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Literatur


04.08



Gedichte - Tagesverlauf

Abend

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 Deutscher Abend

Nun gönnt die Firma stillen Abendfrieden
dem Arbeitsmann, den Mädels, dem Kommis –
nun sitzt ganz Deutschland um den runden, lieben
gedeckten Tisch und sieht aufs Visavis.

Da liegt das Land: ganz schwarz und blau und dunkel.
Es klirrt der Wind im Telegraphendraht.
Ein gelbes Fenster grüßt dich mit Gefunkel:
hier spielt der Förster seinen Dauerskat.

Man hebt die Zeitung, läßt sie wieder sinken,
die Welt, ihr Lieben, geht den alten Lauf –
hieraufbezüglich kann man einen trinken,
die Pfeife qualmt, nun steigt der Mond herauf.

Und hundert Mimen spreizen ihre Glieder,
und hundert Bürger füllen sich mit Bier …
Und hundert Mädchen summen kleine Lieder,
denn morgen, morgen muß er fort von hier.

O Herr, so wie wir hinieden krauchen,
so segne Land und Leute und Kompott.
Verlaß dich drauf: wir könnens brauchen,
wir könnens brauchen, lieber Gott!

Kurt Tucholsky

 Abend

Wenn der Abend uns bezwingt
Und die Klage in uns singt:
Fühlst der bangen Seele Flug,
Weißer Mädchen Atemzug.

Fremd ist Friede, fremd der Streit,
Wann entrinnen wir der Zeit?
Und kein Alter macht uns klug:
Fühlst der Seele Abendflug.

Otfried Krzyzanowski

 Abend I

Rosig leuchtend, tief befriedend
Tritt der Abend zu der Welt;
Holder Jüngling, der der müden
Sanft den Schlummerbecher hält.

Seufzend streckt sie noch die Glieder,
Und das Auge stürzt ihr zu.
Abend, Gast aus Himmelsauen,
Wie erbarmend mild bist du!

Bringst Erlösung dem Gebundnen,
Und Erfüllung dem, der glaubt;
Legst auch mir der heil’gen Hände
Frommen Segen auf das Haupt.

Paul Haller

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Textgrundlage: „Deutscher Abend“, Kurt Tucholsky, aus Fromme Gesänge,
S. 72, ED: 1919, Verlag Felix Lehmann, EO: Charlottenburg
wikisource.org

Textgrundlage: „Abend“, Otfried Krzyzanowski, aus unser taglich Gift,
S. 6, 1. Auflage, ED: 1919; Verlag Kurt Wolff, EO: Leipzig
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Textgrundlage: „Abend“, Paul Haller, aus: Gedichte, S. 23,
Herausgeber: Erwin Haller, ED: 1922, EO: Aarau,
Verlag: H. R, Sauerländer & Co.
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Logo 402: Landschaft in der Abenddämmerung, Vincent Van Gogh, 1883,
gemeinfrei

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