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Literatur


04.2




Erlebte Gedichte

Otto Julius Bierbaum



Widmungsbrief



Lieber Detlev,
 
So komme ich denn nun also wirklich angerückt mit meinem lyrischen Feuerwerkskasten und brenne meine sämmtlichen Schwärmer, Raketen  und Frösche öffentlich Dir zu Ehren ab. Das pufft nun so dahin, und kein Mensch wird merken, wieviel Liebe zu Dir darin steckt. Gut, so gehe ich her und halte Dir noch eine besondere Liebeserklärung mit dem schönsten Begeisterungsfeuer und wunderbaren Knalleffekten.
Gottvoll, wenn ich mir denke, wie Du jetzt erschrocken bist und innerlich stammelst: . . . Nein doch, dieser . . .!“ Aber sei ruhig, ich lass’ es bleiben. Die Menschen haben merkwürdig wenig Sinn für Freundschaft Anderer, es scheint mir fast, sie ärgern sich darüber, und wahrhaftig: Niemand soll sich so sehr davor hüten, seine Mitmenschen zu ärgern, als so ein armes lyrisches Wesen, das seinen ersten Band Gedichte vor die Brillengläser der Oeffentlichkeit bringt.
Da kommt mir ein Brief in den Sinn, den ich Dir im vorigen Herbst schrieb und den ich hierher setzen möchte, diesen erlebten Gedichten voran, denn er war mein bestes Gedicht und hatte das Glück, Dir besonders zu gefallen.
Ach, dieser wundervolle Abend, da ich ihn schrieb, „hinter Wipfelgrün am See, in dem Dorf des heiligen Heinrich“, an einem wackeligen Schreibtisch in der ‚Fischerros’!“. Mordslang war der Brief und ganz rasend in Seligkeit und Verzweiflung. Weisst Du noch? Ich schrieb Dir da von einem heiteren Doppelbettgespann zweier verliebter Paare, mit denen ich eben unten in der Bauernwirthsstube gesessen, und wie besonders die Eine, die Blonde, ein ganz verteufelter Racker, es mir angethan habe mit grossen, grossen, ach so feucht schauenden, ach so sehnenden, ach so verheissenden und ach so schattengrün umrandeten Augen. Diese grossen tiefdunkelblauen Räthsel voll schreckenumwobener Süsse des lebewütigen, sterbesüchtigen Genusses, diese beiden weit aufgethanen Lichtporten der Sehnsucht: da sah ich den Frühling noch einmal wieder, der eben gestorben war, und es fasste mich ein innerlichster Schauer, ein so seliges Erschrecken, das sich mir in Leid und Seele wollüstig einwühlte mit sammtener Fülle; - und draussen nun daneben der Herbstabend mit seinen schwarzen, schwingenfeuchten Winden, der mir die dürren Blätter auf den Tisch warf; diese wild jauchzenden Stürmstösse, unter denen der Wald in glühender, bebender Hingabe stöhnte. Wie ein Dithyrambus quoll es aus mir, und ich sang mit dem Winde, und mein bestes Gedicht ward ein Brief an Dich.
Der Nachtwind und die blonde Puppe waren die Hauptpersonen darin. Der Nachtwind holte sie mir mit seinen schwarzen Fledermausfängen aus der lustigen Villa am See, „die kranke Schönheit am gesunden Leben“, und ich küsste ihre weichen Zupfefingerchen und freute mich, wie der Mondschein silbern über ihr blasses Antlitz rieselte. „Nichts Schöneres als ein lieb warm Mädel im Arm und dem Sturm zu lauschen. Das strömt Schwung in die Seele, hoch hebend hinauf und tief wühlend hinein, anblasend den heissen Herd heiliger wilder Leidenschaft . . .“
 
So jagte michs in Phantasien und ich raste um die Wette mit der sturmstolzen Herbstnacht, bis meine arme Seele lahmte und miserabel in den Zeilenfurchen kroch, die meine kreischende Feder pflügte, und das Ende war der grosse Katzenjammer der Décadence, der unter Schmerzenszuckungen sich bäumt und ruft: verachtet mich, wie ich mich selbst verachte!
 
Du, mein Lieber, verstehst, warum ich diesen Brief vor diese Gedichte setzen wollte, Philisteria freilich wird es nicht verstehen und wird sich kopfschüttelnd den Bauch klopfen und mit Wohlgefallen rufen: Jawohl, verachtet ihn!
 
Aber was geht uns die Allerweltstadt Philisteria an mit ihren Bauchklopfern?
 
Das ist es ja vorzüglich, warum ich Dir dies arme Buch widme: weil Du mich frei gemacht hast von der Philisterfurcht.
 
Deine Gedichte hatten mir gezeigt, dass es noch eine deutsche Lyrik giebt, werth des grossen Namens: f r e i e  K u n s t; dein reiches, quellhelles, nicht freilich jedem schnell quellendes Wesen hat mir gezeigt, dass es nicht blos freie Köpfe, sondern auch noch f r e i e  H e r z e n giebt. So gabst Du mir Ruck und Stand inmitten dem quabbeligen Brei des „erbärmlichen Behagens“, und nicht mehr hiess es mir „Philister über dir!“ Oh nein, ganz unten jetzt, Herr Gott: in welchem Sumpfschlammgrund . . .
 
        Dafür Dir zum Danke dies Buch!
 
                                                   In Treue Dein!
                                                                     
                                                                    Julius
 
        Am Ammersee, im Herbste 1891

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