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Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

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Einöde
 
Wie  klar und sonnenübergossen ist der Winter-
tag! Aus den Baumästen nickt der Glitzerreif und
liegt wie ein stets bewegter Schleier im Lichte tanzend,
funkelnd auf Hecken und Sträuchern. Im Wandern
springen die blitzenden Funken neben mir her. Am
Wegrand, weiter drüben auf der großen Wiesenfläche,
und wieder dicht bei mir. Ein Hüpfen und Drehen
und Gleißen  —  — so scheint mir’s. — Dann wieder
Bäume.
     Waldbäume, gemessen an mir vorüberziehend.
     Feine Birken mit bepuderten Zweigen, Fichten,
dunkel und mit weißlichem Nebel umwoben, breitästige
Buchen, geduldig tragend.
     Und Schnee überall!
     Weiß der Weg, weiß die Wiesen, die weiße Lich-
tung ganz mit tanzenden Krystallen und sieghaftem
Sonnenlicht erfüllt  —  —
     Mächtige, weißblitzende Eisquader türmen sich
drüben am Flusse auf  — wie er stöhnt und knirscht!
Die Hacke der Arbeiter dringt ihm tief in den Leib,
— ein Riß, ein Vibrieren, eine klaffende Wunde, zuletzt
dumpfes Krachen, — leise, mutlos schleicht das Wasser.
Und das Weidengestrüpp zieht sich wie eine morsche,
durchlöcherte Mauer am Ufer hin, es schützt und deckt,
bis die Wunde vernarbt ist.
     Nun wieder Bäume im Schnee, Schnee neben
mir, vor mir, überall  — kein Ende. Droben in der
strahlenden Himmelsbläue hängt rein und groß die
Sonne.
—      —     —     —     —     —     —     —     —     —     —    
     Es wird Abend. Im Westen hat sich eine dicht-
braune Wolkenschicht gelagert, sie wächst und droht.
Über sie weg fällt das letzte glühende Sonnenlicht
durch die Stämme; Wand und Sonne nähern sich.
Werden die Nebel dichter? Strecken sie sich höher
dem flammenden Lichte zu? Wird die Sonne nicht
riesengroß?
—    —    —    —    —    —    —    —    —    —    —    —
     Neben mir steigt bläulicher Rauch über die Baum-
kronen, durch das Unterholz blitzt eine Flamme.
     Es ist, wie wenn die Glut, die dort am Himmel
immer mächtiger zu brennen beginnt, hier gezündet
hätte  —  —
     Klein, stetig wachsend und hoch auflodernd leckt
das Feuer in dem Reisig, das die Holzfäller auf dem
kahlen Platze aufgeschichtet haben. Noch immer hallt
ihr Beil durch den stillen Wald und erweitert die Öde
inmitten des herrlichen Parkes.
     Sie stürzen, die starken Stämme und die Erde
zittert unter ihrem Fall. Die alte Erde! — Sie darf
hier nicht mehr ihre schlanken Söhne nähren, Gras
muß sie zeugen, Gras und Heu. —  — Noch haben
sich die ästigen Arme fest in ihren Leib vergraben,
die Flämmchen lecken scheu daran, kriechen weiter und
umzügeln den wunden Strunk.
     Wachsend  — sinkend. —
     Klein, erdrückt unter Qualm und Rauch, sich
aufbäumend, daß ihr Atem über den Wipfeln fortzieht,
halb erloschen versinkt sie unter Zischen im Schnee.
     Die Flamme.
     Wie wenn sie sich vor der Herrscherin dort oben
über dem Nebelbrodem beugte,  mit ihr ränge und
unterläge. —  —
     Aus dem scharfen Strich, den die Ebene am
Horizont zieht, hervorquellend, wachsen die Abend-
dünste. Dichter, dunkler, höher.
     Aber hinter der Wand glüht das verheißende,
gewaltige Sonnenlicht und drückt ihr die Grenze mit
breitem goldroten Saum auf. — Kein Untergang.
Eine triumphierende Verheißung des strahlenden Wieder-
kommens!
     Die Sonne.
     Mit ein paar Goldblitzen überzieht sie noch den
schüchternblauen Himmel im Osten. Ein Auge hat er
halb dem Tage geschlossen, mit dem andern blinzelt
er schläfrig der Nacht zu. Der Mond hängt zag,
flach und fahl an dem erblassenden Himmel über dem
Nadelgehölz.
     Von der kleinen Kirche von Unterföhring stehlen
sich Glockentöne über den Fluß herüber. Die Däm-
merung kriecht um die Häuser und Hütten. —
     Im Forsthaus ist es heimlich und still. Das
Holz kracht im Ofen und die Wärme schleicht an den
Wänden hin.
     Ein Geruch von Wachholderbeeren breit und be-
häbig kommt von der Ofenplatte her. Die Bratäpfel
zischen und plaudern.
     Geschlossene Läden, die qualmende Hänglampe,
an den rußgeschwärzten Wänden die Geweihe, leises
Klirren in der Küche und Schenke. — Alles wie sonst. —
     Kennst du das Haus? —
     Du kennst es, hellweiß und scharf durch die Früh-
jahrszweige schauend. Bethaute Rosen und Nelken im
Garten am Frühsommermorgen  — mit der Meute
der Städter unter seinen Bäumen  — und in der
weichzerfließenden Farbenpracht der Herbstmorgen,
wie im heimlichen Licht der Nebelwände, die es um-
ringen. Du kennst es mit rufenden Regentropfen an
den Scheiben, mit dürren Ästen, die sich vor dem
Fenster beugen, und dem ersten Feuer mit seinem
heimlichen Geknister.
     Dies kleine Nebenzimmer mit den alten Bildern
kennst du, die dämmerige Ecke, wo wir l’oeuvre lasen;
wo Bennecourt, seine grünen Wiesen, sein heller Bach,
seine Bäume, mit unsern Wiesen, unserm Bach, unsern
Bäumen eins wurde.
Den Park, unser Reich, unser pleine-air, unser
Licht — die Einöde!  — Die Einöde fernab von der
Stadt, kein Laut, kein Parfum, kein Licht, kein Hände-
druck, der an sie erinnerte! Vergessen Alles, was dort
war, vergessen Alle, die mich so gut verstanden und
nie verstanden  —  —
     Die Einöde!
     Ich sitze an demselben Tische, deine Stimme tönt
mir im Ohr und ist es nicht der Geruch deiner Ciga-
rette? Dieselbe Ecke, derselbe Dackel, der im Schlaf
knurrt. Im Nebenzimmer die alten Bauern mit ihren
Bierkrügen, sind es nicht dieselben? — Sie reden
nichts. Ihre Rücken gegen die Ofenkacheln stemmend,
paffen sie aus bunten Porzellanpfeifen und nicken ein-
ander zu.
     Der Mondschein stiehlt sich durch eine Ritze des
Ladens und läuft quer über meinen Tisch. — Ferneres
und näheres Klingeln, das bald wieder erstirbt  — ein
Schlitten jagt draußen vorbei. Ruhe  —  —
     Meine Einöde, verloren im Schnee.
     Ein Ton aus der Stadt! —
     Draußen im Flur scharren und kratzen schnee-
gewanderte Füße.
     Das Haus erwacht.
     Thüren öffnen sich. Dicke Backen, rot vom Herd-
feuer, und neugierige Augen.
     Der Briefträger.
     Ausgetreckte Hände, raschelnde Zeitungen, ein
Glas Schnaps für den Boten, ein paar Scherzworte.
Die Bauern mit der Pfeife aus dem Mund und der
schwarze mißtrauische Hund, die fremden Beine be-
schnuppernd. Dann schließen sich die Thüren, der
Dackel seufzt im Schlaf und das Haus sinkt wieder
in das dämmerige Halbdunkel, in denselben schläfrigen
Frieden zurück.
—     —     —     —     —     —     —     —     —     —     —
Über dem Försterhause und den Waldbäumen aber
liegt der ruhige Glanz einer Mondnacht. Breit und
leise gleitet der enteiste Fluß dahin. Sein Atem liegt
als dicke, graue Wolke über ihm.
     Wie wenn die müde, schlafende Erde sich gedehnt
hätte, so groß, so unendlich groß liegt sie im Mond-
licht vor mir.
     Kein Menschenhaus.
     Alle Lichter sind verlöscht.
     Aber droben am Nachthimmel flirren und gleißen
die Sternenlichter. Mehr, immer weiter, in unbegrif-
fenen Fernen. — Sie winken, sie winken! — Grüßt
mich Einer von dort oben? —


 
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