öffentlichkeit und beeindruckten seine Schriftstellerkollegen sehr. Diese Werke hatten ihren Aktualitätsbezug dadurch, dass sie auch als Parabel über den notwendigen Kampf gegen Faschismus und Unrecht gelesen werden konnten. Und er hatte erneut zwei Helden ausgewählt, die sich nicht einer politischen Gruppierung anschlossen, sondern allein den Kampf mit den Waffen des Geistes gegen skrupellose Machtpolitiker aufnahmen, auch wenn sie ahnten, dass sie diesen Kampf nie gewinnen konnten. In Briefen schrieb er, dass im "Erasmus" sich selbst portraitierte und im "Castellio" die Person, die er gern wäre. Beide Bände sind in Deutschland zu Unrecht fast völlig vergessen - in Spanien ist vor kurzem eine von der Kritik sehr gelobte Neuübersetzung erschienen.

Obwohl Stefan Zweig öffentliches politisches Engagement scheute, war er für das politisch engagierte Exil von großer Wichtigkeit, denn in seiner persönlichen Integrität, seinem Kenntnisreichtum und seiner uneitlen, zurückhaltenden Art war er für viele, die miteinander politisch zerstritten waren ein wichtiger Vermittler, eine Persönlichkeit, mit der fast alle den persönlichen Austausch suchten.

Die Jahre bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges nutzte er erneut zu internationalen Vortragsreisen. Insbesondere Südamerika, wo zahllose Menschen seine Lesungen besuchten und er bei der Einreise fast wie Staatsgast empfangen wurde, machte einen großen Endruck auf ihn. Dies führte wohl auch dazu, dass er sich später, als er Europa verlies, sich für Brasilien entschied.

Wichtig war er darüber hinaus für viele Emigranten in Not, denn er nutzte er seine finanziellen Möglichkeiten, um vielen zu helfen - ein Handeln, über das Anekdoten überliefert sind, über das er aber niemals sprach. So schrieb Hermann Kesten:

"Vor dem Krieg saßen wir in einem Restaurant in Paris, zwei deutsche Dichter im Exil. 'Wie geht es Ernst Weiß?' fragte Zweig. 'Schlecht', sagte ich, 'Weiß hat kein Geld.' Am andern Tag ging ich in den Tuilerien spazieren und traf zufällig Ernst Weiß.
'Zweig war gestern bei mir', erzählte mir Weiß. 'Er kam zu Fuß und stieg bis in den sechsten Stock zu meiner Dachkammer hinauf und zwang mich, ihm aus meinem neuen Roman vorzulesen. Dann schenkte er mir 8000 Francs.'
'Davon können Sie zwei bis drei Monate leben', sagte ich.
'Ja!' sagte Weiß. 'Aber haben Sie Zweigs Roman gelesen? Lauter Lesefrüchte! Ich habe eine meiner Figuren aus meinem Inflationsroman bei Zweig in leichtbeschädigtem Zustand wiedergefunden.'
'Haben Sie Zweig das erzählt?'
'Natürlich. Er lachte und riet mir, ihm zu schreiben, wenn ich wieder Geld brauchte. Das werde ich tun, sagte ich ihm. So komme ich wieder zu dem Meinen. Er lachte. Er hat gut lachen. Er ist reich. Er hat Erfolg. Er ist ein Sohn des Glücks.'"

Das selbstbestimmte Exil endete für Zweig 1938 mit der Besetzung Österreichs durch Deutschland. Sein Pass verlor die Gültigkeit, und er musste einen englisches Dokument für Staatenlose ersuchen. Somit wurde er zum Bittsteller in einem Land, das er zwar respektierte, in dem er aber nie richtig heimisch geworden war. Die Einschränkung seiner persönlichen Freiheit verschärfte sich mit dem Eintritt Englands in den zweiten Weltkrieg für ihn auf eine unerträgliche Weise. Er wurde dadurch zu einem gerade noch geduldeten Ausländer.

1940 gelang es seinen englischen Freunden endlich durchzusetzen, dass er die englische Staatsbürgerschaft erhielt.


Diese wiedergewonnene Unabhängigkeit nutzte er, um mit seiner neuen Frau Lotte, seiner früheren Sekretärin, die er 1939 geheiratet hatte, nach wenigen Monaten Europa endgültig zu verlassen. Er entschied sich nach mehreren Stationen, u.a. New York und Argentinien, bewusst für einen Ort weitab von der großen Mehrzahl von Exilanten und vor allem für ein Land, von dem er hoffte, dass es nicht in den Weltkrieg hineingezogen würde: Brasilien. Er nahm seinen Wohnsitz in Petropolis in der Nähe von Rio de Janeiro und lebte dort mit seiner Frau sehr zurückgezogen, half aber auch von dort, soweit es möglich war..

Die militärischen Erfolge des deutschen Faschismus deprimierten ihn zusehends mehr und er zog sich zunehmend in seine Arbeit zurück, die für Außenstehende immer noch erstaunlich produktiv und erfolgreich war, wenngleich er selbst einen Rückang der künstlerischen Kreativität beklagte.
 

So hatte er wenige Monate nach seinem 60. Geburtstag das Gefühl, die Zerstörung aller seiner Werte nicht mehr ertragen zu können und nahm sich, bald nach Beendigung seiner Autobiographie, gemeinsam mit seiner Frau, das Leben.
Obwohl er es in seinem Testament abgelehnt hatte, erhielt er ein Staatsbegräbnis in Brasilien, und es gab einen spontanen Trauerzug mit tausenden von Menschen anlässlich seiner Beerdigung.


Der Selbstmord Stefan Zweigs wirkte auf viele der Emigrierten wie ein Schlag, denn er hatte seine schon lange anwährenden Depressionen mit nur wenigen geteilt und sich bis zuletzt nach Kräften bemüht, weiter Freunden zu helfen und sie zu ermutigen.

Thomas Mann verstieg sich in seiner Betroffenheit in einem Brief sogar zu der Kritik: "Durfte er dem Erzfeinde den Ruhm gönnen, daß wieder einmal Einer von uns die Segel gestrichen, Bankerott erklärt und sich umgebracht habe? Er war Individualist genug, sich nicht darum zu kümmern." Diese Bewertung hat er Jahre später revidiert und schrieb dann: "Nie ist mit tieferer Bescheidenheit ein Weltruhm getragen worden."

Vor allem aber bleibt aus Sicht der Redaktion das Werk Stefan Zweigs, sein Verdienst um die europäische Kultur und eine einzigartige Persönlichkeit, die uns bewegt hat. Und es bleibt die Einsicht, dass die humanistischen Wurzeln des "alten Europas", die Stefan Zweig uns mit seiner moralischen Kraft eines Besiegten näher gebracht hat, auch heute noch große Aktualität besitzen.


Bekanntmachung

Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Land Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jeden Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber von Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet.
Aber nach dem sechzigsten Jahre bedurfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.


 







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