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04.2
Gedichte - Georg Heym
Der ewige Tag
1911
In
ihrem Viertel, in dem Gassenkot,
Wo
sich der große Mond durch Dünste drängt,
Und
sinkend an dem niedern Himmel hängt,
Ein
ungeheurer Schädel, weiß und tot,
Da
sitzen sie die warme Sommernacht
Vor
ihrer Höhlen schwarzer Unterwelt,
Im
Lumpenzeuge, das vor Staub zerfällt
Und
aufgeblähte Leiber sehen macht.
Hier
klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reißt.
Hier
hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf.
Ein
Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf,
Wo
hockt ein Greis, des Schädel Aussatz weißt.
Es
spielen Kinder, denen früh man brach
Die
Gliederchen. Sie springen an den Krücken
Wie
Flöhe weit und humpeln voll
Entzücken
Um
einen Pfennig einem Fremden nach.
Aus
einem Keller kommt ein Fischgeruch,
Wo
Bettler starren auf die Gräten böse.
Sie
füttern einen Blinden mit Gekröse.
Er
speit es auf das schwarze Hemdentuch.
Bei
alten Weibern löschen ihre Lust
Die
Greise unten, trüb im Lampenschimmer,
Aus
morschen Wiegen schallt das Schreien immer
Der
magren Kinder nach der welken Brust.
Ein
Blinder dreht auf schwarzem, großem Bette
Den
Leierkasten zu der Carmagnole,
Die
tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle.
Hell
klappert in der Hand die Castagnette.
Uraltes
Volk schwankt aus den tiefen Löchern,
An
ihre Stirn Laternen vorgebunden.
Bergmännern
gleich, die alten Vagabunden.
Um
einen Stock die Hände, dürr und knöchern.
Auf
Morgen geht's. Die hellen Glöckchen wimmern
Zur
Armesündermette durch die Nacht.
Ein
Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern
Eunuchenköpfe,
faltig und verwacht.
Vor
steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne,
Ein
Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen.
Man
sieht die Schläfer ruhn, wo sie gebrochen
Um
sich herum die höllischen
Arkane.
Am
Mauertor, in Krüppeleitelkeit
Bläht
sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke,
Er
schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke,
Wo
lautlos ziehn die Meteore weit.
zurück
Die
Dämonen der Städte
Sie
wandern durch die Nacht der Städte hin,
Die
schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.
Wie
Schifferbärte stehen um ihr Kinn
Die
Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.
Ihr
langer Schatten schwankt im Häusermeer
Und
löscht der Straßen Lichterreihen aus.
Er
kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer
Und
tastet langsam vorwärts Haus für Haus.
Den
einen Fuß auf einen Platz gestellt,
Den
anderen gekniet auf einen Turm,
Ragen
sie auf, wo schwarz der Regen fällt,
Panspfeifen
blasend in den Wolkensturm.
Um
ihre Füße kreist das Ritornell
Des
Städtemeers mit trauriger Musik,
Ein
großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell
Wechselt
der Ton, der in das Dunkel stieg.
Sie
wandern an dem Strom, der schwarz und breit
Wie
ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt
Von
den Laternen, in die Dunkelheit
Sich
traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.
Sie
lehnen schwer auf einer Brückenwand
Und
stecken ihre Hände in den Schwarm
Der
Menschen aus, wie Faune, die am Rand
Der
Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.
Einer
steht auf. Dem weißen Monde hängt
Er
eine schwarze Larve vor. Die Nacht,
Die
sich wie Blei vom finstern Himmel senkt,
Drückt
tief die Häuser in des Dunkels Schacht.
Der
Städte Schultern knacken. Und es birst
Ein
Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.
Breitbeinig
sitzen sie auf seinem First
Und
schrein wie Katzen auf zum Firmament.
In
einer Stube voll von Finsternissen
Schreit
eine Wöchnerin in ihren Wehn.
Ihr
starker Leib ragt riesig aus den Kissen,
Um
den herum die großen Teufel stehn.
Sie
hält sich zitternd an der Wehebank.
Das
Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,
Da
kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang
Und
blutend reißt er von der Frucht entzwei.
Der
Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.
Das
Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält
Es
vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen
Des
Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.
Doch
die Dämonen wachsen riesengroß.
Ihr
Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.
Erdbeben
donnert durch der Städte Schoß
Um
ihren Huf, den Feuer überloht.
zurück
Der
Blinde
Man
setzt ihn hinter einen Gartenzaun.
Da
stört er nicht mit seinen Quälerein.
„Sieh
dir den Himmel an!“ Er ist allein.
Und
seine Augen fangen an zu schaun.
Die
toten Augen. „O, wo ist er, wie
Ist
denn der Himmel? Und wo ist sein Blau?
O
Blau, was bist du? Stets nur weich und rauh
Fühlt
meine Hand, doch eine Farbe nie.
Nie
Purpurrot der Meere. Nie das Gold
Des
Mittags auf den Feldern, nie den Schein
Der
Flamme, nie den Glanz im edlen Stein,
Nie
langes Haar, das durch die Kämme rollt.
Niemals
die Sterne. Wälder nie, nie Lenz
Und
seine Rosen. Stets durch Grabesnacht
Und
rote Dunkelheit wird’ ich gebracht
In
grauenvollem Fasten und Karenz.“
Sein
bleicher Kopf steigt wie ein Lilienschaft
Aus
magrem Hals. Auf seinem dürren Schlund
Rollt
wie ein Ball des Adamsapfels Rund.
Die
Augen quellen aus der
engen Haft,
Ein
Paar von weißen Knöpfen. Denn der Strahl
Des
weißen Mittags schreckt die Toten nicht.
Der
Himmel taucht in das erloschene Licht
Und
spiegelt in dem bleiernen Opal.
zurück
Die
Tote im Wasser
Die
Masten ragen an dem grauen Wall
Wie
ein verbrannter Wald ins frühe Rot,
So
schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot
Zu
Speichern stiert, die morsch und im Verfall.
Dumpf
tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut,
Den
Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt
Wie
eine weiße Haut im Strom und reibt
Sich
an dem Dampfer, der im Docke ruht.
Staub,
Obst, Papier, in einer dicken
Schicht,
So
treibt der Kot aus seinen Röhren ganz.
Ein
weißes Tanzkleid kommt, in fettem Glanz
Ein
nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht.
Die
Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht
Das
Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.
Die
toten Augen starren groß und blind
Zum
Himmel, der voll rosa Wolken steht.
Das
lila Wasser bebt von kleiner Welle.
-
Der
Wasserratten Fährte, die bemannen
Das
weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen,
Voll
grauer Köpfe und voll schwarzer Felle.
Die
Tote segelt froh hinaus, gerissen
Von
Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt
Dem
Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt.
Wie
eine Grotte dröhnt er von den Bissen.
Sie
treibt ins Meer. Ihr
salutiert Neptun
Von
einem Wrack, da sie das Meer verschlingt,
Darinnen
sie zur grünen Tiefe sinkt,
Im
Arm der feisten Kraken auszuruhn.
zurück
Der
Schäfer im Wald
Seit
Morgen ruht er. Da die Sonne rot
Durch
Regenwolken seine Wunde traf.
Das
Laub tropft langsam noch. Der Wald liegt tot.
Im
Baume ruft ein Vögelchen im Schlaf.
Der
Tote schläft im ewigen Vergessen,
Umrauscht
vom Walde. Und die Würmer singen,
Die
in des Schädels Höhle tief sich fressen,
In
seine Träume ihn mit Flügelklingen.
Wie
süß ist es, zu träumen nach den Leiden
Den
Traum, in Licht und Erde zu zerfallen,
Nichts
mehr zu sein, von allem abzuscheiden,
Und
wie ein Hauch der Nacht hinabzuwallen,
Zum
Reich der Schläfer. Zu den Hetairieen
Der
Toten unten. Zu den hohen Palästen,
Davon
die Bilder in dem Strome ziehen,
Zu
ihren Tafeln, zu den langen Festen.
Wo
in den Schalen dunkle Flammen schwellen,
Wo
golden klingen vieler Leiern Saiten.
Durch
hohe Fenster schaun sie auf die Wellen,
Auf
grüne Wiesen in den blassen Weiten.
Er
scheint zu lächeln aus des Schädels Leere,
Er
schläft, ein Gott, den süßer Traum bezwang.
Die
Würmer blähen sich in seiner Schwäre,
Sie
kriechen satt die rote Stirn entlang.
Ein
Falter kommt die Schlucht herab. Er ruht
Auf
Blumen. Und er senkt sich müd
Der
Wunde zu, dem großen Kelch von Blut,
Der
wie die Sammetrose dunkel glüht.
zurück
Bist
Du nun tot? ...
Bist
du nun tot? Da hebt die Brust sich noch,
Es
war ein Schatten, der darüber fegt,
Der
in der ungewissen Dämmrung kroch
Vom
Vorhang, der im Nachtwind Falten schlägt.
Wie
ist dein Kehlkopf blau, draus ächzend fuhr
Dein
leises Stöhnen von der Hände Druck.
Das
ist der Würgemale tiefe Spur,
Du
nimmst ins Grab sie nun als letzten Schmuck.
Die
weißen Brüste schimmern hoch empor,
Indes
dein stummes Haupt nach hinten sank,
Das
aus dem Haar den Silberkamm verlor.
Bist
du das, die ich einst so heiß umschlang?
Bin
ich denn der, der einst bei dir geruht
Vor
Liebe toll und bittrer Leidenschaft,
Der
in dich sank wie in ein Meer von Glut
Und
deine Brüste trank wie Traubensaft?
Bin
ich denn der, der so voll Zorn gebrannt
Wie
einer Höllenfackel Göttlichkeit,
Und
deine Kehle wie im Rausch umspannt,
In
Hasses ungeheurer Freudigkeit?
Ist
das nicht alles nur ein wüster Traum?
Ich
bin so ruhig und so fern der Gier.
Die
fernen Glocken zittern in dem Raum,
Es
ist so still wie in den Kirchen hier.
Wie
ist das alles fremd und sonderbar?
Wo
bist du nun? Was gibst du Antwort nicht?
-
Ihr
nackter Leib ist kalt und eisesklar
Im
blassen Schein vom blauen Ampellicht. -
Was
ließ sie alles auch so stumm geschehn.
Sie
wird mir furchtbar, wenn so stumm sie liegt.
O
wäre nur ein Tropfen Bluts zu sehn.
Was
ist das, hat sie ihren Kopf gewiegt?
Ich
will hier fort. - Er stürzt aus dem Gemach.
Der
Nachtwind, der im Haar der Toten zischt,
Löst
leis es auf. Es weht dem
Winde nach,
Gleich
schwarzer Flamme, die im Sturm verlischt.
zurück
Nach
der Schlacht
In
Maiensaaten liegen eng die Leichen,
Im
grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten.
Verlorne
Waffen, Räder ohne Speichen,
Und
umgestürzt die eisernen Lafetten.
Aus
vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
Die
schwarz und rot den braunen Feldweg decken.
Und
weißlich quillt der toten Pferde Bauch,
Die
ihre Beine in die Frühe strecken.
Im
kühlen Winde friert noch das Gewimmer
Von
Sterbenden, da in des
Osten Tore
Ein
blasser Glanz erscheint, ein grüner Schimmer,
Das
dünne Band der flüchtigen Aurore.
zurück
Der
Baum
Am
Wassergraben, im Wiesenland
Steht
ein Eichbaum, alt und zerrissen,
Vom
Blitze hohl, und vom Sturm zerbissen.
Nesseln
und Dorn umstehn ihn in schwarzer Wand.
Ein
Wetter zieht sich gen Abend zusammen.
In
die Schwüle ragt er hinauf, blau, vom Wind nicht gerührt.
Von
der leeren Blitze Gekränz umschnürt,
Die
lautlos über den Himmel flammen.
Ihn
umflattert der Schwalben niedriger Schwarm.
Und
die Fledermäuse huschenden Flugs,
Um
den kahlen Ast, der zuhöchst entwuchs
Blitzverbrannt
seinem Haupt, eines Galgens Arm.
Woran
denkst du, Baum, in der Wetterstunde
Am
Rande der Nacht? An der Schnitter Gered’,
In
der Mittagsrast, wenn der Krug umgeht,
Und
die Sensen im Grase ruhn in der Runde?
Oder
denkst du daran, wie in alter Zeit
Einen
Mann sie in deine Krone gehenkt,
Wie,
den Strick um den Hals, er die Beine verrenkt,
Und
die Zunge blau hing aus dem Maule breit?
Wie
er da Jahre hing, und den Winter trug,
In
dem eisigen Winde tanzte zum Spaß,
Und
wie ein Glockenklöppel, den Rost zerfraß,
An
den zinnernen Himmel schlug.
zurück
Louis
Capet
Die
Trommeln schallen am Schafott im Kreis,
Das
wie ein Sarg steht, schwarz mit Tuch verschlagen.
Drauf
steht der Block. Dabei der offene Schragen
Für
seinen Leib. Das Fallbeil glitzert weiß.
Von
vollen Dächern flattern rot Standarten.
Die
Rufer schrein der Fensterplätze Preis.
Im
Winter ist es. Doch dem Volk wird heiß,
Es
drängt sich murrend vor. Man läßt es warten.
Da
hört man Lärm. Er steigt. Das Schreien braust.
Auf
seinem Karren kommt Capet, bedreckt,
Mit
Kot beworfen, und das Haar zerzaust.
Man
schleift ihn schnell herauf. Er wird gestreckt.
Der
Kopf liegt auf dem Block. Das Fallbeil saust.
Blut
speit sein Hals, der fest im Loche steckt.
zurück
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