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Literatur


04.2



Gedichte - Oskar Loerke

Der längste Tag
Berlin 1926

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Aus: Zeit des Bösem

Gesang aus östlicher Ferne

Vom höchsten Gipfel dieser Welt beschienen,
Vernahm ich den Erwachten, der nicht lügt.
Urfehde sangen Tag und Nacht Lawinen,
In diesen Frieden hab ich mich gefügt.
 
Brach je die kalte Flut auf dein Verlangen
In gelben Monden ihrer Rosen aus?
Es wächst das Eis, die Zeit hat angefangen,
Das wilde Bergschaf steigt im Schnee nach Haus.


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Großer Seele Gesang

Großer Seele Gesang stirbt den spätesten Tod,
Ein reiner, gerechter.
Vor ihm verfliegen sich der Raben »Krieg« und »Not«
Viele Geschlechter.
 
Er ist ihnen der Recke Namenlos
Und tut nicht ihre Taten.
Durch alle Sintflut ist der Schwimmerstoß
Dem Tagblinden, ihm, geraten.
 
Den bröckelnden Gebirgen überlegen
Ist er an Dauer,
Und aller Schmerzen endlich versiegendem Regen
An Trauer.


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Aus: Das Lager

Keilschriftzylinder

Auf braunen Tonzylindern winden sich die Zeilen
Weiser Schrift, im Feuer erprobt, im Ofen gebacken;
In Spiralen ein Gedränge von Keilen,
Die wie Schnäbel nach dem Weltsinn hacken.
 
Am Ende winden sie sich in das Leere
Auf unsichtbaren Wendeltreppen weiter.
Aus Tiefer und Höher trifft an jeder Kehre
Ein Reim sich auf der schiefen Himmelsleiter.
 
Das Berghorn schreibt sich ein aus Nebelbrauen,
Der Wildgansflug klatscht an mit offnen Fächern,
Und in die letzten Riesenreihen tauen
Die Demantkeile von den Himmelsdächern. –
 
Vergessen der Segen, den unten die Zeichen erbaten,
Der Schatten der Bäume zog viele Zirkel im Rasen.
Vergessen der Zauber, den die Zylinder geraten,
Das Heilkraut-Pulver in Apothekervasen.
 
Verfallen der Ofen, seine Ziegel zerbrochen,
Längst verzogen der Qualm seiner Scheiter.
Verwest die Schreiber, zerstaubt ihre Knochen –
Von selbst dichtet die Welt sich weiter.

 
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Dichter

Nichts andres ist geblichen als zuweilen
Ein selbstgefundner Klang nur armem Mann.
Der Riß in meinem Leben heilt daran,
Und manche Risse durch die Welten heilen.
 
Du große Sichel Wort! Du großer Rechen!
Mit Einem Stöhnen alle Schmerzen stöhnen
Samt ihren Ahnen, ihren späten Söhnen!
Mit Einem Worte alle Worte sprechen!

 
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Aus: Süden

Hinter dem Horizont

Mein Schiff fährt langsam, sein Alter ist groß,
Algen, Muscheln, Moos,
Der Kot des Meeres hat sich angesetzt.
Eine bunte Insel, fast steht es zuletzt.
 
Soll ich noch fahren ? Ich fahre nicht mehr.
Aber alle Dinge kommen,
Kontinente, frachtenschwer
Nun wie fremde Schiffe zu mir geschwommen.
 
Vorbei ist der Menschen feste Küste
Wie der Donner im Winter,
Übriggeblieben im Gewölke
Der prophetische Vogelflug.
 
Steigender, stürzender Völker beharrendes Bild!
Soviel Blut und soviel Leid!
Und alles, was da gilt,
Geschieht doch in der Einsamkeit
.

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Aus: Landschaft

Dunkler Engel

Dunkle Flügel? - Wipfeldrehn
Spielt auf dem freudig gelben Wein,
Auf kalten Kacheln schon trüber.
Draußen bei Rosen wird gemolken.
 
Rosen fallen den Augen ein,
Bald, so treten sie über.
Drückende Berge - wo nur? - gehn
Lautlos unter wie Wolken.


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Einschlafen in der Weltstadt

Wie Geist durch ein Harmonium wimmernd schleife,
Ein Würmchen ruhe auf der Schienen Schlange,
Der Kürbis zwischen breiten Blättern reife,
Ein Sandsteinchristus in den Himmel lange:
 
Das war der Bildernachtrab, war das Ende
Der Weltstadt, tropfend in das Unbekannte,
Süß wie die Tropfen Rosenöl, die Spende,
Womit der Bettler dankt in der Levante.


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Aus: Ararat

Ararat

Kommt, Freunde, mit mir! Freude schlägt die Klage,
Wenngleich die Sintflut neu die Welt verschlang.
Ich weiß: die Welt erzählt sich ihre Tage
Und zählt dabei auch manchen Untergang.
 
Nun Orgel schon und Kuppelhahn versandet
Im Schlamm, erwacht ein Gei.ster-Ararat.
Aus Strudelschwärze das Olivenblatt
Ist auf dem Demantrücken feucht gelandet.
 
Es liegt in deiner Hand gehöhltem Teller.
Die Wälder seines Ursprungs atmen schwer
In dir, sie atmen deine Hand dir leer —
Ein Tropfen Tau nur fällt herein, ein heller.
 
Jedoch das Wehn, das dir dein Blatt genommen,
Trosteinwärts hebt es dich auch fort vom Karst:
Der Ararat der Einsamkeit zerbarst,
Die süßen Täler haben ihn erklommen.
 
Im Dickicht hast du schon den Weg, die Schneise.
Die Welt um dich ist wie dein Herz so alt.
Sie glaubt es dir, glaubst du ihm die Gestalt.
Wie sonst bist du der Wandrer auf der Reise.
 
Dich überschwebt nach Afrika der Storch,
Du suchst den Heimatschnee, des Nordens Fichte.
In einer Stadt vom Orgelchore, horch!
Sebastian Bach singt: uns im Weltgerichte.


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