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Literatur

04.2


Gedichte

Balcke Ernst





Sturm

Die Fahnen schlagen in den Abendhimmel
und wühlen auf den Todeskampf der Farben,
der Sturm zerreißt die kaum gebundenen Garben,
zerstampft sie mit dem Huf der Wolkenschimmel.

Er wühlt den Duft aus brennenden Lupinen,
springt jubelnd über eines Toten Bahre,
der Qualm und Rauch aus Schloten und Kaminen
umfliegen toll ihn wie Mänadenhaare.

Er peitscht die Menschen ein in Haus und Türen,
und tobt als Herr auf den geleerten Gassen,
zerschlägt die Feuer, die die wenigen blassen
verlassenen Bettler suchen sich zu schüren

Er peitscht die Menschen ein in Haus und Türund tobt als Herr auf den geleerten Gassen,
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Die Selbstmörderin
 
Auf ihrer Brust klebt eine gelbe Kröte;
die regt sich nicht; ihr Purpurauge droht
voll Angst und Eifersucht tief durch die Röte
des schwülen Abends, der im West verloht.
 
Zwischen den schlanken, weißen Fingern blinken
die Kelche kaum entkeimter Wasserrosen,
grüngelbe Tange hängen in den losen,
aschblonden Haaren, die zum Grunde sinken.
 
Die kalten, blauen Lippen legen sich
wie Lapislazuli um ihre Zähne;
der scharfe Kiel eines der vielen Kähne
riß, rot wie Karmosin, tief einen Strich
 
Durch ihre Stirn. Schwer, langsam gleitet sie,
nicht Wind noch Welle sind da, die sie rühren.
Vom schlanken Halse bis herab zum Kinn
des Froschlaichs schwarze Fäden sie umschnüren.
 
Sie treibt zur Stadt. Gelbgraue Dünste kauern
wie fahle Hunde um des Himmels Rund.
Ein Dampfer rauscht; von ölig-schmutzigen Schauern
wird überschüttet ihr sehnsüchtiger Mund.
 
Zwischen verfallenen Häuserfronten windet
hindurch sich ihr einst heiß geliebter Leib.
Durchs Dunkel, horch, von höchsten Wonnen kündet
leis singend, irgend ein glückselig Weib ––
 
Das Licht auf ihrer Haut erlischt. –– Den Nebel
wälzt aus den Brückenlöchern vor der Wind.
Von einem Dampferdeck bespeit ein Flegel
ihr süßes Antlitz, das im Grau zerrinnt.


Dezember 1910

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Sommertage noch im Herbst

Das ist das Wunderbare dieser Tage,
Dass sie uns rühren wie geliebter Kranker
Genesungen und Wiederblübendwerden.

Wie wenn ein Vogel, der den Sommer lang
Die süssen Lieder seines Lebens sang,
Noch einmal sich aus dem Gebüsche höbe,
Wir aber meinten, dass der feuchte Wind
Des ersten Herbstes ihn schon längst getragen
Zu wärmerer
Länder lächelnden Gestaden.

Und doch ist dieser letzten Tage Gold
So müde uns, als ob ein letztes Echo,
Das tot wir glaubten, plötzlich sich noch einmal
In einem tiefen, fernen Grund entschleiert
Und unsere fast vergessene Rufe rollt.

Das ist wie Sonnenlicht auf ganz verfallenen
Gemäuern düsterer Burgen, das den Ruhm
Der grossen Zeit aus seinen Winkeln weckt,
Den
Gang der Frauen an hellen Märztagen,
Die ganz verlorenen Klänge alter Harfen,
Und eine Bangigkeit vor Leben.

aus: Aktion 03, JG 1913

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