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Literatur


04.2

Gedichte

Wolkenüberflaggt - Ernst Wilhelm Lotz

Erster Teil - I. Glanzgesang





DIE LUFT STEHT GRÜNVERSCHLEIERT ...
 
Die Luft steht grünverschleiert in der Sonnenzeit.
Meine Fenster, die auf die Wasser zeigen,
Holen in ihre Rahmen herüber die Häuserbänke,
Die stromüber weiß in den Mittag schweigen.
Meine Zimmer saugen in sich volle Süßigkeit.
Und meine Augen, die in der lauen Luft entschweben,
Müssen ihr eigenes Leben im Blauen leben.

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DER ZÄRTLING
 
Es werden Zeiten kommen, ernste, schwere,
Die mich umpacken mit beschwielter Hand,
Sie finden mich in unbereiter Wehre
Und Gliedern, solchen Zwanges unbekannt.
 
Dann werd' ich hingewühlt in Betten dämmern,
In Traumflucht hüten meinen müden Sinn
Und an der Adern matt gewohntem Hämmern
Verzärtelt wähnen, daß ich lebend bin.
 
Und Tage werden nah vorüberschreiten,
Freigütige Hände nach mir ausgestreckt,
Ich aber, in des Blutes Heimlichkeiten
Versponnen, träume weiter ungeweckt.
 
O ernste Träume werden mich durchhallen,
Und Sonnen werden pendeln durch mein Blut
Und junge Sterne sich zusammenballen
Um mich, gesäugt von meiner Schöpferglut.
 
Es werden Zeiten kommen, ernste, schwere,
Doch ich entgleite ihrer harten Zucht
Und gründe fern, in selbstgewollter Leere,
Ein Haus, durchdröhnt von meiner Träume Wucht.


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Textgrundlage: "Wolkenüberflaggt", Gedichte von
Ernst Wilhelm Lotz, Kurt Wolff Verlag,
Leipzig, 1917, gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R,
Herbst 1916
, als sechsunddreißigster
Band der Bücher „Der jüngste Tag“, ©1916 by Kurt Wolff
Verlag, Leipzig

Uni-Düsseldorf

Logo 74: "Tracks at the Saint-Lazare Station", 1877,
Claude Monet, gemeinfrei

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