Die
Selbstdeutung
Autobiografische
Einleitung zu „Das Nordlicht“,
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In
diesem tritt nun das im ersten Teil kräftig gehämmerte Ich so auf, dass
es
innerste Geheimnisse offenbaren kann. Apokalyptisches Weltwittern um
dieses
Ich, soweit es überindividuell zu schauen bereits berechtigt ist, setzt
ein.
Dieses
nun aufleuchtende Ich, ich nenne es für mich „lyrisches Ich“, überragt
natürlicherweise ganz die eigene Person, wie sie sich in die irdische
Sonnenwelt des ersten Teiles eingeschleiert hat: es steht auf einer andern
Warte und beherrscht simultan Gestaltungen von Ideen und auch
ihm dienende, es
vertretende Menschen: darunter
auch mich.
In
diesem Ich sind also ebenfalls meine Person und mein Weib enthalten.
Durch
Geburt und Tod bleiben wir jedoch auf urwunderreichen eignen Beschluss
hin
geschieden. Erst rein geistig wollen wir uns finden; über uns als
Menschen
hinaus im pfingstlichen Ich.
Mit
einem Weltzusammensturz fängt der zweite Teil des Epos an; mit der
Zusammenfassung aller Gebotenheiten im Menschen, in der Nordscheinblüte
unsrer
Erde, schließt er ab.
Immer
unpersönlicher tritt das Ich im fortschreitenden Gedicht auf. Wohl
gestaltete es
auch Menschen aus sich hinauf, die noch ganz sonnentrunken, im
Irdischen
festgehalten werden; aber ich nenne es dann, weil von den Vorgängen,
die sich
so abspielen, unendlich entfernt: Adam. Weil ganz allgemein
menschlich, wird es
schließlich als grundsätzlich für unser Geschlecht geschaut.
Verweilen
wir noch an den Toren des zweiten Teiles: einsam schwebt das Ich über den
Abgründen des Weltsturzes. An Millionen Jahre Geduld des „Logos“
bleibt es
einzig gebunden. Unendlichkeiten vor ihm, wie hinter ihm, sind seine
Schwingen.
Das Ich war schon immer zugegen, wenn ein Weltabschnitt zertrümmerte.
Völker,
die sich wie einzelne Seelen, durch Daseinsbeschluss, in
Menschengestalt
geborgen hatten, sieht es, das Ich (als ewig daran beteiligt), wieder
von den
Wogen der Urflut verschlungen werden. Alle Völker lässt es symbolhaft
(Symbol
ist immer äußerster Radikalismus) umkommen.
Den
Schrei des letzten Volkes vernimmt es:
Und
die Menschheit hör ich schreien: „Ra“.
Als
ein Echo ohne Ende
Hat
der Schrei nun fortgegellt;
Wenn
die ganze Welt verschwände,
Dieser
Schrei blieb als die Welt!
Der
Logos kündet dem Ich seine Ewigkeit, durch seinen eigensten Schrei, den
Urruf,
an. Den habe ich gesucht und gefunden. Als ich die Meeresbrandung nach
ihm
umgrübelte, flog ein großer Vogel erschreckt mit dem Schrei „Ra“ auf.
Ich sah
das Tier sofort als Umkörperung seines Angstschreis: mir träumte von Vögeln,
die Träger unsterblich bleibender Sprachen in dieser Welt, das
heißt: in unserm
sonnsüchtigen Wesen, sind. Mit solchen Vögeln bevölkerte ich den
Dunkelschlund
nach dem Weltsturz. Dann peitschte das Rasen des Urorkans selbst
Inselungen aus
sich empor. Sein Sich-Ausrasen wird zu Pferden. Ganze Herden bemähnter
Flieher
erklimmen als Fortsetzung der Brandungswut, brünstig und fast schon
gestaltet,
eine junge Felsenlehne. Einem neuen Dasein werden seine apokalyptischen
Gewalten sofort wieder in den Schoß gesenkt. Die Erde, die sich
umgebiert,
verjüngt, aus sich selber wieder herauswälzt, bringt im platonischen
Jahr des
Stieres (als Sternbild) Lemuren hervor, die nach langem Dahindämmern,
endlich
geschlechtsreif und dadurch mit der Sprache begabt, wiedererwachen.
Die
Sprachen-Aare verschwinden aber dabei aus unserem Gesichtskreis. Im
Zeichen des
„Stieres“ war die Welt dereinst zusammengestürzt: noch einmal, viel später,
erwachte brüllend der Apis Ägyptens. Aus Propheten ringt sich
der Logos hervor.
Diese dreimalige Stufung von Schrei, Sprache, Verheißung, die sich
jedes Mal
unterm Sternbild des Stieres ereignete, war rein intuitiv erfasst
worden: ich
erkenne erst heute, nachdem ich esoterische Werke oft in die Hand
bekommen
habe, die Rhythmik in der Schichtung der Vorgänge.
Das
Ich, das den Trichter des Weltbruchs mit erduldet hat, entschließt sich
triebhaft zum Pyramidenbau: seinem
(des Welttrichters) Entgegen! Es wohnt ihm
aber auch das Wissen über die Hyksos inne: wo Verwesung droht, ahnt sie das
kulturverwaltende Ich herbei. Der Boden klafft auseinander: Überflutung durch
ein Volk zu Pferde bricht in die kaum gefestigten Fugen und Kreise der
wiedererstandenen Welt!
Auch
der Urruf: „Ra“ lebt
in den Gemütern des Ra tragenden Volkes der Ägypter
ausbruchhaft auf: ein König
wird geboren, Amenophis der Vierte, der den
Untergang des Apis, also des Stieralters, wittert. Es muss dem
des Widders weichen: das ist
der Augenblick, um das Ertönen des Logos im einzigen Sonnengott Ra zu
erahnen: durchzusetzen! Amenophis der Vierte versucht‘ s. Er
schreckt nicht
zurück, sogar Theben, die Apisstadt, in Feuer und Rauch aufgehen zu
lassen.
Sein Vorhaben gelingt ihm jedoch nicht: der Anhang verrät ihn. Wohl
aber
vollbringt er die Tat im Geist! Verzweifelt lässt sich der König bei
lebendigem
Leib einbalsamieren. In seinen Schmerz zerbissenen Eingeweiden wird der
männlichste Gott, der Eifrige, von dem sogar die Silbe Ra abfällt,
geboren. Der
Gott, der nun ist, darf nicht mehr genannt werden! Das hohe Ich, dem
alljährlich Osiris entstrahlt, verlässt das Niltal: die späteren Mysterien der
Isis verlaufen traurig: in
Wehmut um den ausgewanderten Gott! Auch das war Intuition
bei mir. Der Tod Amenophis des Vierten in dieser Form ist reine
Erfindung. Zu
Diensten einer Plastik, die einen wahren Vorgang im Innern des Menschen
als
verwirklicht ausdrücken soll: die
Kunst muss ergänzen, was in Wirklichkeit sich
nicht voll ereignet hat.
Ich
wusste längst, dass sich der Sonnenmonotheismus einmal gewaltsam in der
Geschichte hat behaupten müssen, um aber allerdings sofort ins Geistige
umzuschlagen! Ich suchte niemals eine Fährte dazu, fand sie aber
sofort, als
ich das Ereignis im Epos zu gestalten hatte. Auch ich war ursprünglich,
mit
einem Satz, von der Anbetung der Sonne zu unserm Einzigen Gott gelangt!
Das
Nordlicht habe ich streckenweise in Wien, hauptsächlich jedoch in
Paris,
gedichtet. Eigentlich fand ich nie das rechte Buch, das mir die nötigen
Aufschlüsse hätte geben können. Auch erzählt wurde mir wenig über das,
was ich
zu fügen und zu gestalten hatte. Ich konnte mich jedoch auf das Auge
verlassen.
Sogar die Namen indischer Götter und Wesen las ich von Glasmalereien im
Museum
der französischen Kriegsmarine ab.
Der
erste Teil des Epos heißt: „Das Mittelmeer“. Die Welt unsrer
beherrschten
Kultur, in der das Ich sich finden, erraffen kann. „Sahara“ nannte ich
den
zweiten Teil. Es bedeutet der Wüste Einsamkeit, aus der das Ich sich
rein
verstrahlen darf; wo es eigentlich schöpferisch wird und sein Dasein
umzugebären beginnt! Das nunmehr spendende Ich konnte sich mir zuerst
nur
zwischen stürzenden, versinkenden Formen erhellen. Die Sahara
Erfahrungen
gaben, wie bereits gesagt, einem Volk die Sehnsucht ein, dem
Einsturztrichter
entgegen, eine wirkliche Pyramide aufzubauen: das Ich, von dem ich mich nunmehr
abhängig fühlte, war hingegen ganz von der Sehnsucht erfasst, die
Pyramide im
Geiste aufzubauen. Höher als den Turm zu Babel: den in der Seele geschauten
Ararat der Völker.
Folgende
Aufrufung des Nordscheins, über dem ewigen Eis, gibt am besten den
Grundgedanken zu dieser Bergauftürmung in der Seele wieder:
„Du
furchtbar großes Blutgespenst! Erwidre ich im Geiste:
Die
Erde wurde mir im Traum zum Araratkristalle;
Als
Pyramide sah ich schon den Ball, den ich bereiste!
Zur
Spitze ward der Pol: zum Zweck, zu dem ich walle.“
Der
erloschene Vulkan trägt noch eine Krönung kalten Lichts: den Nordschein! „Die
Erde ist trächtig!“ heißt es zu Anfang des Epos. Angedeutet wird, dass
sie
schon in Wehen liegt. Keinen neuen Mond wird sie nunmehr gebären: Erdbeben,
Vulkanausbrüche zeigen aber die Geburt eines neuen, des künftigen
Festlandes
an, und zwar diesmal im Stillen Ozean. Aber auch die tiefste
Mondidee, die
Verheißung unsrer Erdmitte, kann von Indern in den Brunnen der Seele
geschaut
werden: sie führt zum Geist.
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"Selbstdeutung" aus:
Theodor Däubler, Das Nordlicht, Erstes Buch, Seite 1-40,
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig, Genfer Ausgabe, Insel
Verlag, Leipzig 1922
Reprint: Arno-Schmidt-Referenzbibliothek
der GASL
Logo 336: "Die Planeten" G. Holst, 1995, autor Zoro
Mettini
Lizenz:
CCO 1.0 Public Domain Dedication
Universelle
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Bild:
Portrait Theodor Däubler -
gemeinfrei
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