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Literatur


04.2


Gedichte - Allgemein - B



Der Backfisch

Kichernd
Und wispernd,
Geheimnisse flüsternd,
Vor Lachen erstickend,
Verlegen sich drückend,

Vor Neugierde zitternd,
Unpassendes witternd,
In Liebesgram härmend,
Für Lehrer schwärmend,

Immer schleckend und naschend, –

Mit Notentaschen,
Mit langem Zopf
Am zappligen Kopf,
Bestrebt, zu probieren

Das Kokettieren,

Ganz ohne Sorgen
Für heut oder morgen
Und zehnmal klüger als Mama,
Schwupp – so steht der Backfisch da. 

Alice Berend

Eine kleine Ballade

Sie wohnte vier Treppen,
Er unten im Keller,
Und beide hatten sie keinen Heller.

Wohl litten sie nicht Hunger und Not,
Doch was sie verdienten mit ehrlichem Sinn,
Das reichte so gerade zum Leben hin.

Jung waren sie beide und lebensfroh,
Machten sich weiter keine Sorgen.
Kam heute das Glück nicht, kam‘s wohl morgen. 

Kehrten arbeitsmüd sie am Abend heim,
So schauten beide zum Fenster hinaus
Und sahen nach dem Glücke aus.

Aus dem Dache sah sie,
Aus dem Keller sah er,
Und mancher Seufzer flog hin und her.

An einem heißen Maientag
Sprach er sie schüchtern drunten an,
Als sie die Treppen zu steigen begann.

»Da oben ist’s wohl jetzt schön heiß?«
»Ja,« lacht sie, »ja, der Sonnenschein
Heizt etwas stark mein Zimmerlein.«

»Und zu mir kommt gar keine Sonne herein.«
»Nun,« meint sie mit einem fröhlichen Nicken,
»Ich werd’ etwas Sonne hinunterschicken.« 

»Dürfte ich sie nicht holen kommen?«
»Nein, i bewahre!« Und im Lauf
Rennt sie die vier Treppen hinauf. –

Doch seltsame Dinge geschehen im Mai,
Am selben Abend, der Mond schien herein,
Holte er noch seinen Sonnenschein.

Alice Berend

Ehe Bänkellied

Beim Sonntagskaffee reckte sich
Die Mutter und sprach feierlich
Zum Vater: „Höre, lieber Mann,
Dieweil du selbst nicht denkst daran,
So sage ich es klipp und klar,
Regine ist jetzt 20 Jahr,
 Also!

„Ach“, sprach der Vater weich und lind,
„Regine ist ja noch ein Kind,
Ich kann mich nicht dazu versteh’n,
Sie als erwachsen anzuseh’n!
Und dann“ – jetzt sprach er wen’ger mild –
„Die Freier wachsen doch nicht wild,
 Also!“

Ich weiß, dass in der schlechten Welt
’ne Heirat täglich schwerer fällt,“
Erwiderte die Mutter drauf,
„Und gerade darum pass ich auf.
Von Meyers ist der Sohn zurück,
Man sagt er hatte großes Glück,
Also!

Du ladest ihn noch heute ein,
Dann lass es meine Sache sein;
Regine zieht das Weiße an
Und spielt ihre Sonate dann;
Zum Kuchen, den Regine bäckt,
Spendierst du eine Flasche Sekt,
 Also!“

Der Vater ging – der Meyer kam,
Alles verlief nach dem Programm.
Regine in dem weißen Kleid
Schlug das Klavier geraume Zeit,
Und auch der Kuchen und der Sekt
Haben Herrn Meyer wohlgeschmeckt,
Also!

Man sah sich oftmals wieder dann,
Zu Hause und im Restaurant,
Traf zufällig sich überall,
In den Theatern, auf dem Ball;
Auch hörte Meyer nebenbei,
Wie klug und sparsam Gine sei,
 Also!

Drum, eh zwei Wochen noch ins Land,
Warb Meyer um Regines Hand;
Sie sagte „ja“ und wurde Braut,
Sie hatte alles längst durchschaut,
Er hatte ihr auch gleich gefallen,
Er war der netteste noch von allen,
 Also!

So kam die feierliche Feier,
Bei der Regine ward Frau Meyer,
Wo man in Wehmut schluchzen sah
Und auch in Freude die Mama,
Wo man in Carmen meterlang,
Neckisch das junge Paar besang,
Also! 

„Nur wie Meyer möcht ich leben,
Schöner Liebespflicht ergeben!“
Sang berauscht im Kreise man,
Bis der schöne Tag verrann,
Und als der Mond am Himmel stand,
Das junge Ehepaar verschwand,
 Also! 

Alice Berend







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Gedichte aus: Die Zehnte Muse. Dichtung und fürs Brettl, ''Alice Berend,
Herausgeber: Maximilian Bern, ED: 1904, Verlag: Otto Eisner, Berlin
"Der Backfisch",  S. 213   "Eine kleine Ballade"  S.  39-40   "Der Ehe Bänkellied", 
S. 360-362
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