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Literatur


04.2



Gedichte - Luise Deusch
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 Mondnacht
 
Kennst du die silberne Blume,
Die leise duftend hängt
Still an des Himmels Busen,
Wenn ihn die Nacht umfängt?
 
Die Erde sah entschlummernd
Den klaren Blätterkranz,
Davon auf ihren Wangen
Liegt weicher Widerglanz.
 
Siehst du der Knospe Dehnen
Und voll den Kelch enthüllt,
Ihr träumerisches Schließen,
Bis wiederum sie schwillt?
 
In ihrem Dufte schwärmen,
Das darf nicht jedermann,
Sie haucht mit Zauberkräften
Geheimnisvoll uns an.
 
Dann schießt es durch die Adern
Bald feurig, bald eisig kalt,
Und schickt an unsre Lager
Bezwingende Traumgewalt.
 
Und wenn du wolltest brechen
Die Blume, o Menschenhand,
So müßtest du entsagen
Jedwedem Erdenband.
 
Sie bleibt die silberne Blume
Und glüht in fremder Pracht
Still an des Himmels Busen,
Wenn ihn umschlingt die Nacht.


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 Sonnensegen
 
Schon will sich der Morgen erheben
Er hörte, im Traume noch halb,
Wenn leis’ seine Schwingen erst beben:
Die Sonne, die Sonne ist nah!
 
Schnell eilt er zum Kamme der Hügel,
Zu öffnen das mächtige Tor,
Laut tönen die goldenen Riegel:
Die Sonne, die Sonne ist da.
 
Zu dem Antlitz, dem gottesgleichen,
Alles Leben in Ehrfurcht schaut!
Der ist König von allen Reichen,
Wer die Sonne, die Sonne sah.
 
Wer die Schauer der Ewigkeiten
In der Fülle des Lichtes trank,
Den wird, wenn es nachtet, begleiten,
Was ihm durch die Sonne geschah.
 
Es empfing von dem Glanze der Hohen
Meine Seele ein bleibendes Mal,
Das ihr kündet mit innerstem Lohen,
Daß die Sonne, die Sonne ihr nah!


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 Weltgeschichte
 
Es hebt gewaltig Sausen
An allen Enden an,
Die Völkerstürme brausen
Zu Land und Ozean.
Da stürzen heil’ge Mauern,
Da triumphiert die Wut,
Die Erde bebt in Schauern
Und trinkt ihr eignes Blut,
Bis an granitnen Wänden
Die Eisenfaust zerkracht,
Glutschein von Geistesbränden
Erlischt in Schicksalsnacht.
Wir nennen’s Weltgeschichte,
Wie nennt’s der Herr des Alls?
»Ins Meer ein Tropfen zischte
Zerschmelzenden Metalls.«


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Textgrundlage: „Mondnacht“, "Sonnensegen", "Weltgeschichte",
Luise Deusch, aus: Gedichte, Verlag v. J. F. Steinkopf, Stuttgart, gedruckt
bei J. F. Steinkopf, Stuttgart,

Digitized bei google, Original from Princton University

Logo 458: "A cloude and landscape study by moonlight"
- J. C. Clausen Dahl,   1822 , gemeinfrei

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