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"Verzweiflung",
Ludwig Meidner
(Ausschnitt), 1914, ©Ludwig Meidner Archiv,
Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt a. M.
04.2
Gedichte - Georg Heym
Der Himmel
Trauerspiel
Gedichte aus
dem Nachlass
1922
Wo
eben rauschten noch die Karusselle
Wo
eben rauschten noch die Karusselle
In
weißem Licht, zum Lärmen der Musik,
Die
Wolke Dampfs beglänzt zum Himmel stieg
Und
hoch sich schwang des Riesenrades Welle,
Wo
zwischen Buden sich die Leute schoben,
Wo
heisre Rufer schrien und klang Geläut,
Und
wo die Birken, wie von Schnee bestreut,
In
weitem Kranze um den Platz sich hoben,
Da
ist es stille nun. Durch Wolken fahl
Des
Mondes Sichel schwimmt in Dunkels Schoß,
Die
Birken wachsen in den Himmel groß,
Steinbildern
gleich im düstren Marmorsaal.
zurück
Der
Tod der Liebenden im Meer
Wir
werden schlafen bei den Toten drunten
Im
Schattenland. Wir werden einsam wohnen
In
ewigem Schlafe in den Tiefen unten,
In
den verborgnen Städten der Dämonen.
Die
Einsamkeit wird uns die Lider schließen,
Wir
hören nichts in unsrer Hallen Räumen.
Die
Fische nur, die durch die Fenster schießen,
Und
leisen Wind in den Korallenbäumen.
Des
Meeres Seele flüstert an dem Kahn.
Des
Abends schattige Winde sind die Fergen
Pfadloser
Öde, wo der Ocean
Sich
weithin türmt zu dunklen Wasserbergen.
In
ihren Schluchten schweift ein Kormoran.
Darunter
schwankt das Meer hinab zum Grunde.
Es
dreht sich um. Und aus der glatten Bahn
Ragt
Wrack auf Wrack, bis tief im Riesenschlunde.
Auf
morschen Rahen sitzen die Matrosen.
Gerippe,
weiß, die ein der Maelstrom zog.
Zuschauern
gleich in der Arena Tosen,
So
schaun sie in den bodenlosen Trog.
Der
Maelstrom wandert nahe an dem Bord
Des
Bootes hin. Es schwankt. Es wehrt sich noch.
Da
schießt es ab. In weiße Tiefe fort,
Ein
Punkt, versinkt es in des Trichters Loch.
Wie
eine Spinne schließt das Meer den Mund.
Und
schillert weiß. Der Horizont nur bebt,
Wie
eines Adlers Flug, der auf dem Sund
In
blauem Abend hoch und einsam schwebt.
zurück
Lichter gehen jetzt die Tage
Lichter
gehen jetzt die Tage
In
der sanften Abendröte,
Und
die Hecken sind gelichtet,
Drin
der Städte Türme stecken
Und
die buntbedachten Häuser.
Und
der Mond ist eingeschlafen
Mit
dem großen weißen Kopfe
Hinter
einer großen Wolke.
Und
die Straßen gehen bleicher
Durch
die Häuser und die Gärten.
Die
Gehängten aber schwanken
Freundlich
oben auf den Bergen
In
der schwarzen Silhouette.
Drum
die Henker liegen schlafend.
Unterm
Arm die feuchten Beile.
zurück
Die
Städte im Walde
In
großen Wäldern, unter Riesenbäumen,
Darunter
ewig blaues Dunkel ruht,
Dort
schlafen Städte in verborgnen Träumen,
Den
Inseln gleich in grüner Meere Flut.
Das
Moos wächst hoch auf ihren Mauerkränzen.
Ihr
alter Turm ist schwarzer Rosen Horst.
Sie
zittern sanft, wenn wild die Zinnen glänzen
Und
rot im Abend lodert rings der Forst.
Dann
stehen hoch in fließendem Gewand,
Wie
Lilien, ihre Fürsten auf den Toren,
Im
Wetterschein, wie stiller Kerzen Brand.
Und
ihre Harfe dröhnt, im Sturm verloren,
Des
schwarzer Hauch schon weht von Himmels Rand,
Und
rauscht im dunklen Haar der Sykomoren.
zurück
Gewölke
gleich . . .
Gewölke
gleich, das stirbt in dürrer Stille
Im
götterlosen Herbst auf kahler Flur,
Zergingen
alle Träume. Und uns blieben
Nur
schale Krüge und ein starrer Kranz.
In
Morgen-Wehmut schien es zu zerrinnen,
Was
noch im Träume-Feuer glomm,
Wir
lagen stumm in dem erfrornen Himmel
Und
hörten unten dumpf der Tore Schall.
Du
ruhtest noch, verwelkt, im frühen Schlummer,
Der
sich von deiner Schläfe langsam hob,
Und
wie ein Trauermantel kühlen Fluges
Im
Dunkel sich der Stuben klein verlor.
Ein
weißes Licht ging über deine Lippen,
Du
wachtest auf und lagst an meiner Brust,
Und
ich, wie eine Distel dürr und trocken,
Verbarg
in flache Küsse deine Stirn.
Vergiß.
Und komm. Daß ich, Ischariot,
Noch
einmal deines Mundes Flammen wecke
Und
singen kann. Daß ich die Lider senke
Und
wie ein Schiff auf roten Finsternissen
Durch
blasse Sterne, die versinken wollen,
In
leere Weiten treibe und den Tod,
Den
Vögeln gleich, die unter großem Fittich
Verbergen
hoch ein böses Morgenrot.
zurück
Sehnsucht
nach Paris
Wenn
durch den Abend Frankreichs, der der Weiße
Der
Königslilien ihres Wappens gleicht,
Wie
Honig süß, der Sonnentag, der heiße,
Vom
Wandern müd in gelbe Himmel weicht.
Dann
zittern von Mont-Martre viele Glocken
Und
grüßen ihn und seinen goldnen Glanz.
Doch
auf Paris, der alten Schönen Locken,
Glühn
rote Wolken wie ein Hochzeitskranz.
Halb
März, halb Herbst, voll trauriger Essenzen,
Wer
je den Wind in seine Lungen trank,
Wenn
rot die Türme Notre-Dames erglänzen,
Er
ist nach dir vor wilder Sehnsucht krank.
Dein
Taumelkelch, umwunden schwarz mit Rosen,
Nachtschattengift
erschüttert ihm das Blut,
Und
westwärts schaut er immer, wo ihn kosen
Die
Winde Frankreichs mit verhaltner Glut.
Paris,
Mutter der Kunst und jeder Größe,
Die
wie der Sieg auf deiner Stirne schwebt
Und
deiner altersgrauen Schläfe Blöße
In
einen Wald von Lorbeer stolz begräbt,
Wo
tief in deinem Schoß im Sarkophage,
Vom
Fittich seiner Adler überwacht,
Der
Kaiser schläft, und leise Totenklage
Im
Dome wandert durch die Mitternacht,
Wo
wie ein Wald die alten Fahnen stehen,
Die
durch Ägypten trug die Legion.
Sie
rauschen manchmal noch, die Tücher wehen
Wie
Küsse sanft um deinen toten Sohn.
Doch
morgens brennt im Osten auf der Seine
Im
Häusermeere, wie ein Sturmfanal
Im
Mastenwald, im Meer der schwarzen Kähne,
Die
Sonne blutig, wie ein großer Gral,
Vom
roten Wein gefüllt bis an die Borde,
Vom
Wein der Freiheit, der das Herz beschwört
Und
auf der weiten Place de la Concorde
Aus
Dantons Mund der Städte Zorn empört.
O
großer Tag, da rote Donner grollten
Auf
deiner Stirn, und blutig, fett und feist
Des
Königs armes Haupt im Sande rollte
—
Großes Paris, das altert und verwaist.
Noch
blühn im Sommer deine Boulevards
Mit
Linden voll, und zittert noch im Licht
Das
Elysee, wenn auf dem Camp de Mars
Sich
zwischen Wagen drängt die Menge dicht.
Und
Abend sinkt, wie Veilchen träumerisch,
Wie
Veilchen welk. Der hohen Linden Duft
Weht
von der Seine Ufern her, die frisch
Der
Abendwind bewegt in lauer Luft.
Dann
ziehn im Strom der bunten Boote viel
Am
Park Vincennes vorbei, mit Immergrün
Den
Mast umkränzt und den gewundenen Kiel,
Wo,
klein wie Sterne, rote Lampen glühn.
Aus
niedrigen Spelunken schallt ein Lied,
Auf
grauen Stirnen liegt der Lampe Licht
In
kleinen Fenstern, die mit Laub umzieht
Ein
Weinspalier, das sich im Wind verflicht.
Den
Fluß hinab, durch Park und Sommergarten
Korndampfer
schaukeln in den Häfen breit,
Wo
Dirnen stehn. Auf ihrem Munde warten
Die
Küsse kalt voll herber Bitterkeit.
Doch
über dir, Paris, und deiner Pracht,
Die
im Verblühen noch die Brüste spreizt,
Weit
über dir und der erwachten Nacht,
Die
mit Laternenschein die Straßen beizt,
Weit
über deinem Haus der Invaliden,
Des
schwarzes Totenmal vorüberzieht,
Glänzt
wie das Bernsteintor der Hesperiden
Des
Abendgottes goldnes Augenlid.
zurück
Luna
Schon
hungert ihn nach Blut. In roter Tracht
Steht
er, ein Henker, vor der Wolken Block,
Und
einer Pfauenfeder blaue Tracht
Trägt
er am Dreispitz auf dem Nachtgelock.
Er
springt auf einen alten Kirchen-Turm
Und
ruft die Dohlen mit den Nacht-Schalmein.
Sie
springen auf den Gräbern unterm Sturm
Zu
seiner Flöte weißem Totenbein.
Und
das Gewürm, das einen Leib zerstört
Und
eine letzte Trauermesse hält,
Es
kriecht hervor, da es die Pfeife hört,
Die
wie ein Sterbeschrei im Dunkel bellt.
zurück
Die
gefangenen Tiere
Mit
schweren Fellen
behangen,
Mit
riesigen Hörnern dumpf
Kommen
sie langsam im
Dunkel
Gekrochen
auf zottigem
Rumpf.
Sie
reiben sich an den
Stäben,
Ihr
Auge ist wie Stein.
Und
dann kehren sie um und
tauchen
Wieder
in Schatten hinein.
Auf
einmal schreit es von
fern,
Gekreisch,
und lautes
Gebrüll,
Entsetzen
und riesiger
Schrecken.
Es
erstirbt und wird still.
Doch
vor den Ufern springen
Reiher
flackend und schwach,
Gespenstisch
mit mageren
Füßen
Unter
der Bäume Dach,
Wie
Gestorbene wollen
Ins
Haus der Lebendigen
ein.
Aber
alles ist zu, und sie
müssen
Weinen
im Sturm allein.
zurück
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