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Literatur


04.08





Gedichte -Tagesverlauf


Abend

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 Abendphantasie
nach einem schwülen Sommertage

Die Sonn’ ist unter; Schwüle des Tages lag
Schwer auf der Erde, machte die Blumen der
Empfindung, machte deine Blumen,
Lächelnder Phantasus, alle welken.

Du kommst mit neuen stärkenden Labungen,
Willkommen sey, ambrosischer Abend, mir!
Von deinen Fittigen gehoben,
Hebet sich neu mir der Seele Fittig.

Und das Beherrschte herrschet in mir, und hat
Sein Recht, und schaut mit nimmer gefangnem Blick
Hin in der Schöpfung Weite, die sich
Dankend und feyernd mit mir emporhebt.

O stille Wege heiliger, reinerer
Natur! Entbundne säuselnde Lüfte, wer
Gab euch verstummten euern Athem,
Erde, dein milderes Licht dir wieder?

So drückt die Leidenschaft den entwürdigten
Umwölkten Geist; die Dämpfe verfliegen, wann
 Mit ihrem stillen Mondenschimmer
 Weisheit am Arme des Friedens winket.

Du wandelst dort, Selene, in herrlicher,
Bescheidner, stillgenugsamer Glorie,
Und deine Silberleuchtung theilet
Freundlich die Wellen des nahen Stromes.

Der Bäume Wipfel tönen von Melodie;
Halb Trug, halb Wahrheit, schwärmen Gestalten durch,
Ein Bild des Lebens, immer wechselnd
Kommen und gehn sie, wie unsre Freuden

Hat ihres Friedens schöne Geheimnisse,
Der mildern Reize bessere Segnungen
Hier die Natur verbreitet? Sichtbar
Wallt die Unsichtbare durch die Dämmrung.

Hörst du die Geistertritte? der Gang ist Gang
Der Gottheit; ihre Nähe verkündet mir
Der reine Duft; in Duft und Ahndung
Schwebt und in dämmerndem Glanz mein Wesen.

Wo, von der Büsche dämmerndem Wölbungen
Umschirmt, der Strom sich krümmet, da tauch’ ich mich
 Hinunter jetzt; in deinem Lichte
 Theil’ ich, Selene, mit dir die Wellen.

Den Reinen ziemt das Reine; vom Quelle soll
Die erste Spende dein, o Selene, seyn;
Die zweite dein, Najade, die mich
 Lächelnd umschlingt, und umschlingend kühlet.

O süße Lust! wie schmeichlerisch über mir
Die Wellen schlagen! Frohe Vergessenheit
 Der Tagesmühen schlürf’ ich, sauge
 Süßer nach drückender Last die Wollust!

Urreine Schönheit! Wann dem entbundenen
Dem fesselfreien Geiste dein Quell sich einst
 Entschließt, in deinem Schooß nur werd’ ich
 Seliger mich und entzückter fühlen.

Karl Philipp Conz

 Berliner Abend

Spukhaftes Wandeln ohne Existenz!
Der Asphalt dunkelt und das Gas schmeißt sein
Licht auf ihn. Aus Asphalt und Licht wird Elfenbein.
Die Straßen horchen so. Riechen nach Lenz.

Autos, eine Herde von Blitzen, schrein
Und suchen einander in den Straßen.
Lichter wie Fahnen, helle Menschenmassen:
Die Stadtbahnzüge ziehen ein.

Und sehr weit blitzt Berlin. Schon hat der Ost,
Der weiße Wind, in den Zähnen den Frost,
Sein funkelnd Maul über die Stadt gedreht,
Darauf die Nacht, ein stummer Vogel, steht.

Paul Boldt

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Textgrundlage: „Abendphantasie“, Karl Philipp Conz, Untertitel:
nach einem schwülen
Sommertage, aus: Friedrich Schiller, Musen-
Almanach für das Jahr 1796,
S. 25 – 28, Herausgeber: Friedrich Schiller,
1. Auflage, ED: 1796, Verlag: Michaelis,
EO: Neustrelitz, Quelle: HAAB
Weimar, Kopie auf Commons

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Textgrundlage: „Berliner Abend“, aus: Junge Pferde! Junge Pferde! 
S. 27, 1. Auflage,
ED: 1914, Verlag Kurt Wolff, EO: Leipzig
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Logo 402: "Landschaft in der Abenddämmerung", Vincent Van Gogh,
1883, gemeinfrei

wikimedia

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