lifedays-seite

moment in time



 
Literatur


04.2

Gedichte - Mia Holm


Tote Sinne

Kam der erste Schmerz des Lebens,
Lenzgewaltig, voll Sehnen,
Nahm mir Frohsinn, Ruhe, Lächeln,
Gab mir nichts als heiße Tränen.

Kam der zweite Schmerz des Lebens,
Sank gewalt’ger auf mich nieder,
Nahm mir Sehnen, Glut und Tränen,
Gab mir all mein Lächeln wieder.

Kalt mein Herz wie Eisesscholle
Und mein Lächeln Wintersonne,
Ohne Tiefe mein Entzücken,
Ohne Liebe meine Wonne.

Schicksalsmächte, kommt wie Blitze!
Schlagt in meine toten Sinne,
Dass vom Auge brennend wieder
Eine einz’ge Träne rinne.


Gespenster

Draußen lockt der Sonne Schimmer,
Lockt mich nimmermehr hinaus,
Voll von Geistern dieses Zimmer
Und voll Spuk das ganze Haus.

An der Decke und am Fenster,
Über mir und um mich her
Flattern liebliche Gespenster,
Machen mir die Seele schwer.

Und sie lächeln und sie grüßen,
Flüstern von Vergangenheit.
Geister sind es deiner süßen,
Längst gestorbnen Zärtlichkeit.


Einst und jetzt

Wie eine losgerissne Ranke
Erlag ich deiner Sturmeskraft,
Verfiel wie eine schwache Planke
Den Wellen deiner Leidenschaft.

Jetzt aber rag ich, eine Eiche,
An der dein Stürmen machtlos bricht,
Und, eine Felsenklippe, weiche
Ich deinem Wogendrange nicht.


Unterschied

Lichter Tau die hellen Tränen,
Die mein holder Knabe weint,
Schnell getrocknet, wann die warme
Sommersonne wieder scheint.

Aber mir die Regentropfen
In die herbstlich öde Welt,
Über Nacht zu Eis gefrierend,
Trän um Träne niederfällt.






oben

____________________________
Textgrundlage: "Holm Verse" - Verse von Mia Holm,
Verlag von Albert Langen, Paris, Leipzig, München 1900,
 Druck von Hesse und Becker in Leipzig –
Library of Princeton University –

digitized by google

Logo 363:  "Weiße Frau" Gespenster.de
   lifedays-seite - moment in time