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Literatur


04.2

Gedichte Ernst Wilhelm Lotz
Wolkenüberflaggt

Erster Teil - I. Glanzgesang

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IN DEINEM ZIMMER
 
In deinem Zimmer fand ich meine Stätte,
In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.
Ich liege tagelang in deinem Bette
Und schmiege meinen Körper an dich hin.
 
Ich fühle Tage wechseln und Kalender
Am Laken, das uns frisch bereitet liegt,
Ich staune manchmal still am Bettgeländer,
Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.
 
Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten
Ein Ton zu unserm Federwolkenraum,
Den schlingen wir verschlafen in die bunten
Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.



DER TÄNZER
 
Ich weiß, daß ich in lichtem Traume bin,
Der mich bewege und mich himmlisch quäle:
Ich tanze über blanke Treppen hin,
Die auf und nieder gehn durch weite Säle.
 
Ich gleite ungehüllt auf nackten Füßen,
Viel Lichter breiten mir den Schaukelgang,
Mein Körper biegt sich spielend in dem süßen
Gefühl der Wellen und der Glieder Drang.
 
Und meine Augen langen in die Runde,
Wo drunten viele Hundert Männer stehn,
Die aufwärts starren mit beschämtem Munde
Und lüstern meine rühren Reize sehn.
 
Vorüber tanze ich den langen Blicken,
Durchpulst von einem eigen-sichern Schwung:
Ich weiß, ich banne hundert von Geschicken
In meines Leibes weißen Wellensprung.
 
Die Wände dehnen sich. Die Sterne scheinen
Vereist herein. Getilgt sind Raum und Zeit.
Und aller Erde Mannheit, sich um mich zu einen,
Umwogt die runde Fahne meiner Mannbarkeit.

oben

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Textgrundlage: "Wolkenüberflaggt", Gedichte von
Ernst Wilhelm Lotz, Kurt Wolff Verlag,
Leipzig, 1917, gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R,
Herbst 1916
, als sechsunddreißigster
Band der Bücher „Der jüngste Tag“, ©1916 by Kurt Wolff
Verlag, Leipzig

Uni-Düsseldorf

Logo 74: "Tracks at the Saint-Lazare Station", 1877,
Claude Monet, gemeinfrei

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