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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Der Wald der Welt
Berlin 1936
__________
Bemalte Vasen
aus Atlantis - Der Fund
Doch
geschieht
– und saust die Chronosfaust schon groß –
Bis
zuletzt
das süße Wesenlos
Wie kann
jemand sich auf diese Weise beobachten, wie es in dem folgenden Gedicht
geschieht, dass er seinen Körper schweben fühlt, seinen Herzschlag
wahrnimmt,
das Raunen des Gerümpels durch das Labyrinth der Gänge hört?
So beschreiben
Menschen im Rahmen von Nahtoderlebnissen – nachzulesen bei Raymond A.
Moody
oder Elisabeth Kübler-Ross – ihre Wahrnehmungen.
Das
Gespenstische der Szenerie erinnert auch daran, wie Faust in
Goethes Faustauf dem Brocken im Harz
während der Walpurgisnacht in einer Vision sein totes Gretchen schweben
sieht.
Dieser Mensch
hier, das lyrische Ich, befindet sich offensichtlich auf einem Speicher
und
gleichzeitig in rollender See. Er wird am Kopf getroffen von
herunterfallenden
Vasen, die sich in den Speicherregalen befinden und ertrinkt zugleich
im
taifunischem Wind, also in tosendem Geschehen. Dennoch umarmt er ein
Kind, das
ihm Entscheidendes zuruft.
Nur
Nahtoderlebnisse oder – wie hier – ein Traum machen die Synchronizität,
also
die Gleichzeitigkeit der Ereignisse möglich. Nur so kann diese
Eindrücklichkeit
erreicht werden. Zugleich ist der Leser Schauspieler, Kamera, Film und
Beobachter in Einem.
Das
Atlantis-Thema ist für Oskar Loerke nicht neu. 1907 gibt er seine
Schrift Vineta
heraus; im Titel also bezieht sie sich
auf eine an der südlichen Ostseeküste gelegene sagenhafte Stadt, die in
einer
Sturmflut untergegangen sein soll und auf die sich möglicherweise schon
Eduard
Mörike mit seinem Orplid-Gedicht bezog.
Natürlich
mögen die Atlantis-Gedichte und der Untergang von Atlantis eine Chiffre
gewesen
sein für das Dritte Reich, das Loerke nicht mit Namen nennen konnte und
mit
dessen Realität sich der innere Emigrant doch sehr schwer tat, blieb er
doch
während der Naziherrschaft in Deutschland und leistete 1933 dem
jüdischen
Verlag S. Fischers zuliebe eine Unterschrift unter das “Treuegelöbnis”
der 88
Schriftsteller; doch war er innerlich ein Emigrant, und weil er in
Deutschland
blieb, eben ein innerer Emigrant.
Allerdings:
Auch wenn Atlantis eine Chiffre darstellen mag, die nicht jeder
dechiffrieren
konnte, weshalb die Atlantis-Gedichte auch in Nazi-Deutschland
veröffentlicht
wurden – den geistigen Schergen Hitlers entging der Code -, ist es
doch, so
denke ich, auch für Oskar Loerke weit mehr: Atlantis ist eine Realität.
27. Jun. 2009
von
Johannes Klinkmüller
Der Fund
Die
Luken
waren spinnwebfahl,
Doch schattete
Weinlaub in den Speicher.
Wer ihn bei
Nacht und Regen bestahl,
Der wurde mit
prallem Sack nicht reicher.
Kein Mauszahn
mochte sich bemühn
Um Krinoline,
Stock und Hauben,
Gehöhlte Bretter,
seifig grün,
Verbognes
Faßband, spacke Dauben.
Im Winkel
hielt ein Urkundenpack
Lang vor, dem
Wurm das Maul zu stopfen;
Zurück blieb
roter Siegellack
Wie Blut in
dick verklumpte Tropfen.
Gerümpel in
schwindliger Litanei
Raunte durchs
Labyrinth der Gänge.
Ein Kompaß nur
wußte, wo Norden sei,
Ins Lot wies
ein Cardangehänge.
Mein Körper
schwebte durch Süße durch
Weh,
Sein
Herzschlag fand nicht von der Stelle –
Ich suchte,
schwank in rollender See,
Für weite
Fahrten Schiffsmodelle.
Ganz in der
Ferne, wie mir schien,
Aus zackig
betuschtem Götzenrachen
Zwischen
Stummeln dampfte Lichtrubin
Auf einem
schwarzen Wikingdrachen.
Im Finster
davor schlug mir Fuß und Kopf
An splittrig
wackelnde Regale.
Und nieder
platzten Topf bei Topf
Wie
Herbstkastanien aus der Schale.
Ich fiel und
ertrank in taifunischem Wind.
Dann war mir,
indem ich ein Glattes umarmte,
Das heil war
und so hoch wie ein Kind,
Als ob ich
mich eines Kindes erbarmte.
Da sprach es,
kaum in meiner Hand:
„Wir sind aus
Atlantis und mußten sterben.“
Dann schrie
es, während es jäh sich entwand:
„Taste dich
rückwärts, wir sind Scherben.“
Ich kroch und
kroch, bis Morgen war,
Und mit mir
der Spuk im Bodenverstecke.
Die Sonne ging
auf in ihm: eine Schar
Bemalter Vasen
stand in der Ecke.
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