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Literatur



04.08





Gedichte - Tagesverlauf
Abend

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 Abend wird es

Abend wird es und die Schatten schwimmen
In einander, riesenhaft und wirr,
Fern’ verhallen uns’rer Führer Stimmen,
Nur die Stille athmet neben mir.....

Die zerklüfteten Ruinen steigen
Düster in das öde Grau der Nacht,
Starre Ruhe, unbewegtes Schweigen,
Wo das Leben froh getollt, gelacht!

O Pompeji, auch durch deine Straßen
Fuhr es triumphirend einst dahin,
Furchen hat es dir zurückgelassen
In den Steinen ach! wie mir im Sinn!

Weinend muß ich meine Arme breiten,
Und aufstöhn’ ich leise, qualbewußt –
Schwermuthvollste du, der Einsamkeiten,
Ach! du trauerst auch in meiner Brust!

Marie Eugenie Delle Grazie


 Abend

Rosig leuchtend, tief befriedend
Tritt der Abend zu der Welt;
Holder Jüngling, der der müden
Sanft den Schlummerbecher hält.

Seufzend streckt sie noch die Glieder,
Und das Auge stürzt ihr zu.
Abend, Gast aus Himmelsauen,
Wie erbarmend mild bist du!

Bringst Erlösung dem Gebundnen,
Und Erfüllung dem, der glaubt;
Legst auch mir der heil’gen Hände
Frommen Segen auf das Haupt.

Paul Haller


 Abend I

»Nieder tauchte die Sonn’ und schattiger wurden die Pfade«,
Dies las ich heut, am Abend eines Sommertags
Und ließ das alte Buch Homer auf meine Kniee
Hinsinken, also sinnend: Allen Erdenkindern
Mißt diese heitre Sonn’ ihr holdes Maß von Licht,
Ein Schicksal reifend nach verschwiegenem Gesetze
Vom Aufgang bis zum Schatten eines Menschenpfads.
Ich wuchs in Zeiten, trüber als die Nacht,
Ein Jüngling, feind mir selbst und im Gemüt bedrängt,
Nun endlich ruft auch mir die liebe Sonne:
Gibst du, erhellt, dein eignes Licht dem Lichte wieder? —
Doch hinter jedem Strauch im Garten wachsen Schatten,
Was war mein Maß an Tag gering! Ihr Götter wägts
Den Menschen, wollt mir diesen späten Strahl nicht neiden,
Laßt mir den Abend, dem der Morgen war geweigert,
Gönnt mir den Blick der herbstlich tiefen, klaren Stunden,
Den letzten Glanz, den ich mit fleh’nden Augen halte,
Laßt mir den Abend, seht, die Pfade dunkeln schon.

Otto Stoessl


 Abendläuten

Abendläuten – über Tal und Hügel
Schweben friedlich deine milden Klänge,
Bringen Tagesruhe und Entlastung,
Labsal für die arbeitsmüden Menschen. –

Abendläuten – aus der weiten Ferne
Holst du mir die liebe Heimat wieder,
Mit der Bank am braunen Kachelherde,
Und ich halte Rast dann wie vor Zeiten. –

Fühle jung und stark und froh mich wieder,
Träume wieder meine Jugendträume –
Und den Zauber bringen deine Klänge,
Abendläuten, geht der Tag zur Rüste. –

Heinrich Kämpchen



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Textgrundlage: Abend wird es, Marie Eugenie Delle Grazie
aus: Italische Vignetten, S. 95, ED: 1892,
Verlag: Breitkopf und Härtel, EO: Leipzig, 
Aus dem Zyklus „Pompeji, Quelle: Scans auf Commons
wikisource.org

Textgrundlage: „Abend“, Paul Haller, aus:Gedichte, S. 23
Herausgeber: Erwin Haller, ED: 1922, EO: Aarau
Verlag: H. R. Sauerländer & Co., Quelle: Scans auf Commons
wikisource.org

Textgrundlage: " Abend", Otto Stoessl, aus: Die Fackel
Doppel-Nummer Nr. 272–273, X. Jahr, S. 39
Herausgeber: Karl Kraus, ED: 1909, Verlag Fackel, EO: Wien
Austrian Academy Corpus: AAC-FACKEL und Scans auf commons
wikisource.org

Textgrundlage: „Abendläuten“, Heinrich Kämpchen
aus: Was die Ruhr mir sang, S. 58, ED: 1909, Verlag Hansmann & Co.
EO: Bochum
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Logo 402:
"Landschaft in der Abenddämmerung", Vincent Van Gogh,
1883, gemeinfrei

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