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04.2
Gedichte
Wolkenüberflaggt - Ernst Wilhelm Lotz
Erster Teil - I. Glanzgesang
BEGREIFT
Von
Dumpfheit summt das halbe Kaffeehaus,
Das
halbe ist getaucht in weißes Glühen
Und
flackert in den Lampentag hinaus,
Wo
dünne Nebel an die Scheiben sprühen.
Es
wollen ernste Freunde mich bedeuten,
Ich
sei zu leicht für diese Gründerjahre,
Weil
ich, statt kampfgenössisch Sturm zu läuten,
Auf
blauer Gondel durch den Äther fahre.
Ich
sah bisher nur Zeitungsfahnenwische
Und
warte längst auf Barrikadenschrei,
Daß
ich mich heiß in eure Reihen mische,
Besonnt
vom Wind des ersten Völkermai!
Den
Kopf ganz rot, malt ihr Kulissenbrand
Und
überträumt die Zeiten mit Besingung.
Begreift:
Ich wirke, spielend freier Hand,
Mein
helles Ethos silberner
Beschwingung.
oben
DER
SCHWEBENDE
Meine
Jugend hängt um mich wie Schlaf.
Dickicht,
Lichter - berieselt. Garten. Ein blitzender See.
Und
drüber geweht die Wolken, die zögernden, leichten.
Irrlichternd
spiele ich durch greise Straßen,
Und
aus dem Qualmen toter Kellerfenster
Lacht
dumpfe Qual im Krampfe zu mir auf.
Da
heb ich meine lächelnd schmalen Hände
Und
breite einen Schleier von Musik
Sehr
süß und müde machend um mich aus.
Und
meine Füße treten in den Garten
Der
Abend trank. Die Liebespaare, dunkel, tief, erglühend,
Stöhnen,
verirrt ins Blut, auf vor der Qual des Mai.
Da
schüttle ich mein weiches Haar im Winde,
Und
rote Düfte reifer Sommerträume
Umwiegen
meinen silberleichten Gang.
Blaß
friert ein Fenster, angelehnt im Winde.
Draus
heiser greller Schrei und Weinen singen
Um
einen Toten auf der dunklen Fahrt.
Ich
schließe meine Augen, schwere Wimpern,
Und
sehe Ländereien grün vor Süden,
Und
Fernen zärtlich weit für Träumereien.
Ein
glänzend helles Kaffeehaus, voll Stimmen
Und
voll Gebärden, lichtet sich, zerteilt.
An
blanken Tischen sitzen meine Freunde.
Sie
sprechen helle Worte in das Licht.
Und
jeder spricht für sich und sagt es deutlich,
Und
alle singen schwer im tiefen Chor:
Drei
Worte, die ich nie begreifen werde,
Und
die erhaben sind, voll Drang und Staunen,
Die
dunkle Drei der: Hunger, Liebe,
Tod.
oben
___________________________
Textgrundlage: "Wolkenüberflaggt",
Gedichte von
Ernst Wilhelm Lotz, Kurt Wolff Verlag,
Leipzig,
1917, gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R,
Herbst 1916, als
sechsunddreißigster
Band der Bücher „Der jüngste Tag“, ©1916 by Kurt Wolff
Verlag,
Leipzig
Uni-Düsseldorf
Logo 74: "Tracks
at the Saint-Lazare Station", 1877,
Claude Monet, gemeinfrei
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