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Literatur


04.2

Gedichte - Mia Holm


Sterben

Trüb ihr Blick, der strahlenhelle,
Ihre Pulse gehen schwer,
eine klare Lebenswelle,
Rollt sie sacht ins Todesmeer.

Im voraus in bangen Schlägen
Eilt mein Herz mit wildem Weh,
Ohne Rauschen, ohne Regen
Liegt die eis’ge Todessee.

Ihre fürchterliche Stille
Lastet hart und schwer wie Blei,
Jeder Wunsch und jeder Wille,
Alles Fühlen hier vorbei.

Rastet hier die Lebenswelle
Sonder Lust und sonder Leid,
Oder ist dies nur die Schwelle
Der lebend’gen Ewigkeit?

Ihre süßen Blicke dunkeln
Und ihr liebes Auge bricht.
Ewigkeit, ich seh dich funkeln,
Strahlend in nie geahntem Licht!

Einem Manne

Ich fühle schweres, bittres Weh,
Da ich dir tief ins Auge seh,
In deinem Auge steht geschrieben,
Was dich so rastlos umgetrieben.

Erloschen deiner Augen Licht,
Entstellt dein schönes Angesicht,
Erblichen, vor der Zeit ermattet,
Von Scham und Reue überschattet.

O meide, was die Kraft zerbricht.
Das Hohe suche, such das Licht!
Trink lautern Trank aus reinen Schalen,
Dann wird dein Auge wieder strahlen.


Wahrheit

Es hastet nach Lust, es ringt um Genuss,
Um Liebesfreuden die Menge,
Nur dich allein, dich seh ich nicht
Im fröhlichen Kampfgedränge.

„Ich jage nicht mehr nach täuschendem Glück,
Ich suche Stille und Klarheit,
Mich reizt ein einz’ges Angesicht,
Das strenge Gesicht der Wahrheit.“



Totenklage

Das war der Tod, mit scharfem Schnitte
Hat er dich jäh von mir getrennt.
O wäre unter jene Sitte,
Die mit dem Mann das Weib verbrennt!

Mich graut, dich in den Sarg zu stecken
Und in der Erde dunklen Schoß,
Ich weiß, du willst die Glieder strecken
Auch noch im Tode fessellos.

Du glaubtest nicht an Höll und Sünden,
Du warst wie Feuer heiß und rein,
Könnt ich den Holzstoß dir entzünden
Und auch im Tode bei dir sein!







oben


Textgrundlage: Holm Verse - Verse von Mia Holm,
Verlag von Albert Langen, Paris, Leipzig, München 1900,
 Druck von Hesse und Becker in Leipzig –
Library of Princeton University – digitized by google

Logo 219: Don Juans Begebnung mit dem Steinernen Gast,
1906, Max Slevogt (1868-1932),
Standort: Museum zu Berlin, ale Nationalgalerie, gemeinfrei
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