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04.1
Biografie
Stefan Zweig
"Mich hat das
Schicksal mit einem unbestechlichen Auge, einem harten Auge und einem
weichen
Herzen geschlagen."
Stefan Zweig war ein
österreichischer Schriftsteller
Geboren:
28. November 1881,
Wien
Gestorben:
22. Februar 1942,
Rio de Janeiro/Brazil
_______________________________________
Stefan
Zweig, geboren 1881 in Wien, Schriftsteller, Poet,
Übersetzer, Herausgeber, Pazifist, Humanist, Europäer.
Emigrierte während des
1. Weltkrieges von 1917 - 18 in
die Schweiz.
Vor dem zweiten Weltkrieg einer
der weltweit am meisten übersetzten Autoren.
1934
Emigration aus Österreich
nach London, 1941 Übersiedlung
ins brasilianische Exil. Dort Selbstmord,
zusammen mit seiner Frau, am 23.02.
1942. Auch heute noch mit einigen seiner
kurzen Erzählungen weltbekannt, aber als Humanist, großer Europäer,
historischer Biographienschreiber und wichtige Persönlichkeit des Exils
fast
vergessen. In Spanien seit kurzem mit seinen wichtigsten Werken neu
übersetzt.
"Ich bin 1881 in einem großen
und
mächtigen Kaiserreiche geboren, in der Monarchie der Habsburger, aber
man suche
sie nicht auf der Karte: sie ist weggewaschen ohne Spur.
Ich bin aufgewachsen
in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie
wie ein
Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer
deutschen
Provinzstadt.
Mein literarisches Werk ist in der Sprache, in der ich es
geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in eben demselben Lande, wo
meine Bücher
Millionen Leser sich zu Freunden gemacht.
So gehöre ich nirgends mehr hin,
überall Fremder und bestenfalls Gast; auch die eigentliche Heimat, die
mein
Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren, seit es sich zum
zweitenmal
selbstmörderisch zerfleischt im Bruderkriege",
schrieb Stefan Zweig in
seiner Autobiographie von 1942, Die Welt von Gestern.
Die
Welt der Sicherheit
"Europa" war für Stefan Zweig das
zentrale Thema seines Lebens und
Schreibens. Er wurde als Kind einer sehr wohlhabenden jüdischen
Fabrikantenfamilie in Wien geboren. Eine Familie, in der neben der
wirtschaftlichen traditionell auch die geistige Emanzipation verfolgt
wurde.
Die Leidenschaft für die Literatur entdeckte Stefan Zweig bereits in
der Zeit
des Schulbesuchs. Unter dem autoritären Drill des Gymnasiums litt er
sehr, auch
wenn er die geforderten Leistungen nach außen hin mühelos erfüllte. So
hatte er
auch wenig Interesse am Universitätsstudium und investierte nur ein
Minimum an
Energie, um die Bedingung seiner Eltern, den Erwerb des Doktortitels
(1904, in
Romanistik - mit Auszeichnung) zu erfüllen.
Schon
mit 20 Jahren gelang es ihm, für seine ersten poetischen Arbeiten einen
der renommiertesten Verlage Deutschlands, den Insel-Verlag, zu gewinnen
und
kurz darauf, im Feuilleton der bekanntesten Wiener Zeitung, der "Neuen
Freien Presse", die auch in Deutschland großen Respekt genoss, zu
veröffentlichen. Diese ersten Erfolge sah Zweig vor allem als Ansporn,
sich
weiter zu entwickeln. Zu diesem Zweck bereiste er Belgien, England,
Frankreich,
Spanien, Nordafrika und Italien, die Vereinigten Staaten von Amerika,
Kanada, Lateinamerika und Indien. Er nutze die zum Teil monatelangen
Aufenthalte,
um die Kultur dieser Länder so intensiv wie möglich zu studieren und um
seine
Sprachkenntnisse zu vertiefen. Auf diese Weise lernte Stefan Zweig
Englisch,
Französisch, Italienisch und Spanisch fließend und konnte sich so in
das kulturelle
Leben dieser Länder integrieren. Er bemühte sich um Kontakte und
Freundschaften
mit Schriftstellern, die er als Vorbild ansah. Er übersetzte Werke
damals in
Deutschland noch unbekannter Künstler wie Emile Verhaeren und Romain
Rolland,
der 1914 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Er sah sich als
"Vermittler" zwischen den Kulturen, schrieb Essays über Autoren, die
wie er europäisch dachten. Insgesamt hat er nahezu fünfzig Werke, vor
allem
zeitgenössischer Autoren, herausgegeben, übersetzt oder eingeleitet.
Einen
wichtigen Einfluss auf das Geistesleben hatte er zudem durch seinen
Vorschlag
an den Insel-Verlag, der sein Werk bis 1933
verlegte, die äußerst erfolgreiche "Bibliotheca
Mundi"
herauszubringen, für die er selbst zeitweise als
Herausgeber fungierte.
"Er
hat zeitlebens gearbeitet, mit vielen großen Männern des Jahrhunderts
korrespondiert. Er hat eine der schönen Buchserien in deutscher
Sprache, die
Insel-Bücher, angeregt und anfänglich mit ausgewählt. Er hat große
europäische
Dichter entdeckt oder populär gemacht. Er hat mitgeholfen, den
literarischen
Geschmack der westlichen Welt zu beeinflussen und zu bilden. Er hat
Verleger in
vielen Ländern beraten", schrieb Hermannn Kesten, einer seiner
Freunde aus dem Exil, über ihn.
Von
besonderer Bedeutung war sein Talent, Freundschaften zu begründen und
zu
pflegen. Hermann Hesse nannte ihn einen "Meister der Freundschaft",
der einen intensiven brieflichen Austausch mit den führenden
Intellektuellen
Europas hatte, aus dem ein privater Schriftverkehr resultierte, von dem
mehr
als 20.000 Briefe erhalten sind.
Vom
Patrioten zum Pazifisten
"Jetzt
zum erstenmal hatte ich das
Gefühl, gleichzeitig aus mir zu sprechen und aus der Zeit."
Der
Beginn des 1. Weltkrieges traf Stefan
Zweig völlig unvorbereitet. Denn entgegen der Darstellung in seiner
Autobiographie, in der er schrieb, dass er "immun" gegen die
Kriegsbegeisterung
in Österreich war, meldete er sich unmittelbar nach Kriegsausbruch
freiwillig
für den Kriegsdienst an der Front und brach jeglichen Kontakt mit den
Freunden
im Ausland ab, die er kurz zuvor noch getroffen hatte. Glücklicherweise
wurde
er für den Fronteinsatz als untauglich befunden und ins Kriegsarchiv
beordert.
Dort wirkte er jahrelang an Schriften mit, die den Krieg rechtfertigten
und
glorifizierten.
Sein
allmählicher Wandel zum Pazifismus
verdankte er ganz wesentlich Romain Rolland, der als einer der ersten
großen
europäischen Intellektuellen mit der Autorität des gerade erlangten
Literaturnobelpreises gegen die allgemeine Kriegsbegeisterung anschrieb
und
sich gezielt an ihn wendete, mit dem Appell, die Sache des Friedens zu
unterstützen: "Sie sind in der Tat dieser vielseitige und edle
europäische Geist, den unsere Zeit benötigt". Zweig half dem Freund
durch
die Übersetzung und Veröffentlichung von Antikriegsschriften in
Deutschland und
Österreich, verfasste aber weiter Texte für seine Dienststelle.
Erst
eine Fahrt in das zerstörte
Kriegsgebiet, die er in offiziellen Auftrag 1915 machte und ein längerer
Kontakt mit schwer verletzten Soldaten in einem Lazarett-Zug, führte
ihm die
Inhumanität des Krieges vor Augen und bewirkte einen nachhaltigen
Umschwung in
seinem Denken und Handeln.
Die
Widersprüchlichkeit dieses Prozesses zwischen seiner inneren Ablehnung
des
Krieges und der Angst vor der Konfrontation mit dem staatlichen
Machtapparat
verarbeitete Zweig in seiner Erzählung "Der
Zwang", die 1920
erschien.
Die Handlung dieser Novelle legt nahe, dass die treibende Kraft hinter
dieser
Entwicklung seine damalige Lebensgefährtin und spätere Frau, Friderike
von
Winternitz war.
Die
existenziell neue Erkenntnis für Zweig
ist, dass es nötig sein kann, die eigenen moralischen Werte notfalls
auch gegen
die Übermacht des Staates zu vertreten. Dies fiel Zweig vor allem
deshalb so
schwer, da er sich vor dem ersten Weltkrieg in Übereinstimmung mit dem
gesellschaftlichen System fühlte. Diese Idealisierung des alten
Österreichs
lässt sich in seiner Autobiographie deutlich erkennen.
Fortan
sind die Auseinandersetzung des
unpolitischen Einzelnen mit Ungerechtigkeit und staatlicher Willkür und
der
Prozess hin zur persönlichen Auflehnung zentrale Themen vieler seiner
Werke. In
den letzten zwei Jahren des 1. Weltkriegs beginnt auch seine
erstaunliche
literarische Produktivität.
Er schreibt sein erstes Werk gegen den Krieg, das
Drama "Jeremias", welches 1917 erscheint. In diesem Werk
stellt er
die Perspektive des Besiegten in den Mittelpunkt, und entdeckt die
moralische
Kraft derer, die mit ihrem verlorenen Kampf ein Zeichen für die
positiven
Ideale der Menschheit setzen. Dieses Thema bearbeitete er noch einer
ganzen
Reihe von Biographien (u.a. "Tersites",
"Maria Stuart",
"Triumph und Tragik
des Erasmus von Rotterdam", "Castellio
gegen
Calvin oder ein Gewissen gegen die Gewalt").
1917 nutzte er eine Erlaubnis seiner
Dienststelle, für eine Vortragsreise in die Schweiz zu reisen, um sich
dem
Kriegsdienst zu entziehen. Er blieb mit seiner Lebensgefährtin,
Friderike von
Winternitz, bis zum Ende des ersten Weltkrieges im Schweizer Exil.
Hier traf
sich ein Kreis von Intellektuellen aus den Krieg führenden Ländern, die
sich
ebenfalls aus ihren Ländern hierhin zurückgezogen hatten. Sie
verstanden sich
als Wegbereiter eines neuen Europas und veröffentlichten Texte gegen
den Krieg
und für einen neuen Aufbruch:
"Wir sind Defaitisten, das heißt, wir
wollen keines Sieg und keines Niederlage. Schreien wir unsere
Kriegsfeindschaft
mit diesem Wort in die Welt. Soyons défaitistes! Siamo disfattisti!"
(aus
"Bekenntnis zum Defaitismus" von Stefan Zweig, Juli 1918)
Erfolg und Engagement
"
Vorbei war die Zeit, wo ich mir
vortäuschen konnte, alles, was ich beginne, sei nur provisorisch."
1919 kehrte er in das zerstörte und
demoralisierte Österreich mit der Hoffnung zurück, die Menschen nach
dem Krieg
zu einem europäischen, friedlichen Neuanfang anzuregen:
"Mein Ziel
wäre es, nicht ein bedeutender Kritiker oder eine literarische
Berühmtheit zu
werden, sondern eine moralische Autorität." (Brief an Rolland,
21.01.1918).
Er
und Friderike zogen nach Salzburg, in
ein Schlösschen, was Zweig noch im Krieg erworben hatte. Sie bauten es
mit
großen Aufwand zu einem Refugium aus, in dem Zweig so leben konnte, wie
es
seinem Ideal entsprach. Hier konnte er in Ruhe schreiben und seine
Kultur der
Freundschaft pflegen. Es besuchten ihn in den fünfzehn Jahren, die er
in dem
Haus am Kapuzinerberg wohnte, die wichtigsten europäischen
Intellektuellen und
Musiker seiner Zeit. Zudem setzte er sich für die Förderung junger oder
in
Deutschland noch unbekannter Künstler ein, denen er half, Verlage zu
finden.
Walter Bauer, ein junger Arbeitschriftsteller, schrieb über seine
Begegnung mit
Stefan Zweig: "Er war ein Mann im Ruhm, aber er war frei und
unfeierlich geblieben, der Erfolg hatte ihn nicht verdorben. Er
erwartete, dass
man bestimmte Grenzen achtete, die er unaufdringlich zog; er aber
selber ging
über diese Grenzen hinweg und streckte seine Hand dem jungen Menschen
hin, der
aus der Luft einer Arbeiterküche kam. Es wurde einem wohl in seiner
Gegenwart."
In
dieser Zeit entstanden auch die Werke,
die seinen Weltruhm begründeten. Er veröffentlichte zahlreiche
historische
Biographien, Essays und Einführungen, in denen er seinen Lesern und
Leserinnen
die Werke der großen europäischen Humanisten nahe bringen wollte. Zu
diesem
Zweck machte er auch zahlreiche Vortragsreisen durch Europa und konnte
in den
meisten Ländern seine Vorträge in der Landessprache halten. Offenbar
war er
zudem ein mitreißender Redner, so dass seine Veranstaltungen auch in
großen
Sälen meist ausgebucht waren.
Großen
Erfolg hatten auch seine von Sigmund
Freuds Werk inspirierten Charakterstudien, in denen er soziale und
erotische
Tabus dieser Zeit wie Untreue, erotische Obsessionen und
Homosexualität (Angst,
Amokläufer, Verwirrung der Gefühle, 24 Stunden im Leben einer Frau)
thematisierte.
In
seiner Autobiographie beschrieb er
diesen Lebensabschnitt folgendermaßen: "In meinem persönlichen
Leben
war das Bemerkenswerteste, daß in jenen Jahren ein Gast in mein Haus
kam und
sich dort wohlwollend niederließ, ein Gast, den ich nie erwartet hatte
- der
Erfolg" und beschrieb die wesentliche Ursache für die
Attraktivität
seiner Bücher für das Publikum in der Fähigkeit des Autors, sich kurz
zu
fassen: "Wenn ich mir irgendeiner Kunst bewußt bin, so ist es die
Kunst des Verzichtenkönnens, denn ich klage nicht, wenn von tausend
geschriebenen Seiten achthundert in den Papierkorb wandern und nur
zweihundert
als die durchgesiebte Essenz zurückbleiben."
Richard
Specht, ein Wiener Lyriker,
Dramatiker, Musikschriftsteller schrieb damals über Zweig:
"Er
greift mit Zeitungsartikeln ins Leben der Gegenwart, baut einen Zyklus
grandioser Essays zu einem Weltbild auf, gründet eine Bibliotheca mundi
und
gibt sie gleich selbst heraus, überschüttet einen großen Verlag mit
Ideen,
macht Vortragsreisen, ist mit allen Geistigen Europas in dauernder und
produktiver Verbindung, legt eine der kostbarsten Autographensammlungen
an und
baut sie auf, bearbeitet alte Komödien und läßt sie aufführen, entdeckt
neue
Dichter, trommelt sie aus und schafft ihnen Verleger, überwacht die
Übersetzungen seiner Werke, streut überallhin Vorschläge und Anregungen
aus,
hat immer Zeit für seine Freunde und ist der hilfsbereiteste unter
ihnen
..."
Trotz
seines Weltruhmes blieb er zeitlebens
bescheiden und mied Veranstaltungen, die nicht der Literatur gewidmet
sind. So
verzichtet er 1931, zum 50.
Geburtstag, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, völlig
auf Feierlichkeiten und äußert sich gegenüber
Freunden: "Eigentlich
hätte man jetzt genug vom Leben. Was noch kommen kann ist nichts als
Abstieg."
Mit
großer Besorgnis hatte er in dieser
Zeit das Aufkommen das Faschismus in Europa verfolgt. Als die
Nationalsozialisten in Deutschland 1933
an die Macht kamen, wurden auch seine
Werke verbrannt und er verlor den Verlag, der ihn von Anfang an verlegt
hatte.
Er äußerte schon 1933 gegenüber
Freunden, dass Österreich seine Selbständigkeit
nicht lange würde behaupten können. Und die Entwicklung in seinem
Heimatland
sollte diese Befürchtungen bestätigen.
Als
Polizisten 1934 völlig
unbegründet sein Haus in Salzburg nach Waffen
durchsuchten, war er so empört über die Willkür der Behörden und den
Angriff
auf seine persönliche Autonomie, dass er sich entschloss, Österreich so
schnell
wie möglich zu verlassen. Als Wohnsitz wählte er London.
Faktisch
bedeutete dies die Trennung von
seiner Frau, die sich weigerte, mit ihm das Land zu verlassen, weil sie
seinen
politischen Pessimismus nicht teilte und sich von ihrer Heimat nicht
trennen
konnte.
Exil
"Ich habe die
stärkste Abneigung,
Emigrant zu werden und würde das nur im äußersten Notfall tun."
(15.05.1933)
Die
ersten vier Jahre in Großbritannien
verfügte Stefan Zweig noch über seine österreichische
Staatsangehörigkeit und
die entsprechenden persönlichen Freiheiten. Entsprechend war der Bruch
mit
seiner Heimat noch nicht vollständig und er besuchte sowohl seine Frau
als auch
seine Familie. Obwohl er sich intensiv, wie seine Briefe zeigen, mit
der Gefahr
des Faschismus beschäftigte, vermied er es, sich öffentlich politisch
zu äußern
oder sich an entsprechenden Aktivitäten der exilierten Intellektuellen
zu
beteiligen. Stattdessen befasste er sich in seinen Werken mit den
historischen
Wurzeln des Nationalismus und den frühen Vorkämpfern für die geistige
Freiheit.
Von besonderer Wichtigkeit waren in diesem Zusammenhang seine
Biographien über Erasmus
von Rotterdam und Castellio, einem Gegenspieler zu Calvin.
Beide
Bände hatten großen Erfolg in der internationalen Öffentlichkeit und
beeindruckten seine Schriftstellerkollegen sehr. Diese Werke hatten
ihren
Aktualitätsbezug dadurch, dass sie auch als Parabel über den
notwendigen Kampf
gegen Faschismus und Unrecht gelesen werden konnten. Und er hatte
erneut zwei
Helden ausgewählt, die sich nicht einer politischen Gruppierung
anschlossen,
sondern allein den Kampf mit den Waffen des Geistes gegen skrupellose
Machtpolitiker aufnahmen, auch wenn sie ahnten, dass sie diesen Kampf
nie
gewinnen konnten. In Briefen schrieb er, dass
im "Erasmus" sich
selbst portraitierte und im "Castellio" die Person, die er
gern wäre. Beide Bände sind in Deutschland zu Unrecht fast völlig
vergessen -
in Spanien ist vor kurzem eine von der Kritik sehr gelobte
Neuübersetzung
erschienen.
Obwohl
Stefan Zweig öffentliches
politisches Engagement scheute, war er für das politisch engagierte
Exil von
großer Wichtigkeit, denn in seiner persönlichen Integrität, seinem
Kenntnisreichtum
und seiner uneitlen, zurückhaltenden Art war er für viele, die
miteinander
politisch zerstritten waren ein wichtiger Vermittler, eine
Persönlichkeit, mit
der fast alle den persönlichen Austausch suchten.
Die
Jahre bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges
nutzte er erneut zu internationalen Vortragsreisen. Insbesondere
Südamerika, wo
zahllose Menschen seine Lesungen besuchten und er bei der Einreise fast
wie
Staatsgast empfangen wurde, machte einen großen Endruck auf ihn. Dies
führte
wohl auch dazu, dass er sich später, als er Europa verlies, sich für
Brasilien
entschied.
Wichtig
war er darüber hinaus für viele
Emigranten in Not, denn er nutzte er seine finanziellen Möglichkeiten,
um
vielen zu helfen - ein Handeln, über das Anekdoten überliefert sind,
über das
er aber niemals sprach. So schrieb Hermann Kesten:
"Vor
dem Krieg saßen wir in einem
Restaurant in Paris, zwei deutsche Dichter im Exil. 'Wie geht es Ernst
Weiß?'
fragte Zweig. 'Schlecht', sagte ich, 'Weiß hat kein Geld.' Am andern
Tag ging ich
in den Tuilerien spazieren und traf zufällig Ernst Weiß.
'Zweig
war gestern bei mir', erzählte mir Weiß. 'Er kam zu Fuß und stieg bis
in
den sechsten Stock zu meiner Dachkammer hinauf und zwang mich, ihm aus
meinem
neuen Roman vorzulesen. Dann schenkte er mir 8000 Francs.'
'Davon
können Sie zwei bis drei Monate leben', sagte ich.
'Ja!'
sagte Weiß. 'Aber haben Sie Zweigs Roman gelesen? Lauter Lesefrüchte!
Ich
habe eine meiner Figuren aus meinem Inflationsroman bei Zweig in
leichtbeschädigtem Zustand wiedergefunden.'
'Haben
Sie Zweig das erzählt?'
'Natürlich.
Er lachte und riet mir, ihm zu schreiben, wenn ich wieder Geld
brauchte. Das werde ich tun, sagte ich ihm. So komme ich wieder zu dem
Meinen.
Er lachte. Er hat gut lachen. Er ist reich. Er hat Erfolg. Er ist ein
Sohn des
Glücks.'"
Das
selbstbestimmte Exil endete für Zweig 1938
mit der
Besetzung Österreichs durch Deutschland. Sein Pass verlor die
Gültigkeit, und er musste einen englisches Dokument für Staatenlose
ersuchen.
Somit wurde er zum Bittsteller in einem Land, das er zwar respektierte,
in dem
er aber nie richtig heimisch geworden war. Die Einschränkung seiner
persönlichen Freiheit verschärfte sich mit dem Eintritt Englands in den
zweiten
Weltkrieg für ihn auf eine unerträgliche Weise. Er wurde dadurch zu
einem
gerade noch geduldeten Ausländer.
1940 gelang
es seinen englischen Freunden
endlich durchzusetzen, dass er die englische Staatsbürgerschaft
erhielt.
Diese
wiedergewonnene Unabhängigkeit nutzte
er, um mit seiner neuen Frau Lotte, seiner früheren Sekretärin, die er 1939
geheiratet hatte, nach wenigen Monaten Europa endgültig zu verlassen.
Er
entschied sich nach mehreren Stationen, u.a. New York und Argentinien,
bewusst
für einen Ort weitab von der großen Mehrzahl von Exilanten und vor
allem für ein
Land, von dem er hoffte, dass es nicht in den Weltkrieg hineingezogen
würde: Brasilien. Er
nahm seinen Wohnsitz in Petropolis in der Nähe von Rio de Janeiro
und lebte dort mit seiner Frau sehr zurückgezogen, half aber auch von
dort,
soweit es möglich war..
Die
militärischen Erfolge des deutschen
Faschismus deprimierten ihn zusehends mehr und er zog sich zunehmend in
seine
Arbeit zurück, die für Außenstehende immer noch erstaunlich produktiv
und
erfolgreich war, wenngleich er selbst einen Rückang der künstlerischen
Kreativität beklagte.
So
hatte er wenige Monate nach seinem 60.
Geburtstag das Gefühl, die Zerstörung aller seiner Werte nicht mehr
ertragen zu
können und nahm sich, bald nach Beendigung seiner Autobiographie,
gemeinsam mit
seiner Frau, das Leben.
Obwohl er es in seinem Testament abgelehnt hatte,
erhielt er ein Staatsbegräbnis in Brasilien, und es gab einen spontanen
Trauerzug mit tausenden von Menschen anlässlich seiner Beerdigung.
Der Selbstmord Stefan Zweigs wirkte auf
viele der Emigrierten wie ein Schlag, denn er hatte seine schon lange
anwährenden Depressionen mit nur wenigen geteilt und sich bis zuletzt
nach
Kräften bemüht, weiter Freunden zu helfen und sie zu ermutigen.
Thomas Mann verstieg sich in seiner
Betroffenheit in einem Brief sogar zu der Kritik: "Durfte er dem
Erzfeinde den Ruhm gönnen, daß wieder einmal Einer von uns die Segel
gestrichen, Bankerott erklärt und sich umgebracht habe? Er war
Individualist
genug, sich nicht darum zu kümmern." Diese Bewertung hat er Jahre
später revidiert und schrieb dann: "Nie ist mit tieferer
Bescheidenheit ein Weltruhm getragen worden."
Vor
allem aber bleibt aus Sicht der
Redaktion das Werk Stefan Zweigs, sein Verdienst um die europäische
Kultur und
eine einzigartige Persönlichkeit, die uns bewegt hat. Und es bleibt die
Einsicht, dass die humanistischen Wurzeln des "alten Europas", die
Stefan Zweig uns mit seiner moralischen Kraft eines Besiegten näher
gebracht
hat, auch heute noch große Aktualität besitzen.
Bekanntmachung
Ehe
ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide,
drängt
es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Land
Brasilien
innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast
gegeben.
Mit jeden Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends
hätte ich
mir mein Leben lieber von Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt
meiner
eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat
Europa
sich selbst vernichtet.
Aber
nach dem sechzigsten Jahre bedurfte es besonderer Kräfte, um noch
einmal
völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre
heimatlosen
Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in
aufrechter
Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die
lauterste Freude
und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich
grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der
langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.
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