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Literatur



04.7




Gedichte  - Advent

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 Knecht Ruprecht

Von drauß’ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelsthor
Sah mit großen Augen das Christkind hervor,
Und wie ich so strolcht’ durch den finstern Tann,
Da rief’s mich mit heller Stimme an:
„Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell,
„Hebe die Beine und spute dich schnell!
„Die Kerzen fangen zu brennen an,
„Das Himmelsthor ist aufgethan,
 „Alt’ und Junge sollen nun
„Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
 „Und morgen flieg’ ich hinab zur Erden,
„Denn es soll wieder Weihnachten werden!“
Ich sprach: „O lieber Herre Christ,
„Meine Reise fast zu Ende ist;
„Ich soll nur noch in diese Stadt,
„Wo’s eitel gute Kinder hat.“
- „Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein das ist hier:
„Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
„Essen fromme Kinder gern.“
- „Hast denn die Ruthe auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Ruthe, die ist hier:
„Doch für die Kinder nur, die schlechten,
„Die trifft sie auf den Theil den rechten.“
Christkindlein sprach: „So ist es recht;
 „So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“

Von drauß’ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hierinnen find’!
Sind’s gute Kind’, sind’s böse Kind’?

Theodor Storm

 Irgendwo muss es Paläste geben
 
Irgendwo muss es Paläste geben,
drin die Fenster von Staub verschnein;
in der Säle hallende Reihn
tauchen tote Tage hinein:
 Gestalten wallen, es warnt der Schrein;
und kein lustiger Leuchterschein
reicht in das einsame Seltsamsein ...
Dort wollen wir Feste geben –
märchenallein.

 Rainer Maria Rilke

 Vorfreude auf Weihnachten

Ein Kind – von einem Schiefertafel-Schwämmchen
Umhüpft – rennt froh durch mein Gemüt.
Bald ist es Weihnacht! – Wenn der Christbaum blüht,
Dann blüht er Flämmchen.

Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt
Uns mild. – Es werden Lieder, Düfte fächeln. –
Wer nicht mehr Flämmchen hat, wem nur noch Fünkchen
glimmt,
Wird dann doch gütig lächeln.

Wenn wir im Traume eines ewigen Traumes
Alle unfeindlich sind – einmal im Jahr! –
Uns alle Kinder fühlen eines Baumes.
Wie es sein soll, wie’s allen einmal war.

 Joachim Ringelnatz


 Advent (Es treibt der Wind …)

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,

 und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.
 
Rainer Maria Rilke







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Textgrundlage: Theodor Storm, „Knecht Ruprecht“,  aus Gedichte, S. 143-144,
8. Auflage, Entstehung 1862, ED: 1889, Verlag von Gebrüder Paetel, EO:Berlin
Wikisource

Textgrundlage:

Rainer Maria Rilke „Irgendwo muß es Paläste geben“ aus Advent
Erscheinungsdatum: 1898
Wikisource

Rainer Maria Rilke “Advent” aus: Erste Gedichte, S. 103, ED: 1913,
Insel-Verlag, Leipzig
Wikisource

Textgrundlage: Joachim Ringelnatz, „Vorfreude auf Weihnachten“, aus: 103 Gedichte,
 S. 52-53, 1. Auflage, ED: 1933, Verlag Ernst Rowohlt, Berlin
Wikisource


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Das linke Foto „Advent“, Urheber Bubamara, der das Bild gemeinfrei einstellte,
wikipedia,wurde mit dem rechten Foto „Advent, Fotograf Daniela Zenth, unter der CC-Lizenz 
in der kostenlosen
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