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Literatur


04.2



Gedichte - Georg Heym

Umbra Vitae
Nachgelassene Gedichte
1922


 

Die Irren


I
 
Papierne Kronen zieren sie. Sie tragen
Holzstöcke aufrecht auf den spitzen Knien
Wie Szepter. Ihre langen Hemden schlagen
Um ihren Bauch wie Königshermelin.
 
Ein Volk von Christussen, das leise schwebt
Wie große Schmetterlinge durch die Gänge,
Und das wie große Lilien rankt und klebt
Um ihres Käfigs schmerzliches Gestänge.
 
Der Abend tritt herein mit roten Sohlen,
Zwei Lichtern gleich entbrennt sein goldner Bart.
In dunklen Winkeln hocken sie verstohlen
Wie Kinder einst, in Dämmerung geschart.
 
Er leuchtet tief hinein in alle Ecken,
Aus allen Zellen grüßt ihn Lachen froh,
Wenn sie die roten, feisten Zungen blecken
Hinauf zu ihm aus ihres Lagers Stroh.
 
Dann kriechen sie wie Mäuse eng zusammen
Und schlafen unter leisem Singen ein.
Des fernen Abendrotes rote Flammen
Verglühen sanft auf ihrer Schläfen Pein.
 
Auf ihrem Schlummer kreist der blaue Mond,
Der wie einVogel durch die Säle fliegt.
Ihr Mund ist schmal, darauf ein Lächeln thront,
Das sich, wie Lotos weiß, im Schatten wiegt.
 
Bis leise Stimmen tief im Dunkel singen
Vor ihrer Herzen Purpur-Baldachin,
Und aus dem Äthermeer auf roten Schwingen
Träume, wie Sonnen groß, ihr Blut durchziehn.
 
II.
 
Der Tod zeigt seine weiße Leichenhaut
Vor ihrer Kerkerfenster Arsenal.
Das schwarze Dunkel schleicht in trübem Laut
Geborstner Flöten durch der Nächte Qual.
 
Und weiße Hände strecken sich und klingen
Aus langen Ärmeln in der Säle Tor.
Um ihre Häupter wehen schwarze Schwingen,
Rauchende Fackeln wie ein Trauerflor.
 
Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten,
Der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt.
Wie gelbe Schlangen auf verrufnen Stätten,
So wiegt ihr fahles Haupt, von Nacht bedeckt.
 
Ein Schrei. Ein Paukenschall. Ein wildes Brüllen,
Des Echo dumpf in dunkler Nacht verlischt.
Gespenster sitzen um sie her und knüllen
Den Hals wie Stroh. Ihr weißer Atem zischt.
 
Ihr Haar wird bleich, und feucht vor kaltem Grauen.
Sie fühlen Hammerschlag in ihrer Stirn,
Und große Nägel spitz in Geierklauen,
Die langsam treiben tief in ihr Gehirn.
 
III.
 
Variation
 
Ein Königreich. Provinzen roter Wiesen.
Ein Wärter, eine Peitsche, eine Kette.
So klappern wir in Nessel, Dorn und Klette
Durch wilder Himmel schreckliche Devisen,
 
Die uns bedrohn mit den gezackten Flammen,
Mit großer Hieroglyphen roter Schrift.
Und unsrer Schlangenadern blaues Gift
Zieht krampfhaft sich in unserm Kopf zusammen.
 
Daß tausend Disteln unsere Beine schlagen,
Daß manchen Regenwürmchens Köpfchen knackt
Zu unseres wilden Volks Bacchanten-Takt,
Wir hören’s ferne nur in unsere Klagen
 
Ein gläsern leichter Fuß ward uns gegeben,
Und Scharlachflügel wächst aus unserm Rücken.
So tanzen wir zum Krach der Scherben-Stücken,
Durch lauter Unrat feierlich zu schweben.
 
Welch göttlich schönes Spiel. Ein Meer von Feuer.
Der ganze Himmel brennt. Wir sind allein,
Halbgötter wir. Und unser Haarig Bein
Springt nackt auf altem Steine im Gemäuer.
 
Verfallner Ort, versunken tief im Schutte,
Wo wie ein Königshaupt der Ginster schwankt,
Des goldner Arm nach unsern Knöcheln langt
Und lüstern fährt herauf in unsrer Kutte.
 
Wo eine alte Weide, dürr und stumm,
Mit Talismanen ihren Bauch behängt,
Vor unsrer Göttlichkeit die Arme senkt
Und uns beschielt mit Augen, weiß und krumm.
 
Aus ihrem Loch springt eine alte Maus,
Verrückt wie wir. Ein goldner Schnabel blinkt
Am Himmelsrand. Ein leises Lied erklingt,
Ein Schwan zieht in das Feuer uns voraus.
 
O süßer Sterbeton, den wir geschlürft.
Breitschwingig flattert er im goldnen West,
Wo hoher Pappeln zitterndes Geäst
Auf unsere Stirnen Gitterschatten wirft.
 
Die Sonne sinkt auf dunkelroter Bahn,
In einer Wetterwolke klemmt sie fest.
Macht schnell und reißt aus seinem schwarzen Nest
Mit Zangen aus den goldnen Wolken-Zahn.
 
Hui. Er ist fort. Der dunkle Himmel sinkt
Voll Zorn herab in einen schwarzen Teich,
Des Abgrund droht, mit fahlen Wolken bleich,
Unheimlich, eine Nacht, die Unheil bringt.
 
Und eine Leiche wohnt im tiefen Grund,
Um die ein Aale-Volk geschmeidig hüpft.
Uralt, ein Fisch, der ein zum Ohre schlüpft
Und wieder ausfährt aus dem offnen Mund.
 
Ein Unke ruft. Ein blauer Wiedehopf
Meckert wie eine Ziege in dem Sumpf. –
Was werden eure Stirnen klein und dumpf,
Was sträubt sich euch der graue Narrenschopf?
 
Ihr wollet Fürsten sein? Ich sehe Bestien nur,
Die weit die Nacht erschrecken mit Gebell.
Was flieht ihr mich? Die Arme flattern schnell,
Wie Gänse an dem Messer der Tortur.
 
Ich bin allein im stummen Wetterland,
Ich, der Jerusalem vom Kreuz geschaut,
Jesus dereinst. Der nun den Brotranft kaut,
Den er im Staub verlorner Winkel fand.

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Die Somnambulen

Schon braust die Mitternacht. Mit langem Haar
In weiße Tücher feierlich gehüllt
Zieht schwankend auf der Somnambulen Schar,
Wie Rauch so weiß, der weit den Himmel füllt.
 
Aus allen Dächern steigen sie herauf,
Irrlichtern gleich auf einem schwarzen Sumpf.
Sie tanzen auf der Wetterfahnen Knauf,
Mit irren Lächelns fröhlichem Triumph.
 
Sie schlagen Zimbeln in der leichten Hand
Und irren singend in der grünen Luft.
Vor ihren Brüsten zittert ihr Gewand,
Die wild den Mond berauschen, süß, voll Duft.
 
Sie kitzeln ihn mit ihren zarten Händen
Und zwicken leicht ihn in das gelbe Ohr.
Sie wiegen sich in ihren magern Lenden
Im Tanzschritt hin, ein weißer Trauerchor.
 
Sie fliegen durch die Nacht wie Wolken leise
Hoch über spitzer Berge blauem Grat
Hinauf zu ihm auf ihrer leichten Reise
Zu einem Wiegenlied an Abgrunds Pfad.
 
Der Mond umfängt sie sanft mit Spinnenarm.
Ihr Haupt wird von dem Kusse weiß gemalt.
Sie ruhn an ihres Bräutigams Herzen warm,
Der tief durch ihre dünne Rippe strahlt.

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Die Stadt

Im Dunkel ist die Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.
 
Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von dumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt.
 
Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.
 
Und Schein und Feuer, Fackel rot und Brand,
Die drohen im Weiten mit gezückter Hand
Und scheinen hoch von toter Wolkenwand.

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Halber Schlaf

Die Finsternis raschelt wie ein Gewand,
Die Bäume torkeln am Himmelsrand.
 
Rette dich in das Herz der Nacht,
Grabe dich schnell in das Dunkele ein,
Wie in Waben. Mache dich klein,
Steige aus deinem Bette.
 
Etwas will über die Brücken,
Er scharret mit Hufen krumm,
 
Die Sterne erschraken so weiß.
Und der Mond wie ein Greis
Watschelt oben herum
Mit dem höckrigen Rücken.

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Fröhlichkeit

Es rauscht und saust von großen Karussellen
Wie Sonnen flammend in den Nachmittagen.
Und tausend Leute sehen mit Behagen,
Wie sich Kamele drehn und Rosse schnelle,
 
Die weißen Schwäne und die Elefanzen,
Und einer hebt vor Freude schon das Bein
Und grunzt im schwarzen Bauche wie ein Schwein,
Und alle Tiere fangen an zu tanzen.
 
Doch nebenan, im Himmelslicht, dem hellen,
Gehen die Maurer rund, wie Läuse klein,
Hoch ums Gerüst, ein feuriger Verein,
Und schlagen Takt mit ihren Mauerkellen.

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Kata

Ein roter Donner. Und die Sonne tost,
Ein Purpurdrachen. Sein gezackter Schwanz
Peitscht hoch herauf der weiten Himmel Glanz,
Der Eichen Horizont, drin Flamme glost.
 
Der großen Babel weiße Marmorwand
Und riesiger Pagoden goldnen Stein
Zerschmettert fast der ungeheure Schein,
Mit lauten Beilen eine Feuerhand.
 
Musik. Musik. Ein göttlicher Choral.
Das offne Maul der Sonne stimmt ihn an,
Das Echo dröhnt vom weiten Himmelssaal.
 
Und ruft hervor der dunklen Nacht Tyrann,
Den Mond, Tetrarchen, der im Wolkental
Schon seltsam lenkt das fahle Viergespann.

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