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Literatur


04.2


Literarische Epochen

Verzeichnis der literarischen Epochen
Romantik




 An die Muse

Wem du bei der Geburt gelächelt,
Und Dichtergaben zugewinkt
Der, süße Göttin, der erringt
Nicht Lorbeern, wo das Schlachtfeld röchelt,
Und Blut in langen Strömen rinnt,
Der wird nicht im Triumphe ziehen
Den ihm ein schwarzer Sieg gewinnt,
Und nie von Stolz und Ehrsucht glühen
Wenn zwanzig Heere vor ihm fliehen
Dem Reiz des Siegerruhmes blind.
Auch Hofintrigen und Kabalen
Kennt seine heitre Seele nicht,
Und bleibt selbst bei Ministerwahlen
Gleichgültig, Ehre reizt ihn nicht,
Und selbst die höchsten Ehrenstellen
Vermögen nie was über ihn.
Auch strebt er nimmer über Wellen
Zu fernen Zonen hinzuziehn,
Um mit Gefahren seines Lebens
Zu holen Purpur oder Gold
Und Perlen und was Sina zollt;
Denn Eigennutz reizt ihn vergebens.
Doch hüpft er gern auf grüner Flur
Mit jungen frohen Schäferinnen
Und stimmt um Liebe zu gewinnen
Voll süßer Einfalt und Natur
Die kleine Silbersaitenleier
Zur sanften, holden Frühlingsfeier:
Und singt, wie Liebe ihm es lehrt
Auf heitern, ländlichen Gefilden
Von seinem Mädchen nur gehört
Ihr süßes Lob und kränzt die wilden
Entrollten Locken wonnevoll.
Sein ruhig Auge sanft und milde
Blickt keinen Haß und bittern Groll,
Lacht kummerlos und gleicht im Bilde
Dem Quell, der aus dem Felsen quoll;
Nicht Stürme wüten ihm im Busen
Kein Kummer scheucht ihm sanfte Ruh
Er sieht dem Schicksalswechsel zu
Voll Gleichmut und bleibt treu den Musen.
Und ruft ihn von der Oberwelt
Mit leisem Ruf Merkur herunter ...



 Anfang

Es kann kein Rausch sein – oder ich wäre nicht
Für diesen Stern geboren – nur so von ohngefähr
In dieser tollen Welt zu nah an
Seinen magnetischen Kreis gekommen.

Ein Rausch wär wirklich sittlicher Grazie
Vollendetes Bewußtsein? – Glauben an Menschheit wär
Nur Spielwerk einer frohen Stunde –?
Wäre dies Rausch, was ist dann das Leben?

Soll ich getrennt sein ewig? – ist Vorgefühl
Der künftigen Vereinigung, dessen, was
Wir hier für Unser schon erkannten,
Aber nicht ganz noch besitzen konnten –

Ist dies auch Rausch? so bliebe der Nüchternheit,
Der Wahrheit nur die Masse, der Ton, und das
Gefühl der Leere, des Verlustes
Und der vernichtigenden Entsagung.

Womit wird denn belohnt für die Anstrengung
Zu leben wider Willen, Feind von sich selbst zu sein
Und tief sich in den Staub getreten
Lächelnd zu sehn – und Bestimmung meinen.

Was führt den Weisen denn durch d[es] Lebens Tal,
Als Fackel zu dem höheren Sein hinauf –
Soll er nur hier geduldig bauen,
Nieder sich legen und ewig tot sein.

Du bist nicht Rausch – du Stimme des Genius,
Du Anschaun dessen, was uns unsterblich macht,
Und du Bewußtsein jenes Wertes,
Der nur erst einzeln allhier erkannt wird.

Einst wird die Menschheit sein, was Sophie mir
Jetzt ist – vollendet – sittliche Grazie
Dann wird ihr höheres Bewußtsein
Nicht mehr verwechselt mit Dunst des Weines.






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Textgrundlage: "An die Muse"  und  "Anfang"

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"Mönch im schnee", Caspar David Friedrich,
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