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Literatur

"Verzweiflung", Ludwig Meidner (Ausschnitt), 1914, ©Ludwig Meidner Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt a. M.
     
04.2


Gedichte - Georg Heym

Der Himmel Trauerspiel
Gedichte aus dem Nachlass
1922


 

November

Blinde stehen im Weg. Ihre großen Lider
Sind wie kleine Felle heruntergehängt,
Eine Sonntagsglocke hinten, die über den Feldern
In der Turmspitze sanft sich schaukelt und schwenkt.
 
Manchmal ein Leierkasten irgendwo ferne.
Manchmal ein Ton, den der Wind verzehrt.
Und das Herz gibt der Trauer sich gerne,
Unter Wolken, da Sommer so ferne gekehrt.
 
Oben gehen noch einige Leute
Hoch und schwarz, und ihr Mantel fliegt,
Und die Pappeln sausen über die Himmel,
Braun mit den Köpfen, die Wind verbiegt.
 
Wer über die Höhen geht, spiegelt sich ferne
In der winzigen Sonne, lichtlos und tot.
Und über den bergigen Schluchten kühle
Löschet ein gelbes Abendrot.

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Im kurzen Abend

Im kurzen Abend. Voll Wind ist die Stunde,
Und die Röte so tief und winterlich klein.
Unsere Hand, die sich zagend gefunden,
Bald wird sie frieren und einsam sein.
 
Und die Sterne sind hoch in verblassenden Weiten
Wenige erst, auseinander gerückt.
Unsere Pfade sind dunkel, und Weiden breiten
Ihre Schatten darauf, in Trauer gebückt.
 
Schilf rauschet uns. Und die Irrwische scheinen,
Die wir ein dunkeles Schicksal erlost.
Behüte dein Herz, dann wird es nicht weinen
Unter dem fallenden Jahr ohne Trost.
 
Was dich schmerzet, ich sag es im Bösen.
Und uns quälet ein fremdes Wort.
Unsere Hände werden im Dunkel sich lösen,
Und mein Herz wird sein wie ein kahler Ort.

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Die Irren

Rein ist das Licht um unsere Tage
Wie ein bleicherer Sonnenschein.
Und wie reife Blumen stehn wir und ragen
In das fröhliche Licht voller Bläue hinein.
 
Früher saßen wir tief in dumpfen Stuben,
Und das wolkige Leben war über uns fort,
Und wir horchten immer um unsrer Gruben
Grauen Himmel in dem schläfrigen Ort.
 
Jemand hat uns gerufen, wir durften nicht warten,
Unsre Wege zogen durch Trübes lang.
Und die wandernden Tage, die kurzen und harten,
Machten flüchtiger unseren Gang.
 
Hinter uns gehet noch Schall und das dumpfe Rauschen
Wie von stillen Wassern versunkener Welt.
Manchmal noch drehn wir die Schultern und lauschen,
Wenn ein Schrei wie ein Stein in die Ruhe uns fällt.
 
Sind wir doch froh und gekleidet in schöne Gewirke,
Wir sitzen singend im ländlichen Wald.
Und er darf nicht herein in unsre Bezirke
Der in den Zaun seine Hände noch krallt.
 
Nicht mehr lange danach, daß wir Bäume werden,
Wie wir waren dereinst in dem früheren Sein,
Ruhig wie schlafende Träume auf dunkeler Erde,
Niemand fasset in unsere Adern hinein.

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Mitte des Winters

Das Jahr geht zornig aus. Und kleine Tage
Sind viel verstreut wie Hütten in den Winter.
Und Nächte ohne Leuchten, ohne Stunden,
Und grauer Morgen ungewisser Bilder.
 
Sommerzeit, Herbstzeit, alles geht vorüber,
Und brauner Tod hat jede Frucht ergriffen.
Und andre kalte Sterne sind im Dunkel,
Die wir zuvor nicht sahn vom Dach der Schiffe.
 
Weglos ist jedes Leben. Und verworren
Ein jeder Pfad. Und keiner weiß das Ende,
Und wer da suchet, daß er Einen fände,
Der sieht ihn stumm und schüttelnd leere Hände.

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Frühjahr

Die Winde bringen einen schwarzen Abend,
Die Wege zittern mit den kalten Bäumen,
Und in der leeren Flächen später Öde
Die Wolken rollen auf den Horizonten.
 
Der Wind und Sturm ist ewig in der Weite,
Nur spärlich, daß ein Sämann schon beschreitet
Das ferne Land und schwer den Samen streuet,
Den keine Frucht in toten Sommern freuet.
 
Die Wälder aber müssen sich zerbrechen,
Mit grauen Wipfeln in den Wind gehoben,
Die quellenlosen, in der langen Schwäche,
Und nicht mehr steigt das Blut in ihren Ästen.
 
Der März ist traurig. Und die Tage schwanken
Voll Licht und Dunkel auf der stummen Erde.
Die Ströme aber und die Berge decket
Der Regenschild. Und alles ist vergangen.
 
Die Vögel aber werden nicht mehr kommen,
Leer wird das Schilf und seine Ufer bleiben.
Und große Kähne in der Sommerstille
Zu grüner Hügel toten Schatten treiben.

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Was kommt ihr,  weiße Falter of zu mir?

Was kommt ihr, weiße Falter, so oft zu mir?
Ihr toten Seelen, was flattert ihr also oft
Auf meine Hand, von euerm Flügel
Haftet dann oft ein wenig Asche.
 
Die ihr bei Urnen wohnt, dort wo die Träume ruhn,
In ewigen Schatten gebückt, in dem dämmrigen Raum,
Wie in den Grüften Fledermäuse,
Die nachts entschwirren mit Gelärme.
 
Ich höre oft im Schlaf der Vampire Gebell
Aus trüben Mondes Waben wie Gelächter,
Und sehe tief in leere Höhlen
Der heimatlosen Schatten Lichter.
 
Was ist das Leben? Eine kurze Fackel,
Umgrinst von Fratzen aus dem schwarzen Dunkel,
Und manche kommen schon und strecken
Die magren Hände nach der Flamme.
 
Was ist das Leben? Kleines Schiff in Schluchten
Vergeßner Meere. Starrer Himmel Grauen.
Oder wie nachts auf kahlen Feldern
Verlornes Mondlicht wandert und verschwindet.
 
Weh dem, der jemals einen sterben sah,
Da unsichtbar in Herbstes kühler Stille
Der Tod trat an des Kranken feuchtes Bette
Und einen scheiden ließ, da seine Gurgel
 
Wie einer rostigen Orgel Frost und Pfeifen
Die letzte Luft mit Rasseln stieß von dannen.
Weh dem, der sterben sah. Er trägt für immer
Die weiße Blume bleiernen Entsetzens.
 
Wer schließt uns auf die Länder nach dem Tode,
Und wer das Tor der ungeheuren Rune?
Was sehn die Sterbenden, daß sie so schrecklich
Verkehren ihrer Augen blinde Weiße?

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Der Selbstmörder

In Bäumen irrend, wo die Äste knacken,
Erschrecken sie bei jedem feuchten Schritte,
Zerhöhlt und morsch. Und ihrer Stirnen Mitte
In Schrecken wie ein weißes Feuer flackert.
 
Schon ist ihr Leben flach, das wie aus Pfannen
Dampft in die graue Luft, und macht sie leerer.
Sie sehn sich schielend um. Und ihre Augen querer
In Wasserbläue rinnen ganz zusammen.
 
Ihr Ohr hört vieles schon von dumpfem Raunen,
Wie Schatten stehn sie auf den dunklen Wegen,
Und Stimmen kommen ihnen schwach entgegen,
Wachsend in jedem Teich und jedem Baume.
 
Und Hände streifen ihrer Nacken Schwere,
Die peitschen vorwärts ihre steifen Rücken,
Sie aber gehen wie auf schmalen Brücken
Und wagen nicht zu fassen mehr ins Leere.
 
Im Abendraum ein dunkler Schneefall tröpfelt,
Und wie von Tränen wird ihr Bart bereifet,
Und Dorn und Stachel wollen sie ergreifen
Und lachen leise mit den Knister-Köpfen.
 
Und plötzlich hängen sie an großer Schlinge —
Und strampeln mit den dürren Knochenbeinen.
Der Mond erfüllt die Nacht mit großem Scheinen.
Im Dunkel ist ein Fetzen toter Dinge.

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Russland
März 1911

Mit weißem Haar, in den verrufnen Orten
Noch hinter Werchojansk, in öden Steppen,
Da schmachten sie, die ihre Ketten schleppen
Tagaus -  tagein, die düsteren Kohorten.
 
In Bergwerksnacht, wo ihre Beile klingen
Wie von Cyklopen. Doch ihr Mund ist stumm.
Und mit den Peitschen gehn die Wärter um.
Klatsch. -  Daß klaffend ihre Schultern springen.
 
Der Mond schwenkt seine große Nachtlaterne
Auf ihren Weg, wenn sie zur Hürde wanken,
Sie fallen schwer in Schlaf. Und sehen ferne
 
Die Nacht voll Feuer in den Traumgedanken
Und auf der Stange, rot, gleich einem Sterne,
Aus Aufruhrs Meer das Haupt des Zaren schwanken.

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