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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Stimmen der Revolution
- Die Stimme des Dichters -
__________
Die Stimme
des
Dichters
Ich
bin ein Dichter ohne Ruhm, mein Werk ballt keinen Kampf für mich oder
gegen mich zusammen. Es gibt manche meinesgleichen. Zusammen bilden wir
eine kleine Gruppe, über das Land (und über alle Länder) verstreut.
Nach unserer Lebenshaltung sind wir zumeist Proletarier - nach unserer
Erziehung sind wir Bürger - und wir würden es wie die meisten
Proletarier werden mögen, wenn wir unser Geschick zu wählen hätten.
Denn auch wir trügen gern reichere Kleidung, wünschten uns mehr Zeit,
mehr Bildungsmittel, kurz mehr Glück. So zwischen den Rändern der
beiden Klassen, aus denen sich heute die Bewohnerschaft der Erde
zusammensetzt, hin- und hergeworfen, reichen wir mit unserem inneren
Anteil in ihre Extreme. Eben darum gehören wir zu keiner von beiden.
Das spüren wir oft bitter genug, wenn wir von rechts und links hören,
unsere Armut sei keine eigentliche Armut und leicht zu tragen. Unser
Alltag hat die falsche Uniform angezogen. Von der Uniform liest man den
Rang ab, und rechnet daran unseren Nöten das Zuviel und Zuwenig vor.
Haben wir beispielsweise eine Familie, so ist man zuweilen bereit, uns
um der Familie willen ein Almosen zu gewähren, haben wir keine, so
preist man unsere Klugheit und fragt nie, ob diese unerzwungen ist. Man
zeigt sich in allen Fällen hurtig, uns selbst auszuschalten, und aus
unserer sozialen Situation ein edles Vorrecht unserer Künstlerschaft
oder die autonomische Gerechtigkeit menschlicher Schwächen und Vorzüge
zu konstruieren, zumal wir in der Gesellschaftsschicht vorübergehend
rasch ein wenig steigen und sinken.
Wir stehen wirklich zwischen zwei Parteien. Unsere Aufgabe war, zu
fühlen und auszusprechen, w a s i s t. Sie hat sich durch die
Ereignisse dieser Tage nicht verändert. Unsere Sinne lögen, könnte die
schnelle Weltgeschichte sie jemals übereilen, - mögen sie gleich in den
Sternen geweilt haben. Den Grund unseres Mitleidens mit den Armen und
Unterdrückten finden wir in unserer heutigen Mitfreude mit ihnen
wieder. Wer von uns mit seinem Geist die Zeit zur Eile gepeitscht hat,
wird jetzt seine beiden Hände leihen, um zuzugriefen. Aber er vergesse
nicht, daß ihm nur zwei Hände gewachsen sind, und er schreie nicht, er
habe so viele wie ein asiatischer Dämon. Scham und Zorn brennt uns
angesichts der tatenlos beflissenen Ruhmredigkeit der anerkannten
Künstler von Rang und der mit ihnen verbündeten anmaßenden
Geschäftsmänner der Kunstbranchen, die ein größeres Gehör haben als
wir. Wir erlebten im November 1918 den August 1914 mit all seinem
eitlen Donnerhall. Schwertgeklirr und Wogenprall. Wer damals mit hohlen
Reden auf dem Plane war, ist heute wieder da. Neben frechem
Renegatentum hohle Prahlerei und Verlogenheit.
Da es sich wieder um Kämpfe handelt, schwillt es wieder von den
äußersten Begriffen der Schlacht, von letzten Dingen: von Heldentum und
Heldentod. Auch aus den Reihen der Unliterarischen! Wie man 1914 denen,
die sterben geschickt wurden, mit schnöder Gefühlsverbohrtheit und
-Roheit fast allenthalben verhieß, sie sollten nicht u m s o n s t
sterben, so tiftelt man heute heraus, sie seien wirlklich nicht umsonst
gestorben. Diese Negation im Urteil über ihr Leben ist noch
entsetzlicher als die Position.
Nicht umsonst gefallen! Ich leihe mir das Wort "gefallen" nur und mache
mir weder die Bagatellisierung zu eigen, noch die Ehrung, die in ihm
beschlossen liegen. Wie oft heißt es heute in den Zeitungen: Wenn
die Revolution ans Ziel dringt, sind die Millionen Opfer des Krieges
nicht umsonst gebracht. Darüber werde ich im tiefsten traurig. Der
Militarismus mag nicht sterben, scheint nicht ausrottbar zu sein. Kommt
er von rechts, so ist ihm die Eroberung eines Stückchens Land - ach,
nur eines Zipfels Staat! denn Erde ist in keinem tatsächlichen Sinne zu
erobern.- Blutströme wert. Kommt er von links, so tröstet ihn die
errungene Reform, also ein Zipfel Staat! Daß doch jeder Trauernde
sagte: mein Bruder, mein Mann, mein Kind, mein Vater ist u m s o n s t
gefallen, grauenhaft umsonst! Daß er nicht vergäße: mein Bruder war
wehrlos, so wehrlos wie die Kinder, auf die man Bomben warf. Daß er an
Maschinen Handgriffe auszuführen gezwungen war bei Todesstrafe, die
vielleicht den Tod Hunderter zur Folge hatten, machte ihn damals nicht
wehrhafter als jene Kinder, die unschuldig spielten. Kein Widerstreben,
keine Geschicklichkeit und kein göttlicher Gedanke in seinem Kopfe
halfen ihm. Er war doppelt wehrlos, weil sein Eigenwille geknebelt war,
bis nur ein geduldiges Tier übrig blieb. Aber das hebt ja jeden Krieg
auf? Ja, es sollte ihn aufheben!
Und wer ist ein Held? (Könnte man nicht e i n Wort der Sprachen
historisch werden lassen?) Jemand, der um seiner Idee willen, wenn es
sein muß, sein Leben opfert. Niemand aber, der für seine Idee andere
erschlägt oder erschlagen läßt. Eine Idee reicht so weit, wie sie f r e
i w i l l i g Unterwerfung unwiderstehlich hervorzwingt. Verlängert sie
ihren Zwang darüber hinaus, so wird sie Unrat. Lieben wie die Helden
ihrer Idee und trauern wir um die Opfer der falschen Helden mehr, als
wir die Würger hassen! Haß züchtet die Gehaßten. Verachtung erstickt
sie vielleicht wie ein luftleerer Raum, in dem man nicht leben kann.
Sie werden in geringerer Zahl geboren werden.
Weil wir aber kein Volk verachten können, darum sind wir, soweit wir
Dichter sind, unpolitisch. Die ganze Erde gehört unseren Augen und
Ohren und ihrem Geiste, einen anderen Besitz dieses für alle Menschen
gleich großen Vaterlandes als den der Liebe begehren wir nicht. Wir
wissen überall auf dem Planeten Menschen, die darin mit uns einig sind.
Wir hoffen, daß ihre Schar wachsen wird totz allem. Wir sind immer am
Ziel und werden es daher nie sein. Die Proletarier jedoch tun mehr als
wir: sie sind auf dem Wege. Vorerst können wir uns nur mit ihnen freuen
und ihrer Sache schlichte Gehilfen sein, noch keine Gesellen. Ans Ziel
gelangt, mögen sie uns anerkennen: dann wäre unsere und ihre Politik
oder Nicht-Politik im Einklang.
Oskar Lörke
Erstdruck und Druckvorlage:
Revolution, Wochenschrift - An Alle und Einen.
Die Stimme des Dichters, Nr. 2, 30.11.1918, Seite 14
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oben
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