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Literatur


04.2


Gedichte
Oskar Loerke

Der Gast von Altheide
aus: Die Abschiedshand

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Altes Gemäuer

Ein Mauerwerk zerbröckelt in das Schweigen,
Worein die Fugengräser sinken, steigen:
Das Mittelalter in ihm rührt sich nicht,
Das Altertum in ihm, es spürt sich nicht.

Die Ritzengräser heben sich und sinken,
Wenn Windeskrüppel durch die Stille hinken.
Die gehen vorbei, sie haben keine Stecken,
Die Jugend im Gemäuer aufzuwecken.

Vielleicht, daß wir sein Einst uns nur erdachten
Und Treppen in den Zeitenspuk uns machten.
Vielleicht, daß Gott uns Zeitenträume gönnte,
Doch Welt nicht ist, was je erwachen könnte.

Denn alles ist schon wach, was um uns her ist,
Was rispenleicht und backsteinmauerschwer ist,
Die Arche des Vergangnen, das wir schufen
Bei Tag, bei Nacht,
Die Zukunftsfracht
Auf Wolkenschlitten ohne Kufen.


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Begnadete

Die in ihr eignes Leben eingehn dürfen,
Die müssen nach dem Lebenssinn nicht graben,
Die müssen flach nur schürfen, wenig schlürfen,
Um in der Hand, auf Lippen ihn zu haben.

Wenn sie zuletzt, da Scheel- und Ichsucht schweigen,
Sich nicht am Tor zu andern Welten melden,
Nur tief sich vor der großen Nacht verneigen,
So sind sie Helden über viele Helden.


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Windes Spiel

Du sahst im Wildweinturme
Am Stamme, regenglatt,
Wie, furchtlos vor dem Sturme,
Für sich blieb jedes Blatt.

Und Raum nach der Legende
Zehntausend Engeln bot.
Der Sommer ist zu Ende,
Das Laubwerk wurde rot.

In Purpurtrichtern fliegen
Die Blätter, welk, gedorrt,
Die Engelscharen stiegen,
Nach Haus zu wehn, von Bord.

Dein Fuß scharrt in Gerippen,
In Lappen, erdig fahl,
Auf zugepreßten Lippen
Verscholl der Spätchoral.

Ich weiß, was es bedeute.
Manchmal fast nichts, nicht viel.
Und es bedeutet heute
Ein schwermuttiefes Spiel.

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Der verspätete Gruß

Wie soll ich danken, wie vergelten,
Da mir so wenig Erdengut verblieb?
Wen in den Wolken darf ich schelten,
Daß er vielleicht mir nachschlich wie ein Dieb?

Ich weiß ja nicht: was hat mir zugestanden,
Der sich an seinen frohen Freunden maß?
Ich weiß ja nicht: kam etwas mir abhanden,
Da Gott doch keinen Schmutz am Stein verstieß?

Und gab er diesem nicht ein Herz, um ihn zu preisen,
Und jenem einen Backenstreich?
Es wäre sonst an Glück- und Schmerzensweisen
Die Erde ja weit minder reich!

Nun, mir war es bestimmt zu leiden,
Im Haupte eine Melodie.
Das Lied wird keines Kerfes Bahn entscheiden,
Nur manchen, der sie hört erschüttert sie.

Wie soll ich danken, wie vergelten?
Geduld spielt mit im Ringelreihn Geduld.
Zehntausend fallen stündlich in den Welten,
Und sie sind alle ohne Schuld.

So läßt Du gütig meine Frist verstreichen.
Mein Reden geht wie müde Seemannsvolk von Bord.
Jedoch Dein Ohr versteht sich gut auf Zeichen
Und hört sie klar in meinem rauhen Wort.

Du siehst Gebärden an mir, die nicht lügen,
Sind sie auch schmerzgehemmt und nie geübt.
Den Dank, ob meine Augen ihn wohl fügen?
Sie sind so erdefern und erdgetrübt.


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Gedenkzeit

Auf meinem Grabe halte nichts die Wacht,
Kein Stein, kein Erz. Die zählen falsche Stunden.
Denn ehern, steinern hab ich nie gedacht.
Was ich empfand wie Hauch, ist ausempfunden.

Von einer bitteren Orangenschale
Ein wenig auf die Fingerkuppen reiben,
Man mags, mein eingedenk.
Wie man mich rief, kann man zu einem andern Male
Verlöschlich auf die Schiefertafel schreiben:
Für mich ein kleines Weihgeschenk.

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