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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Nachwort
aus: Die Abschiedshand
__________
Nachwort
Oskar
Loerke wurde am 13. März 1884 in Jungen, einem Dorf im ehemaligen
Westpreußen,
geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Graudenz studierte er an der
Berliner Universität einige Semester Philosophie, Germanistik und
Musik.
Nach
der ersten Buchveröffentlichung, der Erzählung Vieta, brach er 1907 das
Studium
ab.
«Seither»,
so heißt es in einer unveröffentlichten Lebensskizze, «wurde ich im
Hauptberuf
Schriftsteller. 1913 erhielt ich für meine, bis dahin entstandenen
Erzählungen
und Gedichte den Kleistpreis, zu welchem auch eine vom Norddeutschen
Lloyd
gestiftete Reise gehörte. Ich nahm einen längeren Aufenthalt am
Nordrande der
Sahara und in Süditalien.»
Während
des ersten Weltkriegs übernahm er den Posten eines Lektors in dem alten
S.
Fischer Verlag, ein Amt, das er bis zu seinem Tode ausgeübt hat.
Ende
der zwanziger Jahre übersiedelte er nach Frohnau, einem Vorort Berlins,
in ein
neuerbautes Haus, das er mit seiner Lebensgefährtin Clara Westphal und
einem
gemeinsamen alten Freund bezog.
Dort
ist er am 24. Februar 1941
gestorben.
Im
Laufe von fünfundzwanzig Jahren sind von Oskar Loerke sieben
Gedichtbücher
erschienen – «Begonnen in der lieben Welt / Vollendet in der Hölle»,
wie er es
bei ihrem Abschluß formuliert hat. Es sind: Wanderschaft1911, Gedichte
1916 (in der Neuauflage von 1929
unter dem Titel Pansmusik), Die heimliche
Stadt 1921, Der längste Tag 1926, Atem
der Erde 1930, Der
Silberdistelwald 1934, Der Wald der Welt 1936. Der
vorliegende
achte Band Die Abschiedshand, der den
lyrischen Nachlaß der letzte Lebensjahre enthält, schließt Loerkes
Gedichtwerk
ab. Wer aber kennt es?
Eher
ist sein Name durch essayistische Arbeiten in der Neuen
Rundschau im Ohr geblieben, die 1925 gesammelten Aufsätze Zeitgenossen aus vielen Zeiten und die
Charakterbilder von Stifter, Jean Paul, Rückert, Herder, Goethe unter
dem Titel Hausfreunde von 1939, durch die
Schriften über Johann Sebastian Bach: Das
unsichtbare Reich 1935 und über Anton Bruckner 1938.
Wohl
hat es nicht an Stimmen gefehlt, die Loerkes Gedichtwerk die gleiche
Bedeutung
im deutschen Schrifttum zumessen, wie sie George oder Rilke zuteil
ward, aber
die Wirksamkeit der Loerkeschen Bildersprache, der unmittelbare Vollzug
unserer
Seinsgestaltung in seiner Lyrik hat sich nur wenigen erschlossen. Das
ist nicht
einmal überraschend, wenn man bedenkt, daß die meisten Leser gern in
Gedichte
etwas hineinhören, hineinphantasieren, statt sich ohne Vorurteil dem
dichterisch geprägten Wort zu überlassen. Die Loerkesche Prägung, die
Weltbezogenes bildhaft wiedergibt, hat zuweilen für den ersten Blick
etwas
Sprödes und in seiner einmaligen Genauigkeit etwas Befremdendes. Wer
aber
unabgelenkt hinschaut, wird verstehen lernen, daß seine Gleichnisse
stets eine
Aussage des Wirklichen bedeuten.
Wer
nun mit Loerkes früheren Gedichten vertraut ist, wird bei den Versen
aus dem
Nachlaß erkennen, daß die Sprache der Bilder einfacher und das
poetische
Element gegenständlicher geworden ist. Er mag mit einiger Bestürzung
feststellen, wie sich der Dichter der Pansmusik
zum politischen Richter einer Zeitepoche entwickelt hat, deren Unheil
ihm vom
ersten Augenblick an bewußt war. Er schrieb die Verse, „weil sein
Gewissen
schrie“. Viele hätten vor 1945 nicht veröffentlicht werden können.
Über
die Einwirkung der Zeit auf den Charakter dieses lyrischen
Vermächtnisses, über
die ausgesetzte Position des Dichters in den Jahren seit 1933, die
«Abwehrzeit»,
kurz: über Loerkes Gesamterscheinung werde ich zu gegebener Zeit an
Hand seiner
Tagebuchaufzeichnungen und meiner persönlichen Erinnerungen noch im
einzelnen
Rechenschaft ablegen.
Für
die Auswahl des lyrischen Nachlasses wurde nach Loerkes letzten
Wünschen Rudolf
Bach, Hans Hennecke und Wilhelm Lehmann herangezogen, Freunde, seit
langem mit
seiner Dichtung vertraut. Für ihre Hilfe bei der vorbereitenden Arbeit,
die wir
schon bald nach Loerkes Tod durchführten, bin ich ebenso dankbar wie
dafür, aß
sie die Verantwortung für die nahezu vollständige Aufnahme der Gedichte
aus dem
Nachlaß mitübernahmen. Da jedes der sieben früheren Gedichtbücher nach
einem
bezeichnenden Gedicht benannt ist, wurde auch entsprechend für den
Titel des
Nachlaßbandes verfahren.
Das
Gedicht Die Abschiedshand entstand im
Herbst 1940, nach einem schweren Anfall von Angina pectoris, in der
Berliner
Landhausklinik und trägt den Vermerk: «Nach Todesschrecken».
Die
Einteilung in vier Gruppen bot sich von selber an. Von den beiden
Zyklen Der Steinpfad aus dem Jahre 1938 und Kärtner Sommer 1939 hatte Victor Otto
Stomps noch zu Lebzeiten Loerkes je einen Sonderdruck in wenigen
Stücken
veranstaltet. Der fiktive Brief über die kompositorische Ordnung der
Steinpfad-Dichtung, die ihren Ursprung in Loerkes Frohnauer Garten hat,
bisher
ungedruckt, mag zum Verständnis beitragen. Die dritte Abteilung
vereinigt
Widmungsverse und Lebenssprüche zu bestimmten Gelegenheiten.
Der
letzte Teil enthält etwa fünfzig der im Juni und Juli 1940 in Bad
Altheide im
Glatzer Bergland entstandenen Gedichte, wo Loerke zur Kur weilte; ihnen
wurde
etwa zwanzig aus den Vorjahren und den letzten Monaten zugeordnet.
Loerkes
letztes Gedicht Die Schuhe, ein
Gelegenheitsgruß für die Sängerin Helene Grell, ist am 21. Februar
1941, drei
Tage vor seinem Tode, geschrieben.
Auf
seinem Grab im Friedhof von Frohnau hält «nichts die Wacht, kein Stein,
kein
Erz. » Das zeitlose Vermächtnis seiner Gedichte, viele Jahre treulich
bewahrt,
wird hiermit der Nachwelt übergeben.
Juni
1949
Hermann
Kasack
oben
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