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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Vielerlei Zungen
191
__________
Vielerlei Zungen
Mancher
Autor, der vor einigen Monaten hier Edschmids Vortrag über den
Expressionismus in der Literatur las, wird erstaunt gewesen sein, darin
seinen Namen zu finden. Er hatte dabei vielleicht ein Gefühl, als müsse
er auf der Plattform eines vollbesetzten elektrischen Wagens
eingequetscht und gestoßen dahersausen, während er lieber zwar nicht so
auffällig wie auf dem zischenden und polternden Mirakel, aber
selbständiger und stolzer nebenan zu Fuß ginge. Es mag ihm dabei auch
eingefallen sein, daß er vor Jahren, als der Impressionismus noch in
gutem Geruche stand, hzu diesem gerechnet wurde wie jetzt zum
Expressionismus. Ungläubig sieht er die gliederverrenkende Hostorie auf
sich zukommen, wo er selbst sich bescheiden und hoffnungsvoll noch ganz
ungeschichtlich nahm.
Doch wir schreiten ja fort, ich vergesse es immer vor dem Bilde der
tiefen Zerstörnis in der strebsamen jungen Dichtung. Wir schreiten
doppelt fort, das ist unser Unglück. Zweierlei Willen zum freien
Zukunftsreich, der eine auf die Lebensform, der andere auf die
Kunstform gerichtet, vermischen sich. Selten findet sich die Idendität
beider Tendenzen in einer Person. Aber fortschreiten möchte jeder, den
hellsten Sternen folgen. Der eine peitscht nun den politischen Adam
auf, der andere den Dichter und die Zulänglichkeit auf dem einen
Gebiete muß für die Unzulänglichkeit auf dem anderen einstehen.
Unbewußte, dann bewußte Heuchelei ist die Folge. Wahrheit und Lüge
verwachsen. Ein Künstler, der vielleicht etwas Bangeres auszufechten
hat als den Tageskampf, worin er sich tätig und leidend rechtgläubig
entscheiden und bewähren mag, wird zum Verräter an seiner gerechten
Sache, nur weil die fremde auch gerecht ist. Der pliotische
Überzeugungseifer eines schlechten Musikanten überredet den
Unüberzeugten, auch schlecht zu musizieren. Der Erfolglose sucht dern
Erfolg in seinem Hauptquartier. Der Stille geißelt und steigert sich
grausam, weil heute nur e i n Temperament gilt, das des
Propheten. Der Warner wird von den halben Talenten, die sein Zweifel
gefährdet, niedergeschrien. Ein Chor schwachgeistiger und
schwachmütiger Zuschauer, der wieder einmal den Anschluß zu veräumen
fürchtet, applaudiert kranpfhaft laut, um das Gewissen zu betäuben. Das
Recht der JKugend muß das Anständige und das Unanständige decken.
Schließlich lernen die Talente von den Scheintalenten, um nicht
rückständig zu werden. Die Aufgabe des Gesanges übernimmt das Geschrei,
an den Plätzen der Bildsäulen stehen Litfaßsäulen. Aus dem freiwilligen
Kampfe der Kunst wird ein erzwungener, aber die Gewalt ist ein Kampf g
e g e n die Kunst. Verkündet man auch hie und da die Erschöpftheit und
einstweilige Entbehrlichkeit der Kunst, so bedient man sich ihrer
trotzdem. Wer kann da an den Blutrernst der radikalen Verkündigungen
glauben? Der zum Aufruhr unfähige Aufrührer schläft auf dem Papier um
sich und findet die scharfsinnige Entschuldigung, dies sei die
Aufruhrform seines Gottesgnadentums: schmerzlich, großmäulig tut er es,
als wäre nicht dennoch zu erkennen, auch vor Prüfungen und Abfall! Die
Hutten sind selten, aber ebenfalls kenntlich. Besser im Weinberge
wacker und in Sonetten morbid! Bloßes Schimpfen und Querulieren ist
manchmal ein Verdienst, aber noch kein dichterisches. Desgleichen das
Gebet. Ungläubige glauben an einen Gott, ausschließlich zu dem Zwecke,
das Machwerk seiner Hände zu bejammern und zu bespeien. Andere
verkünden ein jenseitiges hirnloses Oberhaupt, weil diese Flucht, nach
der Konvention, nicht schänder. Es gibt eine objektive formale
Verlogenheit, würde ihr Inhalt gleich mit dem Opfer des Lebens
besiegelt. Mehr Journalismus! Will man die Kunst töten, so foltere man
sie nicht unritterlich! Aber ihre Tradition der Freiheit lockt wie die
Luft des GEbirges. Es ist tragisch, daß besonders die Lyrik lockt wie
die Luft des Gebirges. Es ist tragisch, daß besonders die Lyrik das
Echteste der heutigen Jugend auf eine Weise enthält, als wäre es eitel
Prahlerei. In vergangenen Zeiten besetzte man das Heft des Dolches mit
Edelsteinen, jetzt die Klinge; viele wollen einen solchen Dolch haben,
man muß unechte Steine nehmen.
Es seien hier einige genannt, die nahe dem Ararat in der Sintflut
schwimmen, und andere, die den Berg erreicht haben, Retter der Zukunft.
Verse
Glücklich, wer, Menschliches aussprechend, kunstlos erscheint! -
kunstlos nicht im lobenden, nicht im tadelnden Wortsinn. Mag er sich
gequält haben, - kunstlos. In Max Brods Bande "Das gelobte Land" (bei
Kurt Wolff, Leipzig) klingt es wohl nach Claudius, Rückert, Kopisch,
Hans Sachs, vernehmlicher aber ruft eine Stimme aus Kinderland,
Heimaterde, Arbeitsacker. Schmerzen und Hoffnungen unserer Zeit
sprechen sich vertrauend und redlich wie zu einem Nachbarn aus. Mehr
Handwerk als Mundwerk. Nicht die Versreihen, nur die ganzen GEdichte
stellen etwas vor, eine Historie, Predigt, bürgerliche Betrachtung. Was
bleibt übrig bei dem darunterstehenden Text vollschieben und die
Strophen über die Zwischenräume fort hinaufrücken? Bescheiden lehrsame
Prosa oft. Und auch die künstlich reizvolle Naivität, die wir aus dem
Strophenbild errieten, ist dahin. Es schadet nicht. - So ärgert auch
bei Claire Stude ("Mitwelt", im Verlage der Aktion, Berlin
Wilhelmsdorf) weder der Anklang an Else Lasker-Schüler, noch das
Fangballspiel mit Gestirnen. Es ergreift nur der Anteil ihres
Frauenherzens an den Schmerzen der ERde. Ihre Verse sind schön, weil
Schmerz schön ist, es hört sich gut auf ihren Atem, weil es ein Atem
ist, ihre Bildlichkeit ist modern, weil sie unbefangen aus der
Gegenwart stammt.
Den
meisten Dichtern ist verhängt, schwerer ihre Verse zu finden, häufig
nicht, weil sie etwas anderes mitzuteilen haben, sondern weil sie
anders mitteilen müssen.
Expressionismus
Das Wort sei zur Vermeidung von Umständlichkeiten gebraucht. Wir
wissen, was es meint. Versuchen wir das erste Exempel darauf.
Ist Jakob van Hoddis ein
Expressionist? Wie gleichgültig! Er nimmt seine Bildnerei so sachlich,
daß er esnur gut zu machen trachtet. Er mißt Welt nicht nach geaichten
Scheffeln, sondern nach seinem Maße, so ernst, daß er gegebenenfalls
auch humorvoll werden kann. Nach dem "Weltende" (Verlag der Aktion)
geht die Welt weiter.
Bei Johannes R. Becher gewiß
nicht. Von ihm liegt ein dünnes Buch "Die heilige Schar" (Insel-Verlag,
Leipzig) und ein dickes "Päan gegen die Zeit" (Kurt Wolff Verlag
Leipzig) vor. Besonders das zweite wird einen Wert als Dokument
behalten, - nicht als Päan gegen die Zeit, sondern als Päan dieser
Zeit. Es wäre zu billig, aus seinen sinnlosen Anhäufungen grausamer
Begriffe, ekler Vorstellungen, weltzersetzender Ausbrüche etwas zu
zitieren, und es wäre ungerecht, denn das Blutmeer feuchtet hier nicht,
keine Kloake stinkt, und die angeblichzerrissene Welt sieht heil und
steif auf das schon wieder nüchterne Dichterherz. Müßte man alle Worte
Bechers wörtlich nehmen, - und der Zwang zum wörtlichen Gehör war
bisher die magische Auszeichnung des Dichters vor allen anderen, die
sich der Rede bedienen, - so wäre Becher überhaupt kein Dichter. Er ist
es. Unwillkürlich ist sein sanftes Pathos unter diesem stummen Lärm,
ebenso schicksalbestimmt allerdings auch die teilweise Selbstzerstörung
seines Talents. Schicksalhaft ist die Forciertheit des Dichters und
sein unerfüllbarer Ehrgeiz, ein gewaltiges, hochauflodernes Temperament
zu sein: das ist er niemals in der Welt aus Eisen, Stein und ERde, in
der Welt der Menschen und Dämonen, sondern nur in einer farbig
nachgeträumten, in der sich alles fast außerhalb der physischen und
seelischen Widerstände flaumig leicht bewegt. Man braucht sich etwas
nur vorzustellen und es geschieht. Wollte Becher in dieser Welt
reformieren, jeder müßte seine Entschlossenheit rühmen und seine
Fähigkeit, die Eindrücke seines Aufenthalts darin zu schildern. Er
wäre, was er in Berlin oder München sein möchte, im übersinnlichen
Byzanz ein strafender und bessernder Jeremias. In diesem Reiche der
bunten Schatten täuscht er mit dem ganzen Ernste, nur von
Verwnatwortung befreit, die Feste und Form der wirklichen Welt
und die Häßlichkeit und Sehnsucht ihrer Bewohner nach. Aber seine
Dichtung soll nicht den Eindruck eines Äußeren sein (läge es gleich in
einer Hirnschale), sondern der Ausdruck eines Inneren. Es kommt ihm
nicht auf die Daseinsnot der gigantischen Einzelheiten an, die sie bei
ihrer Fruchtbarkeit da draußen hätten, sondern nur auf ihr Dasein,
nicht auf die materielle Bedingtheit der unablässigen Bewegungen,
sondern nur auf ihren Rhythmus. Nicht ein Eindruck wird nachgezeichnet,
sondern der Eindruck eines Eindrucks. Und weil das gesamte Universum
verinnerlicht ist, also in den erbischen Bezirk aufgenommen, erhalten
die nun einmal nicht auszuschaltenden rein physikalischen Vorgänge
einen moralischen Beigeschmack: eine mechanische Veränderung ist
gutgesinnt oder bösgesinnt. Das vereinfacht und verstärkt die
Grundtöne, aber es erzeugt auch einen Widerspruch, als wäre, trivial
ausgedrückt, zwei und zwei bei Nacht vier, bei Tage aber nicht. Dem
Beschreiben und Predigen entronnen, entrinnt Becher oft nicht einem
Gleichnis dafür. Wo er einmal direkt predit wie in den Stophen "Gezücht
ihr aller Reiche", verfällt er, da erschamlos tobernder Wut nicht
gewachsen ist, der Komik eines scheltenden guten Menschen. Seine
zerhackten Sätze werden nie die Massen aufpeitschen. Dies alles
festzustellen heißt nicht, ihn nicht zu schätzen. Daß er nötigt, ihm
immer erneut zuzuhören, beweist, wie sehr er ein Instrument der
Gegenwart ist, und über die Gegenwart hinaus ragen manche gültigen
Zeilen und Gedichte.
In vielen Äußerlichkeiten hat eine große Ähnlichkeit mit ihm Walter Rheiner. Sein Gedichtbuch "Das tönende Herz" ist bei Felix
Stiemer in Dresden erschienen. Wenn dieserlei sprachliche Manieren
einst nicht mehr modern sind, werden sie sehr häßlich sein, und sie
werden manches wertvolle Gedichtvorzeitig zerfressen; aber vielleicht
wäre es anders nicht zustande gekommen: ein oft sehr zartes, dennoch
seiner selbst gewisses Gefühl weiß bei Rheiner keinen anderen Weg in
die Welt, als sich an nervös wilden, umherschießenden und -tastenden
Assoziationen hinastragen zu lassen. Man darf an ihnen nur den
einen Punkt sehen und muß ihn rasch aus Tausenden erkennen, an dem das
innerliche Gespinst hängt. Sie dienen gleichsam der geographischen
Orientierung über die Ausdehnung des Gefühls. Ihre eigene Ausdehung
darf nicht in das Bewußtsein dringen, sollen sie das Gefühl, dem sie
dienstbar wurden, nicht erdrücken und sollen sie selbst miteinander
gleichzeitig möglich sein. In paradoxem Vergleiche ausgedrückt, heißt
das: wir empfangen die Wirkung eines Mokroskopes; Verborgenes
erscheint, Offenbares versinkt, aber das erste wäre ohne das zweite
nicht vorhanden. Haben wir die Anstrengung, nicht doppelt zu sehen -
das ist hier eine Anstrengung - überwunden, so überraschen zuweilen
wohlgebildete Gedichte, und zuweilen kommt Rheiner ohne die
kunstfertige Zauberei allein mit seinem tönenden Herzen aus.
Ein neuer Dichter, Hermann Kasack,
beweit mit seinen durch den Roland-Verlag in München herausgegebenen
VErsen, daß Expressionismus ohnehektisches Rot, ohne Schweiß und Krampf
möglich ist. Die Stille und Weichheit seiner Natur mag ihn vom
Angehen gegen verlockende Widerstände ferngehalten haben. Zwar ergäbe
das Gewichtige in seinem Erstlingswerke nur ein kleines Heft, und sein
Titel "Der Mensch" ist viel zu anspruchsvoll. Ein romantischer junger
Mensch stellt sich in ihm heraus, aber der ist ein Künstler, und aus
der romantischen Aura beginnt sich die wahre, ernste Seelenwelt zu
klären. Schon beginnt der Dichter in ihr BEscheid zu wissen, und schon
erleben wir die schöne Bestürzung unser Verborgenes zu erraten, doch
nicht verraten zu sehen. Mit gerechten Worten weiß Kasack soweit zu
reichen, wie erwill und wie not ist. (Der Dilettant reicht nicht weit
genug oder zu weit.) Die Hauptthemen seiner Gedichte - der geistige
Fernendrang und die schwermütig nahe Grenze der Natur - das tragische
Wunder unseres Hierseins - bilden an dem Klange ihrer Worte mit, ebenso
wie die junge Kunst unserer Zeit. An Stelle des prunkvoll Ungefähren
steht hier oft das unscheinbar Geprägte. Es finden sich Reihen wie
diese: "Verweilen? Ach, wohin verweile ich mich -?"
Zu den
Gläubigen einer neuen Ausdrucksform stelle ich zwei Bewahrer der
älteren, Max Pulver und Ludwig Strauß. Will man Dichter dieser Art
Epigonen nennen, so sollte man es auch mit jenen Neuerern tun, denn sie
folgen zwar nicht realen Meistern, aber einer imaginären Magnifizenz.
Pulver, dessen lyrisch-epische Arbeit "Merlin" der Inselverlag in
schönem Bande veröffentlichte, verwaltet zudem nicht ein einzelnes,
sondern das gemeinsam erworbene Etbe (gelegentliche Huldigungen an
Goethe ausgenommen). Konnte er mit seinem ersten Gedichtbuche
"Selbstbegegnung" nur ein persönliches Interesse erwecken, noch kein
gegenständliches, so kann er es nun, wenngleich dieses gegenständliche
Interesse nicht seinem Gegenstande gehört. Im Gegenteil. Aber eine
phrasenlose, unverrenkte, nach ihrem eigenen Wesen bewegliche Rede ist
auch ein Gegenstand, der uns am Herzen liegt, zumal in einer Zeit, der
das Wort Geschmack fast zu einem Synonym für Schwäche und Altertümelei
geworden ist, leider aus allzureichlicher Erfahrung. Auch Pulver wird
von antiquarischen Freuden, die ja groß und edel sein können, zu seinem
Stoffe gezogen. (Man kann sogar die lebendige Gegenwart und die Zukunft
antiquartisch ansehen. Der Stoff ist ihm nicht eine Gelegenheit, sich
zu befreien, er ist ihm ein Gelegenheitsmacher. Das will besagen: nicht
bloß die Vorgänge, auch die durch sie angeregten geistigen und
seelischen Komplexe sind für den Leser großenteils historisch.
Vorzugsweise artistische Wallung war zu befreien, und die Aufgabe
Pulvers war etwa, die gesicherte wörtliche Übersetzung eines
unverderbten Textes mit aller Freiheit vorzüglich zu stilisieren, nach
vernünftigem Belieben Stellen auszulassen und sich zu erwärmen und zu
begeistern, als wären die durch den Schliff aufleuchtenden Gedanken
eben geboren.
Ludwig Strauß ist
sprachlich lange nicht so überzeugend wie Pulver, weil er zwei
bestimmten Lehrherren folgt. Im ersten Teile seines Buches "Wandlung
und Verkündung" (Inselverlag) ist es Hölderlin, im zweiten Stefan
George. Die Oden machen den verehrungswürdigen Weg nach Patmos in
unendlich stilloser Kopie nach. Ludwig Strauß hat Gedanken,
intellektuale und bilnerische, aber der Vortrag taugt nicht, sie zu
entwickeln. Der Ton ist Hölderlins. Man kann ihn nicht übernehmen, man
übernähme denn die Welt Hölderlins: dieser Ton ist diese Welt.
Straußens Gehalt reicht nicht hin, um sich auch nur ähnlich ausdrücken
zu lassen. An Hölderlins Seele gemessen, sind die meisten noch so
reinen Seelen von dem Vergehen des Ananias und der Sapphira, die von
dem Opfer ein Weniges für sich zurückbehielten, nicht frei. Doch Strauß
verkündet ja nicht: "Nah ist und schwer zu fassen der Gott", er
verkündet seines Wesens Form: die Tat der Seele rein erschienen
Antlitz." Damit er diese Definiton des Apollinischen erfülle, feilt und
zirkelt er am Wort, bis es einem fremden und ganz urtümlichen Ideale
der Wesensformung nahe scheint. Es formt nicht sein Wesen, und die
Folge ist viel Zufall und Gewalt in dem Buche. Aus sauberen Strichen
entstehen unklare Bilder. Diese Natur meint nich sich, sondern ihre
ERscheinung, ist also dekorativ, die Gedanken meinen ihre Gebärde, und
auch die Leidenschaft ist dekorativ, - alles mit des Verfassers
Strenge geprüft. Die Sätze werden schwerfällig. Nur schwierige Gedanken
vertragen solche Zungenschläge oder dionysisch so verwirrte Gefühle,
daß sie deren verhältnismäßig klarste Fassung wären; unser Entwirren
mündet in einer Enttäuschung, statt in einer Überraschung.
Zuletzt zweu Autoren, auf die die alte Bedeutung des Wortes Dichter
noch pa´ßt-
Max Herrmanns neue
Sammlung heilt "Empörung, Andacht, Ewigkeit". (Kurt Wolff, Verlag) Der
Titel wäre schlecht, auch wenn er seine Verheißung irggend erfüllen
könnte. Andacht mag man Herrmanns Bestes nennen. Und auch hier soll
zuerst eine Einschränkung gemacht werden. Herrmanns Gewissen bückt und
beschuldigt sich manchmal da, wo kein wirklicher Widerstand und keine
Schuld ist, und ahnt daher, aus der Pein aufschnellend, einen Trost,
wie er Menschen so groß nicht zuteil wird; und er ist so dankbar, daß
er enttäuscht werden muß. Aber aus dier Organisation ringt sich seine
poetische Kraft, viel unterirdischen und überirischen Blanz
ausstrahlend, nicht nach ihm suchen, sondern mit ihm geboren, mit ihm
eins. Die äußersten Pole unseres Wesens liegen immer im Unfaßlichen,
und es kommt darauf an, daß die Spannung zwischen ihnen weit sei,
mögens ie von göttlichen oder gespenstischen oder beiderlei Schauern
umwittert sein. Herrmann nun fühlt, was er fühlen muß, so gewiß und
hingegeben, daß er an menschlicher Wärme die meisten Mitstrebenden
übertrifft. Die gemeinhin vor feierlichem Wir und Ihre vergessenen
Grundverhältnisse zwischen einem ganz realen Ich und Du erregen ihn mit
selbstverständlicher Autorität. Der Alltag wird ihm dabei so fragwürdig
und so fromm und weit, wie der metaphysische Bezirk sich seiner
Sehnsucht und seinem Anspruch in Märchenweise versinnlicht und nähert.
Er hat eine unängstliche Zutraulichkeit zu seinem Guten und Bösen, und
die daraus mit Notwendigkeit entspringende Verwirrung zwingt ihn zu
seinen Versen. Seine schlichte Einstellung zur Welt erklärt seine
Neigung zum ganz einfachen Gedicht, womöglich zum Liede. Der Drang
dahin führt ihn durch einen Kampf mit einer Überzahl von Bildern und
Gesichten. Von seinem Buche "Sie und die Stadt" hat er einen weiten Weg
zurückgelegt, und in Vorlesungen der jüngstvergangenen Monate gab er
Verse, die auch die eben vorliegenden hinter sich lassen. Man sieht von
da aus: das Schönste steht hier oft noch nicht an der entscheidenden
Stelle, die VErse zeigen manchmal einen Zustand wie vor der Musik. Die
Entschiedenheit der menschlichen ringt mit der Entschiedenheit der
künstlerischen Empfindung, aber nicht in der Absicht, sie zur Klarheit
zu zwingen, sondern in der vormusikalischen Ursprünglichkeit zu
erhalten. Musik aber drückt noch Verschwebendes , noch Überschwang mit
Mitteln der Ordnung und des Maßes aus. Perioden und Strophen brauchten
darum nicht hölzern abgezählt zu sein.
Dafür gibt Ernst
Blaß mit seinem Bändchen "Gedichte von Sommer und Tod" (Kurt
Wolff, Verlag) Beispiele. In strengen Formen blieb alles frei. Die
klingende Seele ist dort mit keiner List greifbar und gegriffen. Ihre
einzige Bestimmung ist ihre Gegenwart. Hascht man sie, so behält man
Dinge und Gedanken, hascht man die Dinge, so behält man Seele zurück.
Die Worte sind nicht wärmendes Kleid über dem Herzen, sondern atmende
Haut. Blaß sucht nicht einen Text und eine Melodie, sondern der Text
ist die Melodie. Seine Vergleiche haben keinen anderen Grad der
Wirklichkeit als seine gerade Rede. Er beginnt erst dann zu sprechen,
wenn er weiß, daß er die poetische Wahrheit durch übertreibenden oder
unzulänglichen Ausdruck nicht tiefer zerstören wird als durch
Verschweigen, denn vor seinem Gewissen kennt Wahrheit keine
Zwitterstufe zwischen Nichtsein und Dasein. Erst in dem Augenblick, in
dem die Dinge ganz materiell dastehen, sind sie ganz unmateriell
geworden, Symbol, Gesang. Daher bändigt der Dichter sein Bedürfnis zu
spekulieren und urteilen im Gedicht und hebt ihm andere Formen auf. Er
fürchtet nicht, danach gefragt zu werden, die Schönheit liegt ihm
jenseits davon. Dies besteht, und es täte wenig, wenn jemand eine
Abhängigkeit von Stefan George bis in den Satzbau hinein, eine
Ähnlichkeit mit dem Gefäll und Tempo der Verse um 1800 herum
heraushörte: mag man dies so schwer oder leicht anrechnen, wie man
will, ein Ganzes bleibt dennoch übrig.
Prosa
Ein
Toter fordert Ehre, Gistav Sack, einunddreißigjährigdurch diesen Krieg
fortgerafft. Sein nachgelassener Roman "Der verbummelte Student" (S.
Fischer, Verlag, Berlin) ist ein erschütterndes Zeugnis des
Menschenringens um Licht. Denkt man an Kunst, so zählt dieses Buch
nicht zu den großen WErken, grenzt man aber innerhalb der Kunst einen
Bezirk der Großen Kunst ab, so befindet es sich darin, wenn auch
vielleicht ganz unten. Es geschähe genug an wesentlichen Ereignissen in
dieser Geschichte, doch es schieht nicht: das Brausen inneren Kampfes
verschlingt es, und übrig bleibt davon nur der Eindruck eines hin und
wieder einsetzenden, dann scheu und hastig abgebrochenen, ungeschickt
mit heißa! und hallo! zur Stimmung gezwungenen Berichtes von einer
selig unseligen Liebe und einem unsteten Leben. Der Held ist ein
ewiger, für die anderen ein verbummelter Student, weil sein Geist mit
seinem Sturme alles erschüttert, mit seinem Feuer alles verbrennt, aus
seinem Zentrum beständig in das centrum naturae stürzend. Den Haß des
Subjektiven und Objektiven nicht versöhnen zu können, diese Qual ist
das eigentliche Geschehnis. Der Student, Philosoph, Faun und Pan
versucht es auf alle Weise mit der Wahrheit: er harrt ihr ohne Vorwitz
entgegen, er bettelt um sie, er knirscht sie an, er schlägt sie und
haut in leere Luft. Er würde sie vergewaltigen, doch dasie verhüllt
ist, vergewaltigt er nur das eigene Leben. Er verzweifelt, -
seinen Verzweiflungstod würde sie aber überdauern. Er will die Kunde
der Gegenwart nicht mehr hören und stopft sich Menschen und Welt wie
Dreck in die Ohren. Schließlich entsagend, muß er erkennen, daß gerade
die Entsagung beweist, "wie tief, in wie verborgenstem süßestem Herzen
man liebt." Die Möglichkeit des Besitzes schwand, aber "ihr Wert
schwoll ins Ungemessene, ins Tolle." Das Denken ist kein Mittel, es ist
Teufel und Gott, so zerstörerisch wie allmächtig und unfaßbar, die
Dinge sind Beweis und Gegenbeweis. Hundertmal erlebt er den Höllensturz
von der Ehrfurcht über den Schmerz in den Kot, den Himmelflug vom Stoff
über die Liebe in das lichtlos Allgemeine. So wird er ein Kannibale an
sich selbst in klarem Wahnsinn. Wozu das Leben behalten, da ernicht
weiß, was er behält? Warum es wegwerfen, da er nicht weiß, was er
wegwirft? Kein Entrinnen aus dem Gefängnis des Welträtsels. Das Leben
darin ist nicht das Nichts, der Tod nicht das Nichts, - beides nur
Nacht. In freiwilligem Zufall endet er dann doch. Mit drei
Sinnensystemen ergreift er die Natur, als aufmerkender, genießender,
schwärmerischer Mensch mit dem gesunden narürlichen, als Mathematiker,
Chemiker, Physiker, Botaniker, Astronom mit dem gelehrt verlängerten,
als spintisierend und seherisch Besessener, als Träumer und Phantast
mit dem übernatürlichen. Dadurch bekommt die Sprache, die an sich wenig
modulationserguß wäre und durch ihre Neigung zum schwelgerischen
Stimmungserguß in Gefahr ist, Glanz und Reichtum. Selbst die Erotik mit
iherer etwas verjährten Art von Nacktheit, die etwa an die Zeit des
"Adam Mensch" von Conradi denken läßt, und ihrem etwas provinziellen
Weltmannstraum spannt sich vom Studentischen bis zum Panischen.
Quelle: uni-due
Erstdruck und Druckvorlage: Zeit im
Bild, Moderne Illistrierte Wochenschrift
JG. 10, 1912,
Nr. 27, 27.Juni, S. 691/ PDF
oben
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