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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Silberdistelwald
Berlin 1934

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Garten

 
Die Laubwolke
 
Beständig ist das leicht Verletzliche.
 
Lange hing die grüne Wolke über der Erde,
Wohin ging sie?
Im neuen Frühling schwebt sie wieder an
Und erfüllt ihren Ort
Zwischen Grund und Höhe.
Vom Winde gesteuert,
Vom Regen gedrängt,
Vom Licht gehoben,
Kehrt sie immer zurück
Und bleibt so viele Jahre.
 
Jedesmal in den herbstlichen Lichtern
Klagts aus ihr: ich sinke, warum ich?
Und lauter mit dem Sinn von Dichtern:
Es stürzt mich, ja, warum nicht mich?
 
Wird es dann Winter –
Im Himmel kriecht gekrümmtes Gestäbe,
Den einmal gewachsenen Abstand nicht ändernd,
Eins des andern vielleicht nicht gewahr,
Doch beisammen in gleicher Spreizung.
 
Zwischen Grund und Höhe,
Von der Säge des Gärtners unzerrissen,
Von der Axt des Fällers nicht getroffen,
Bleibt das Gesetz:
Beständig ist das leicht Verletzlich.

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Himmel

Das leere Blau verlor die Erde.
 
Wo drückt mein hingestreckter Körper?
Was stützt noch meinen Rücken?
Wie noch tasten mich Raumlosen an
Härte des Rasens, gräserne Finger?
Woher die Verschollnen im Ungestalten:
Ameisen werken in der Sonne!
Nicht klein, nicht groß,
Nicht auf der Krume, nicht auf der Haut mir.
 
Plötzlich weiß ich: ich bin entführt
In das Vorletzte vor dem Letzten.
Die Liebe neigt sich aus dem Blauen,
Sie ist nur Auge, dessen Brennen
Die Schattenbilder der Dinge erschafft.
Das Letzte nach dem Vorletzten aber:
Die Schattenbilder leben, sie sterben.
 
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Die Nachtwachhütte

Steine, die harten grauen Boten,
Sind eben angekommen
Aus Tiefen
Zum Eingang meines Lebens.
Sie klopfen an die Füße wie mit Knöcheln,
Ertaubt vom weiten Wege,
Erblindet vom Feuer der Gründe—
Das hat sie vor langem gebrannt.
 
Dann ists, wie wenn ein Bote melde:
Draußen weit, von mondnem Raum umflossen,
Erbaut sich wieder im Gurkenfelde
Des Jesaja Nachtwachhütte.
Aus schwarzer Füllhornmuschel eine Schütte
Von Sternen ist um sie ergossen.
 
Die Muschel rauscht Gedanken früherer Leben.
Reihen von Wesen vergessener Paarung
Stimmen in die Offenbarung.
Hälse der Einhorne kleben
An ihrer Wand, und an der tieferen Windung ergrauen
Riesige Mückensegel, von Orkanen zerhauen,
Elfenbein schwärzt sich und Mammutknochen,
Von Gletschern verschwemmt, von Vulkanen zerbrochen.
 
Der Wächter steht im Türspalt der Hütte,
Es taut auf Gras und breitem Blatte.
Wann sammelt er Gurken in die Bütte?
Seine Flöte quer die Matte.
 
Er erntet Gesichte. Sternkugeln schmiegen
Sich hangend unter die Blätter.
Die Welten mit so viel Schwermut biegen
Kein Laub, und Jahve sengt mit seinem Wetter
Keiner Staude den Sommerflaum.
 
Ich sah, wie er sein Füllhorn weitertrug.
Ich will die Marktfrucht nicht, ich habe genug,
Findet meine Flöte sein Ohr.
Denn hat nicht seine ganze Schöpfung Raum
In ihrem engen Rohr?
Die Steine selbst, die an mein Zelt gekommen,
Sind in den Chortanz aufgenommen.

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Ende

So mag das Leben innen im Holze
Des eben gefällten Baumes
Erschrecken und aufstehn,
Geblendet zur Blendung
An seiner Grenze
Drücken und tasten:
Zur großen Wunde.
 
Noch zögert das Leben
Auf der runden Scheibe des Schnittes
Gegenüber dem Absturz
Des ungeheuren Himmels,
Gegenüber der eigenen
Irr gespiegelten Wunde:
Der Sonne des Westens.
 
Ein Schwindel faßt es,
Und es geht unter.
Doch im Erlöschen,
Mit neuen Organen,
Ahnt es läuten seinen Wandel,
Der ihm stumm war achtzig Jahre:
Nie hat es die Glocke des Donners vernommen,
Nie sich selbst gerauscht.
Nun will das beginnen
Ganz oben im Raume,
Wo es schon leer ist.
Noch spürt es sich fallen
Stämmig, doch hört es
Den Aufschlag nicht mehr
Und die Peitschung der Erde.

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Übergang

Ein Schmerz liegt starr und neben aller Welt
Wie Holzgeknorr, inwendig unerhellt.
 
Dann sammelt sich, ein schwärender Beginn,
Aus Ast- und Jahresringen ein Gerinn.
 
Es fließt, verbreitet sich wie zäher Lack,
Tritt harzig aus, schmeckt seinen Harschgeschmack —
 
Versiegelt mit dem Siegelwort Zuspät,
Liegt totes Holz ins Feld des Nichts gesät.
 
Doch alle grünen Brüder wurzeln da,
Aus Japan Zwerge, Riesen aus Amerika.

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Die beide Stimmen

Ein Abend-Zwiegespräch aus mir
Bewohnt über Tisch das Kiefernpaar,
Wie Schattentier bei Schattentier,
Gewühlt in junges Nadelhaar.
 
Die dunklere Stimme:
Wir schweben, Wind im Gegenwinde,
Und hängen in Gefahr.
 
Die hellere Stimme:
Die Augen glühn uns in kühler Binde
Und nehmen glücklich wahr.
 
Die dunklere Stimme:
Warum denn gehen die Elenden lahm
Von der behüteten Krippe?
Auf die Hungernden schießt man immer.
Warum denn beißen die zitternde Lippe
Die alt vergrämten Frauenzimmer?
Man ist den Klagenden gram.
 
Die hellere Stimme:
Weckend pocht es am Glockenhute
Und sammelnd vom Dominikanerstift.
Unschuldig wächst der Brennesselrute
Und Wolfsmilch am Hügel das Gift.
Der braune Hund schläft dir im Schoß,
Er jauchzt ein kurzes Gewimmer,
Er träumt, aus grünem Waldeskrimmer
Macht sich sein Spielball riesig los.
 
Die dunklere Stimme:
Sei auf der Hut! Brich auf bei Zeiten
Ins Harte!
Verlaß das wohnliche Menschenlicht!
Versteckt in den Schluchten der Einsamkeiten,
Warte!
Der Nächste findet dich nicht.
 
Die hellere Stimme:
Und reichst du manchmal ein Lächeln heraus
In das Barmen und Lärmen,
So bettelt es nicht: laßt mich ins Haus,
Ich will mich wären.
 
Die dunklere Stimme:
Die Jahre sind gekommen, da nicht gut ist
Zu klagen.
Bedrohlich klirrt ihr Schwert am Gurt,
Es ist die Zeit, da alles Flut ist,
Doch jede Flut hat ihre Furt,
Den Fuß dem Haupte nachzutragen.
 
Die hellere Stimme:
Und Gut und Böse sprießen derweilen
Und sind um dich die Wiese Gras:
In bös und gut nicht mehr zu teilen,
Taun morgen alle Halme naß.

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