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Literatur


04.2



Gedichte

Oskar Loerke
Die heimliche Stadt
Berlin 1921

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Gruß der Fernen


Ferne
 
1
 
Durch die Fenster, aus den Büchern,
In der Sehnsucht, im Gewissen:
Ferne! – Mit den Träumen taucht sie
Beim Erwachen in die Kissen.
Ferne!
 
2
 
Wie mit Fabelpergamenten
Rauscht die Welt mit ihren Wettern.
Flocken stieben aus den Seiten:
Tanz der abgerißnen Lettern.
 
Hier im Eise grünen südlich
Nie gepflanzte alte Pinien.
Und ein Bett für Indiens Ströme
Werden in der Hand die Linien.
  

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Die Wirklichkeit des Traumes

Die Berge sind in deinem Schlafe versammelt,
Geliebte Träumerin: die Grünpyramiden
Von gelber Hitze süß, voll Honiggewittern,
Voll Rindern rot wie Lack, voll schwatzender
  Glocken;
 
In schwarzer Bachflut unter Filzwerk der Tannen
Glühn Fische auf wie Wasserflammen der
  Märchen,
Voran mir schwebend, der am Ufer beflügelt
Aus deiner Seele Grund entgegen dir schreitet.
 

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Der Traum der Wirklichkeit

So sind im Träume dir die Berge versammelt.
An ihrer Statt ragt draußen hohl nur  ihr
  Schatten.
Es raucht wie Wald am Umriß gläserner Felsen.
Die Wipfel breiten sich wie Wurzeln zu Monde,
Die Wurzeln klingen erdelos wie im Winde.
Die Luft ist milchig trüb von süßlicher Feuchte,
Und ich auch wehe hin, gestalteter Nebel –
Schon hebt sich das Gebirg wie Schwaden des
  Meilers.

 
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Doppelte Mittagszeit

Gewaltig geht ein lichtes Dünen,
Doch Wolle und Wald steht unzerdroschen.
Die Sterne fangen an zu grünen,
Die auf dem Mittagsjoch erloschen.
 
Die Sonne kann es nicht verhüten,
Die Nacht bringt Asphodelenblüten,
Wie ein befremdendes Besinnen
Neigt sie sich vor von ihren Zinnen.
 
Der Mittag ist fernhin verschlagen
Von Wogen, die unspürbar tragen.
Wir sehn ihn glühend wie nach Jahren
Ein Wolkenbild in Wassern fahren.
 
Zwar unverwandelt ist die Weite;
Doch wie ihr eignes Grabgeleite,
Das Hornchoral ins Jenseits bringe,
Begeben still sich ihre Dinge.
 
Dem Sonnenregen folgen Schnecken,
Die Apfelgärten lasten tiefer,
In brauner Ebne brennen Quecken,
Die Kinder griffeln in den Schiefer.
 
Die Halme pressen durch die Stollen
Den Most und letzten Geist der Knollen,
Die Hähne schütteln ihre Kämme,
Die Fische fluten an die Dämme.
 
Am Strom die nassen Weiden bluten,
Die Schollen scheinen zu verkohlen,
Zum Zaun am Wege kommen die Stuten
Mit ihren großgeäugten Fohlen.
 
Schon ist es Abend, Nacht geworden,
Du spiegelst dich von Urmeerborden.
O, siedelten die stillen Dinge
Nicht wie auf schneller Adlerschwinge!

 
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Revolutionär mit Spiegel

Eine Palme, rauschgewässert,
Wuchs mit roten Fahnenfloren
Über euch, die langen Wedel
Reichen bis auf eure Ohren.
 
Da ich barhaupt in der Menge
Rage, während Schüsse schrecken,
Und nicht brülle wie die Andern
Auf den Rampen, an den Ecken,
 
Da ich schweige wie mein Spiegel,
Schlagt ihr mich und wollt euch prügeln:
Hände flattern, Zungen rauschen
Wirr wie Schaum auf Wasserhügeln.
 
Eine Palme, rauschgewässert
Wuchs mit roten Fahnenfloren,
Ihre heißen Blätter wehen
Von den Dächern euch zu Ohren.
 
Was sie euch von Sonnenländern
Purpurn in die Ohren zischen,
Wollt ihr hören, wollt ihr singen,
Denn ihr sollt die Welt erfrischen.
 
Doch ihr werdet schnell ermüden,
Wiederkäuend eure Qualen.
Ich vernahm, so Wiederkäuen
Tabaksqualm die Kamtschadalen.
 
Darum solltet ihr im Spiegel
Wie im Paradiese schweigen,
Und er sollte euch Verklärte,
Aber keine Schelme zeigen.
 
Eure Köpfe hat der Spiegel
Einen Augenblick enthauptet –
Bleicher Henker von Venedig,
Den ihr einem Schwärmer raubtet.
 
Sehr, ihr wart gehäuft versammelt,
Grausam Kopf an Kopf im Glase,
Eure Augen flogen drängend
Wie die Vögel nach dem Aase.
 
Einen Augenblick rang jeder
Forschend, ob er nichts versäume,
Mit sich selber, und ihn schieden
Von den andern tiefe Räume.
 
Die ihr allzunah beisammen
Hausen müßt, ich sah nach innen
Euch genäherter, ich sah euch
Zwischen euch an Raum gewinnen.

   
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Nacht auf der südlichen Insel

Mag vor Sturm und Meeresrasen
Unsre Insel schütter sein,
Sitzen wir mit großen Nasen
Über stillem Felsenwein.
 
Im Gelärm ist nichts verloren,
Jedes Maultier ist zu Haus,
Ihrer großen klugen Ohren
Schlaf durchhallt das Meergebraus.
 
Wir bedenken, den wir wußten,
Des Zitronenmondes Lauf,
Glühend brechen wir Langusten
Ruhevollen Griffes auf.
 
Und es hat ein schönes Grauen
Halb den Tag vorweggenommen,
Grüne Wolkentreppen bauen
Schon der Sonne den Willkommen.



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