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04.2
Literarische
Epochen
Verzeichnis der literarischen
Epochen
Naturalismus
Das
Konfirmationskleid
In
Nordberlin, im Hinterhaus vier Treppen,
wohnt
ein Student. Er war nicht reich; doch arm,
blutarm
war seine Wirtin, eine Witwe.
Die
sass in ihrem düstern Hinterstübchen,
und
vor ihr stand bekümmert ihre Tochter,
das
bleiche, hübsche, vierzehnjähr’ge Gretchen.
Sie
stand vor ihr, als wär’ sie schuldbewusst,
und
liess das Köpfchen hängen; ihre Mutter
schalt
auf sie ein mit ihrer harten Stimme:
»Ein
neues Kleid! Zur Konfirmation!
Für’n
lieben Gott! Was? – Frag doch mal den Pastor,
ob
denn auch die, die nicht mal so viel Geld
bekamen,
um in einem ganzen Kleide
des
Sonntags in die Kirche gehn zu können,
ob
denn auch die an Gott noch glauben müssten!
Geh,
frag ihn … aber bitt mich nicht um Geld
Und
Kleider … freu dich, wenn du nicht verhungerst …«
Und
weinend wendet Gretchen sich zur Thür.
Da
kommt ihr ein Gedanke. »Mutter«, ruft sie,
»ich
will den Herrn Doktor bitten – Mutter!
Was
lachst du?« – »Das ist recht! Nur zu!
Es
muss ja doch mal kommen. Geh nur hin!« –
»Ich
glaube, Mutter, dass er’s thut.« – »Gewiss
Er
wäre ja ein Narr, wenn er sich zierte!«
Und
wieder lacht sie bitter höhnisch auf.
Ein
Bangen vor der Mutter fasst das Kind.
Es
geht hinaus und leise, schüchtern klopft es
an
des Studenten Thür. »Herein!« Und zagend,
errötend
überschreitet sie die Schwelle:
sie
hat noch nicht gebettelt. –
»Gretchen!
Du? –
So
komm doch näher, Kind … was giebt es denn?
Was
hast du denn? O sieh – du hast geweint!
Gieb
mir die Hand: wer hat dir was gethan?« –
Und
freundlich fasst er ihre Hand und schaut
in
ihre grossen braunen Augen. Flehend,
doch
ohne Scheu sind sie auf ihn gerichtet.
Und
langsam sagt sie: »Nächsten Sonntag schon …
am
Ostersonntag werd ich eingesegnet …
und
alle kommen hin in schwarzen Kleidern …
in
neuen schwarzen Kleidern … aber ich …
ich
bat die Mutter … Ach, wir sind so arm!«
Von
jähem Mitleid mit sich selbst bewältigt,
bricht
sie aufs neu in heisse Thränen aus,
und,
wie nach Tröstung suchend, fasst sie fester
die
Hand des jungen Mannes.
»Gretchen!
Komm:
sei
still!« Und ihre linke Hand, mit der
sie
ihre Thränen trocknet, zieht er sanft
herab.
– »Ich schenk es dir, das schwarze Kleid!«
Dann
aber stösst er sie fast rauh von sich:
»Ich
habe noch zu thun … Komm! Sei gescheit!
Lass
meine Hand … Ich habe noch zu thun …«
– – –
– – – – – – – – – – –
Am
Ostermontag früh – es war bald drei –
kam
der Student, der heut im Kreis der Freunde
das
Fest, wie sichs gebührt, gefeiert hatte,
vergnügt
und aufgeräumt nach Hause.
Tastend
sucht er auf seinem Nachttisch nach dem Feuer.
Er
streicht ein Zündholz an – »Was?« Alsogleich
lässt
er es wieder fallen. »Was war das?« –
’s
ist wieder dunkel. »Bin ich denn bezecht?«
Und
wiederum streicht er ein Zündholz an.
Doch
diesmal zittert seine Hand. Er sieht
nicht
auf das Bett, bevor die Kerze nicht
brennt
– »Himmel!«
Auf
dem offnen Bette liegt
in
festem Schlafe Gretchen: noch geschmückt,
wie
sie es Gott zu Ehren that. Das Kleid
ist
aufgeknöpft – in ihrem Schosse liegt
noch
der verwelkte Strauss, und heitrer Friede
ruht
auf dem zarten Antlitz. Halb geöffnet
sind
ihre Kinderlippen, und ein Traum
spielt
wie ein Blütenduft um diese Lippen …
Minutenlang
betrachtet er dies Bild,
starr,
ohne Denken. Glühend heiss fühlt er
das
Blut in seinen Adern, wieder dann
spürt
er ein eiskalt Schauern bis ins Mark.
Doch
dann besinnt er sich und fährt sich über
die
Stirne mit der Hand und sucht zu lachen.
»Gretchen!«
Sie lächelt still im Traume. »Gretchen!«
Sie
fährt empor – der Friede ist gewichen,
und
Schreck und Scham malt sich auf ihren Wangen.
»Mein
liebes Kind, wie kommst du denn hieher?
Hast
du im Zimmer dich geirrt?« – Sie hält verwirrt
ihr
Kleid zusammen, senkt das Köpfchen. »Nein,«
sagt
sie, »die Mutter schickte mich hierher.
Ich
sollte Sie erwarten … Ihnen danken …
Sie
hätten’s so gewünscht –«
»Ich?!
– Doch, jawohl …
Ich …
wollte dich noch sehn in deinem Kleide,
ich
dachte nicht … es ist so spät geworden,
und
dann, der … der Pastor gab euch jedem doch
ein
Bibelwort, – nicht wahr? Wie hiess denn deins?«
Sie
knöpft an ihrem Kleide. »Selig sind,
die
reines Herzens sind.« Sie sitzt und knöpft
an
ihrem Kleide.
»Komm,
nun geh hinüber.
Und
schlafe weiter: bist gewiss recht müde.«
Er
führt sie an der Hand zur Thür. Da tritt
die
Alte ein.
Sie
lacht – verächtlich fast:
»Sie
woll’n sie nicht? Auch gut. Es kommt ein andrer …
der
andere, der immer kommt. Gut Nacht!
Wir
wollten uns nicht lumpen lassen … Komm!« –
Und
hinter ihnen fällt die Thür ins Schloss.
Ein
Sehnen
Sprödes,
knospenscheues Mädchen,
Könnt’
ich einmal noch dich küssen
Scheu
wie einst, da du errötet,
Hab’
auch selbst erröten müssen!
Die
gesenkte braune Wimper
Hielt
den süssen Groll zusammen,
Hielt
die zage Glut verborgen,
Deines
Busens erste Flammen.
Könnt’
ich einmal noch beklommen,
Reinen
Herzens so dich schauen,
Da
ich reuevoll und bangend
Hing
an deinen Augenbrauen!
Was
ich gierig je genossen,
Trüben
Lebens wilde Lüste,
Gäb’
ich hin für jenes Zagen,
Da
ich scheu zuerst dich küsste.
oben
________________________________________________
Textgrundlage:
„Das
Konfirmationskleid“, Otto Erich Hartleben, aus: Die zehnte Muse.
Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl.
S. 294–296, Herausgeber: Maximilian Bern, ED: 1904, Verlag Otto Eisner
- Berlin
wikisource.org
Textgrundlage: „Ein
Sehnen“, Otto Erich Hartleben aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom
Brettl und fürs Brettl. S. 97,
Herausgeber: Maximilian Bern, ED: 1904, Verlag: Otto Eisner
- Berlin
wikisource.org
Logo 413: "Die
Quelle", Arnold Lyongrün, 1911, gemeinfrei
wikipedia.org
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