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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Wald der Welt
Berlin 1936

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Das alte Dasein


H
ochsommerbann

Aus der Glockenstube überm Dom
Quillt ein kupferroter Lavastrom.
Rings im schüttern Kegel, warm und glatt,
Eben atmet noch die große Stadt.
 
Das gestreifte Sonnendach erstarrt,
Selbst das krause Federrad des Kindes,
Das sonst emsig im Kobolz des Windes
Kühnste Träume auf der Stelle karrt.


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Hintergrund

Bunte Losung auf der Lippe,
Stürzte das Leben den Tag von der Klippe.
Nur was säumte und nicht eintraf,
Meldet sich leise nun vor dem Einschlaf.
 
Frauen, taub dem großen Alarme,
Haben vor mir auf blühendem Arme
Sterbende Kleine vorbeigetragen,
Runde Augen, die nichts fragen.
 
Barg ich mich im Lärm, dem großen?
Etwas aus mir kniet verstoßen
Irgend auf kalten Vorflurfliesen,
Irgend im Nebelsud auf Wiesen.
 
Ein Kind besucht es im Korridore,
Andre tappen im Wiesenflore:
Laß sie schlafen, die Lauten, Vielen,
Wir wollen miteinander spielen.

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Herbstsage   

Durch Blätterhecken, rot und schütter,
Bohren silbern Pfeile, Speere;
Duftherb ging vorüber die Seele
Sankt Sebastians in ihrer Ehre.
 
Vorbei gehn andre: sähen die Bäume,
Sie kehrten sich ab und nahmen Kutten.
Die wilde Rose fiebert erschrocken,
Wie Beulen befallen sie Hagebutten.
 
Fern, wo Himmel und Schwarzland sich scheiden,
Liegt ein Klumpen Feuer entfacht.
Da schmieden Pfeile lautlose Männer,
Ganz aus Feuer gemacht.
 
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Belauscht im Bücherraum 

1

Stimme:
Großer Meister, du bist mein Feind.
Du greinst und lachst, wie alles lacht und greint.
Du stellst dein Ohr weit aus wie der Hund,
Und Menschenverborgnes macht es dir kund.
Metalle grölen dir im Bergesbauch,
Die Haseln streiten sich am Strauch —
Du öffnest dir alles, heftest dich an.
Es haftet dir dein Glück. Was dann?
 
Gegenstimme:
Großer Meister, du bist nicht mein Feind.
Du greinst und lachst nicht, wies lacht und greint.
Dein Glück ist meins: du haftest nicht an
Und ich in dir nicht, strahlender Mann.
 
Stimme:
Der Leidenschaften sind viele. Ich habe
In ihnen allen, einsam wie im Grabe,
So still, daß es keinen Schwachen beschämt,
Den Donner, das Löwenrudel gezähmt.
Spannen sie nun die Flechsen zum Sprung,
Die Kraft zuckt weiß durch Dämmerung —
 
So holen sie niemand, ders weigert, zum Fraß
Und beißen meine Hand im Spaß.
 
Gegenstimme:
Freund, ich töte in dir den Feind.
Du hast, mit mir veruneint und vereint,
Das Kommende vorweggenommen,
Und dennoch: glaube, es wird kommen.
 
2

Es drängt sich durch die Stadt und schon im Gang
Das alte Perserheer mit seinem Troß.
Es auszuspein bewog die See Gesang,
 — Es heut zu tun der Zwang des Äschylos.
 
3

Die Scharen, Eisenhut an Eisenhut,
Wie sie so klein, so stumm vorüberziehn! —
 
Warum? Dein Auge ruht. Auf ihnen ruht
Das Augenpaar des Thomas von Aquin.

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Der gute Lohn

Das Eichhorn in Kiefernkronen greift
Von Baum zu Baum die hängende Straße,
Sie führt zum Geist von Schlaf und Fraße:
Von seinem grünen Schein sind Ohr und
  Schwanz schon gestreift.
Und unter ihm schwärzt sich die Ewigkeit —
Ich liege darinnen, ungeweiht.
 
Sobald ich ihr Einsamsein, wie es mich brannte,
Auf meine Zunge legen und dir sagen kann,
Bin ich nicht einsam weiter und gewann
Dich ein für das, was mich nur kannte:
Es reicht dir lächelnd meinen Marterlohn,
Mein Mitwisser du, mein gezeugter Sohn.
 
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Ohrenklingen in der Winterstille

Nun du dein Schweigen im Spiegel erblickst,
Deine Augen mit deinen Augen ringen,
Und keine Flucht will den vier Ernsten glücken,
Kommt dir lieblich ein Ohrenklingen,
Aus Verschloßnem ein Gegirr —
Was scheust du auf und erschrickst?
 
Geschwader silberner Schlitten
Sind vom Himmel rasch geglitten
In fallenden Bogen,
Delphinengezogen.
Dicke Schellenkapseln klirren
Auf den glatten Rücken.
 
In der Nähe peitscht es, gellt
Und verstreut sich durch die Welt.
Im Spiegelraum geschah es nicht,
Und trug er die Welt, sie sah es nicht,
Und nicht die Feinde, nicht das Ringen.
Stille wächst auf allen Dingen.


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