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Literatur


04.2


Gedichte

Charlotte von Ahlefeld



Einsamkeit 


Was ist wahre Einsamkeit?
Sind wir einsam, wenn das Leben
Rings von Stille ist umgeben?
Wenn die rege Fantasie
Uns in schaffender Magie
Neu beseelt mit süßem Streben
Bilder der Vergangenheit? –
Ist das wahre Einsamkeit? 

Oder wenn in stillen Gründen,
In des Waldes heil'ger Nacht,
Sonnenglanz in reiner Pracht
Durch die leis bewegten Wipfel,
Durch die glanzumsäumten Gipfel
Nur verstohlen blickend, lacht,
Und in den verworr‘nen Zweigen
Selbst die kleinen Sänger schweigen?

Oder wenn in dunklen Mauern,
In des Kerkers engen Raum,
Der Gefangene sich kaum
Darf in seinen Ketten regen,
Wenn sein Herz mit raschen Schlägen
Nährt der Hoffnung Göttertraum,
Und geteilt in Freud und Trauern,
Ahnungen ihn tief durchschauern? –

Nein, nur das ist Einsamkeit,
Wenn sich Wesen um uns drängen,
Denen nicht in zarten Klängen
Sich vernehmbar macht das Herz,
Oft voll Wonne, oft voll Schmerz –
Die uns das Gemüt verengen
Durch der Langeweile Leid – –
Das ist wahre Einsamkeit!


oben
Der Mond und Er
 
Lächelndes schönes Gestirn, zu Deiner unendlichen Höhe
Wend' ich den traurigen Blick, und er erheitert sich oft.
So auch erheb ich zu Ihm die schwermutsvollen Gedanken,
Und dann scheint mir die Welt nicht mehr ein Kerker zu sein.

Freundlich winkt mir sein Bild, wenn ich Dich einsam
betrachte.
Still und schweigend wie Du, wandelt Er ferne von mir.
Aber es nahet mir hold auf mutlos umdämmerten Bahnen,
Sanft wie Dein leuchtender Schein, seiner Erinnerung Gruß. 

Unerreichbar bist Du, o Mond, in der Ferne des Himmels,
Dennoch verklärst Du die Nacht still mit erquickendem
Glanz;
So erfüllet auch Er mit Licht und Kraft mir den Busen,
Ewig mir ferne wie Du, ist er dem Geiste doch nah.


oben

Thränen
 
Wie sanft naht jene Trauermelodie
Mir durch des Abends leise Dämmerhülle.
Aus Deines Tones wunderbarer Fülle
Entquillt mir Trost in süßer Harmonie.

Es schwebt die Stimme meiner inner‘n Schmerzen
Auf Deinen Saiten, und sie bringen mir,
Herbei gelockt, Geliebteste! von Dir
Das still ersehnte Labsal kranker Herzen. 

Denn meinen Busen hob ein banges Sehnen –
Ich danke Dir, Du hast es mir versüßt,
Hast mir gegeben, was mich freundlich grüßt,
Die lang entbehrte Linderung stiller Tränen.






oben


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Textgrundlage: Gedichte aus "Natalie", Charlotte von Ahlefeld,
Berlin 1808, gemeinfrei

"Einsamkeit", S. 114-116      "Der Mond und Er", S. 60-62  
"Tränen", S. 113-114
zeno.org

Logo 244:
"Kornfeld im Mondschein", Samuel Palmer, ca. 1830,
Standort: British Museum 

Lizenz: The compilation copyright is held by
Zenodot Verlagsgesellschaft mbH
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wikimedia

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