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Literatur


04.1


Die Selbstdeutung


Autobiografische Einleitung zu „Das Nordlicht“,
- Seite 3 -



In diesem tritt nun das im ersten Teil kräftig gehämmerte Ich so auf, dass es innerste Geheimnisse offenbaren kann. Apokalyptisches Weltwittern um dieses Ich, soweit es überindividuell zu schauen bereits berechtigt ist, setzt ein.

Dieses nun aufleuchtende Ich, ich nenne es für mich „lyrisches Ich“, überragt natürlicherweise ganz die eigene Person, wie sie sich in die irdische Sonnenwelt des ersten Teiles eingeschleiert hat: es steht auf einer andern Warte und beherrscht simultan Gestaltungen von Ideen und auch ihm dienende, es vertretende Menschen: darunter auch mich.

In diesem Ich sind also ebenfalls meine Person und mein Weib enthalten. Durch Geburt und Tod bleiben wir jedoch auf urwunderreichen eignen Beschluss hin geschieden. Erst rein geistig wollen wir uns finden; über uns als Menschen hinaus im pfingstlichen Ich.

Mit einem Weltzusammensturz fängt der zweite Teil des Epos an; mit der Zusammenfassung aller Gebotenheiten im Menschen, in der Nordscheinblüte unsrer Erde, schließt er ab.

Immer unpersönlicher tritt das Ich im fortschreitenden Gedicht auf. Wohl gestaltete es auch Menschen aus sich hinauf, die noch ganz sonnentrunken, im Irdischen festgehalten werden; aber ich nenne es dann, weil von den Vorgängen, die sich so abspielen, unendlich entfernt: Adam. Weil ganz allgemein menschlich, wird es schließlich als grundsätzlich für unser Geschlecht geschaut.

Verweilen wir noch an den Toren des zweiten Teiles: einsam schwebt das Ich über den Abgründen des Weltsturzes. An Millionen Jahre Geduld des „Logos“ bleibt es einzig gebunden. Unendlichkeiten vor ihm, wie hinter ihm, sind seine Schwingen. Das Ich war schon immer zugegen, wenn ein Weltabschnitt zertrümmerte. Völker, die sich wie einzelne Seelen, durch Daseinsbeschluss, in Menschengestalt geborgen hatten, sieht es, das Ich (als ewig daran beteiligt), wieder von den Wogen der Urflut verschlungen werden. Alle Völker lässt es symbolhaft (Symbol ist immer äußerster Radikalismus) umkommen.

Den Schrei des letzten Volkes vernimmt es:
Und die Menschheit hör ich schreien: „Ra“.
Als ein Echo ohne Ende
Hat der Schrei nun fortgegellt;
Wenn die ganze Welt verschwände,
Dieser Schrei blieb als die Welt!

Der Logos kündet dem Ich seine Ewigkeit, durch seinen eigensten Schrei, den Urruf, an. Den habe ich gesucht und gefunden. Als ich die Meeresbrandung nach ihm umgrübelte, flog ein großer Vogel erschreckt mit dem Schrei „Ra“ auf. Ich sah das Tier sofort als Umkörperung seines Angstschreis: mir träumte von Vögeln, die Träger unsterblich bleibender Sprachen in dieser Welt, das heißt: in unserm sonnsüchtigen Wesen, sind. Mit solchen Vögeln bevölkerte ich den Dunkelschlund nach dem Weltsturz. Dann peitschte das Rasen des Urorkans selbst Inselungen aus sich empor. Sein Sich-Ausrasen wird zu Pferden. Ganze Herden bemähnter Flieher erklimmen als Fortsetzung der Brandungswut, brünstig und fast schon gestaltet, eine junge Felsenlehne. Einem neuen Dasein werden seine apokalyptischen Gewalten sofort wieder in den Schoß gesenkt. Die Erde, die sich umgebiert, verjüngt, aus sich selber wieder herauswälzt, bringt im platonischen Jahr des Stieres (als Sternbild) Lemuren hervor, die nach langem Dahindämmern, endlich geschlechtsreif und dadurch mit der Sprache begabt, wiedererwachen.

Die Sprachen-Aare verschwinden aber dabei aus unserem Gesichtskreis. Im Zeichen des „Stieres“ war die Welt dereinst zusammengestürzt: noch einmal, viel später, erwachte brüllend der Apis Ägyptens. Aus Propheten ringt sich der Logos hervor. Diese dreimalige Stufung von Schrei, Sprache, Verheißung, die sich jedes Mal unterm Sternbild des Stieres ereignete, war rein intuitiv erfasst worden: ich erkenne erst heute, nachdem ich esoterische Werke oft in die Hand bekommen habe, die Rhythmik in der Schichtung der Vorgänge.

Das Ich, das den Trichter des Weltbruchs mit erduldet hat, entschließt sich triebhaft zum Pyramidenbau: seinem (des Welttrichters) Entgegen! Es wohnt ihm aber auch das Wissen über die Hyksos inne: wo Verwesung droht, ahnt sie das kulturverwaltende Ich herbei. Der Boden klafft auseinander: Überflutung durch ein Volk zu Pferde bricht in die kaum gefestigten Fugen und Kreise der wiedererstandenen Welt!

Auch der Urruf: „Ra“ lebt in den Gemütern des Ra tragenden Volkes der Ägypter ausbruchhaft auf: ein König wird geboren, Amenophis der Vierte, der den Untergang des Apis, also des Stieralters, wittert. Es muss dem des Widders weichen: das ist der Augenblick, um das Ertönen des Logos im einzigen Sonnengott Ra zu erahnen: durchzusetzen! Amenophis der Vierte versucht‘ s. Er schreckt nicht zurück, sogar Theben, die Apisstadt, in Feuer und Rauch aufgehen zu lassen. Sein Vorhaben gelingt ihm jedoch nicht: der Anhang verrät ihn. Wohl aber vollbringt er die Tat im Geist! Verzweifelt lässt sich der König bei lebendigem Leib einbalsamieren. In seinen Schmerz zerbissenen Eingeweiden wird der männlichste Gott, der Eifrige, von dem sogar die Silbe Ra abfällt, geboren. Der Gott, der nun ist, darf nicht mehr genannt werden! Das hohe Ich, dem alljährlich Osiris entstrahlt, verlässt das Niltal: die späteren Mysterien der Isis verlaufen traurig: in Wehmut um den ausgewanderten Gott! Auch das war Intuition bei mir. Der Tod Amenophis des Vierten in dieser Form ist reine Erfindung. Zu Diensten einer Plastik, die einen wahren Vorgang im Innern des Menschen als verwirklicht ausdrücken soll: die Kunst muss ergänzen, was in Wirklichkeit sich nicht voll ereignet hat.

Ich wusste längst, dass sich der Sonnenmonotheismus einmal gewaltsam in der Geschichte hat behaupten müssen, um aber allerdings sofort ins Geistige umzuschlagen! Ich suchte niemals eine Fährte dazu, fand sie aber sofort, als ich das Ereignis im Epos zu gestalten hatte. Auch ich war ursprünglich, mit einem Satz, von der Anbetung der Sonne zu unserm Einzigen Gott gelangt!

Das Nordlicht habe ich streckenweise in Wien, hauptsächlich jedoch in Paris, gedichtet. Eigentlich fand ich nie das rechte Buch, das mir die nötigen Aufschlüsse hätte geben können. Auch erzählt wurde mir wenig über das, was ich zu fügen und zu gestalten hatte. Ich konnte mich jedoch auf das Auge verlassen. Sogar die Namen indischer Götter und Wesen las ich von Glasmalereien im Museum der französischen Kriegsmarine ab.

Der erste Teil des Epos heißt: „Das Mittelmeer“. Die Welt unsrer beherrschten Kultur, in der das Ich sich finden, erraffen kann. „Sahara“ nannte ich den zweiten Teil. Es bedeutet der Wüste Einsamkeit, aus der das Ich sich rein verstrahlen darf; wo es eigentlich schöpferisch wird und sein Dasein umzugebären beginnt! Das nunmehr spendende Ich konnte sich mir zuerst nur zwischen stürzenden, versinkenden Formen erhellen. Die Sahara Erfahrungen gaben, wie bereits gesagt, einem Volk die Sehnsucht ein, dem Einsturztrichter entgegen, eine wirkliche Pyramide aufzubauen: das Ich, von dem ich mich nunmehr abhängig fühlte, war hingegen ganz von der Sehnsucht erfasst, die Pyramide im Geiste aufzubauen. Höher als den Turm zu Babel: den in der Seele geschauten Ararat der Völker.

Folgende Aufrufung des Nordscheins, über dem ewigen Eis, gibt am besten den Grundgedanken zu dieser Bergauftürmung in der Seele wieder:

„Du furchtbar großes Blutgespenst! Erwidre ich im Geiste:
Die Erde wurde mir im Traum zum Araratkristalle;
Als Pyramide sah ich schon den Ball, den ich bereiste!
Zur Spitze ward der Pol: zum Zweck, zu dem ich walle.“

Der erloschene Vulkan trägt noch eine Krönung kalten Lichts: den Nordschein! „Die Erde ist trächtig!“ heißt es zu Anfang des Epos. Angedeutet wird, dass sie schon in Wehen liegt. Keinen neuen Mond wird sie nunmehr gebären: Erdbeben, Vulkanausbrüche zeigen aber die Geburt eines neuen, des künftigen Festlandes an, und zwar diesmal im Stillen Ozean. Aber auch die tiefste Mondidee, die Verheißung unsrer Erdmitte, kann von Indern in den Brunnen der Seele geschaut werden: sie führt zum Geist.  



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"Selbstdeutung"  aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht, Erstes Buch, Seite 1-40,
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig, Genfer Ausgabe, Insel Verlag, Leipzig 1922

Reprint: Arno-Schmidt-Referenzbibliothek der GASL


Logo 336: "
Die Planeten" G. Holst, 1995,  autor Zoro Mettini

Lizenz: CCO 1.0 Public Domain Dedication Universelle
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Bild: Portrait Theodor Däubler - gemeinfrei
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