Widmungsbrief
Lieber
Detlev,
So
komme ich denn nun also
wirklich angerückt mit meinem lyrischen Feuerwerkskasten und brenne
meine
sämmtlichen Schwärmer, Raketen und
Frösche öffentlich Dir zu Ehren ab. Das pufft nun so dahin, und kein
Mensch wird
merken, wieviel Liebe zu Dir darin steckt. Gut, so gehe ich her und
halte Dir
noch eine besondere Liebeserklärung mit dem schönsten
Begeisterungsfeuer und
wunderbaren Knalleffekten.
Gottvoll,
wenn ich mir
denke, wie Du jetzt erschrocken bist und innerlich stammelst: . . .
Nein doch,
dieser . . .!“ Aber sei ruhig, ich lass’ es bleiben. Die Menschen haben
merkwürdig wenig Sinn für Freundschaft Anderer, es scheint mir fast,
sie ärgern
sich darüber, und wahrhaftig: Niemand soll sich so sehr davor hüten,
seine
Mitmenschen zu ärgern, als so ein armes lyrisches Wesen, das seinen
ersten Band
Gedichte vor die Brillengläser der Oeffentlichkeit bringt.
Da
kommt mir ein Brief in
den Sinn, den ich Dir im vorigen Herbst schrieb und den ich hierher
setzen
möchte, diesen erlebten Gedichten voran, denn er war mein bestes
Gedicht und
hatte das Glück, Dir besonders zu gefallen.
Ach,
dieser wundervolle
Abend, da ich ihn schrieb, „hinter Wipfelgrün am See, in dem Dorf des
heiligen
Heinrich“, an einem wackeligen Schreibtisch in der ‚Fischerros’!“.
Mordslang
war der Brief und ganz rasend in Seligkeit und Verzweiflung. Weisst Du
noch?
Ich schrieb Dir da von einem heiteren Doppelbettgespann zweier
verliebter
Paare, mit denen ich eben unten in der Bauernwirthsstube gesessen, und
wie besonders
die Eine, die Blonde, ein ganz verteufelter Racker, es mir angethan
habe mit
grossen, grossen, ach so feucht schauenden, ach so sehnenden, ach so
verheissenden und ach so schattengrün umrandeten Augen. Diese grossen
tiefdunkelblauen Räthsel voll schreckenumwobener Süsse des lebewütigen,
sterbesüchtigen Genusses, diese beiden weit aufgethanen Lichtporten der
Sehnsucht: da sah ich den Frühling noch einmal wieder, der eben
gestorben war,
und es fasste mich ein innerlichster Schauer, ein so seliges
Erschrecken, das
sich mir in Leid und Seele wollüstig einwühlte mit sammtener Fülle; -
und
draussen nun daneben der Herbstabend mit seinen schwarzen,
schwingenfeuchten
Winden, der mir die dürren Blätter auf den Tisch warf; diese wild
jauchzenden
Stürmstösse, unter denen der Wald in glühender, bebender Hingabe
stöhnte. Wie
ein Dithyrambus quoll es aus mir, und ich sang mit dem Winde, und mein
bestes
Gedicht ward ein Brief an Dich.
Der
Nachtwind und die
blonde Puppe waren die Hauptpersonen darin. Der Nachtwind holte sie mir
mit
seinen schwarzen Fledermausfängen aus der lustigen Villa am See, „die
kranke
Schönheit am gesunden Leben“, und ich küsste ihre weichen
Zupfefingerchen und
freute mich, wie der Mondschein silbern über ihr blasses Antlitz
rieselte.
„Nichts Schöneres als ein lieb warm Mädel im Arm und dem Sturm zu
lauschen. Das
strömt Schwung in die Seele, hoch hebend hinauf und tief wühlend
hinein,
anblasend den heissen Herd heiliger wilder Leidenschaft . . .“
So
jagte michs in
Phantasien und ich raste um die Wette mit der sturmstolzen Herbstnacht,
bis
meine arme Seele lahmte und miserabel in den Zeilenfurchen kroch, die
meine
kreischende Feder pflügte, und das Ende war der grosse Katzenjammer der
Décadence, der unter Schmerzenszuckungen sich bäumt und ruft: verachtet
mich,
wie ich mich selbst verachte!
Du,
mein Lieber, verstehst,
warum ich diesen Brief vor diese Gedichte setzen wollte, Philisteria
freilich
wird es nicht verstehen und wird sich kopfschüttelnd den Bauch klopfen
und mit
Wohlgefallen rufen: Jawohl, verachtet ihn!
Aber
was geht uns die
Allerweltstadt Philisteria an mit ihren Bauchklopfern?
Das
ist es ja vorzüglich,
warum ich Dir dies arme Buch widme: weil Du mich frei gemacht hast von
der
Philisterfurcht.
Deine
Gedichte hatten mir
gezeigt, dass es noch eine deutsche Lyrik giebt, werth des grossen
Namens: f r
e i e K u n s t; dein reiches,
quellhelles, nicht freilich jedem schnell quellendes Wesen hat mir
gezeigt,
dass es nicht blos freie Köpfe, sondern auch noch f r e i e H e r
z e n giebt. So gabst Du mir Ruck und
Stand inmitten dem quabbeligen Brei des „erbärmlichen Behagens“, und
nicht mehr
hiess es mir „Philister über dir!“ Oh nein, ganz unten jetzt, Herr
Gott: in
welchem Sumpfschlammgrund . . .
Dafür Dir zum Danke dies Buch!
In
Treue
Dein!
Julius
Am Ammersee, im Herbste 1891